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Das Kajak der Inuit im Deutschen Museum

Eskimo oder Inuit?

Bezeichnet wurde das Kajak des Deutschen Museums einst als „Eskimokajak“. Eskimo bedeutet, im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Annahme nicht „Rohfleischfresser“, sondern kann nach neueren Erkenntnissen mit „Schneeschuhflechter“ oder „Menschen, die eine andere Sprache sprechen“ übersetzt werden, wie dies Veronika Grahammer (Ethnologin des Museums der Fünf Kontinente in München) erklärt. Das Wort bezeichnet die indigene Bevölkerung des gesamten nördlichen Polarkreises, also Alaskas, Kanadas, Grönlands und Sibiriens und wird häufig auch als deren Eigenbezeichnung verwendet. Heute wird das Kajak als „Inuitkajak“ geführt. Hierbei handelt es nicht, wie oft angenommen um ein Synonym für Eskimo. Inuit (Inuktitut für „Mensch“) bezeichnet lediglich die indigene Bevölkerung Alaskas, Kanadas und Grönlands.  Die einheimische Bevölkerung Sibiriens möchte ausdrücklich nicht als Inuit bezeichnet werden. Da das vorliegende Kajak jedoch aus Grönland kommt, hat sich das Deutsche Museum entschlossen, die Bezeichnung als „Inuitkajak“ weiterzuführen.

Kajaks sind mit die größten, von den Inuit geschaffenen Objekten und beeindrucken sowohl durch die einfallsreiche und kreative Nutzung der wenigen den Inuit vorliegenden Materialien, als auch durch seine Funktionalität und perfekte Anpassung an ihre Umgebungsbedingungen. Für die Jagd und zum Transport sind mit dem Kajak Fahrten bei Geschwindigkeiten von bis zu 12 km/h möglich, sogar bei starkem Wellengang und durch Treibeis. Unter guten Bedingungen kann ein Kajak bis zu 48 Stunden am Stück genutzt werden, der Fahrer kann damit also lange Strecken zurücklegen. So wird sogar von Inuit berichtet, die es in Stürmen in ihren Kajaks von Grönland bis in die Niederlande verschlug. Auch wenn es sich hierbei vermutlich um Legenden handelt, hat das Kajak des Deutschen Museums tatsächlich eine weite Reise hinter sich, weiter als so manches Kajak, auch wenn es vermutlich nicht über das Meer gepaddelt wurde.

Die ersten Hinweise auf das Kajak, welches sich heute im Deutschen Museum befindet, stammen vom Anfang des 20. Jahrhunderts und berichten vom Verkauf des Kajaks an das Deutsche Museum durch den Umlauff-Naturalien-Händler-Hamburg. Johann Friedrich Gustav Umlauff (1833-1889) hatte in seiner Tätigkeit als Seemann wiederholt „Kuriositäten“ aus Übersee von seinen Reisen mit nach Hamburg gebracht. Seine Sammlung wuchs auch mit Hilfe von Wissenschaftlern, Seeleuten und Handelsleuten an, die er beauftragte, Objekte von ihren Reisen mitzubringen. Als „Umlauffsches Weltmuseum“ inszenierte er Ausstellungen aus ethnographischen Objekten, Modellfiguren und ausgestopften Tieren.

Der Museumsgründer, Oskar von Miller (1855-1934) hatte das „Museum“ häufig besucht und wiederholt Exponate für das 1903 gegründete Deutsche Museum angekauft. Eines dieser Exponate war dieses Kajak.

Was ist ein Kajak?

Bei einem Kajak handelt es sich um ein schnittiges, kleines Einmannboot, das aus einem festen inneren Rahmen und einer Hautbespannung besteht. Das Kajak der Inuit dient in erster Linie für die Jagd auf dem Wasser, vor allem auf Robben. In der Regel wird das Kajak für die Jagd mit zahlreichem Zubehör, wie Harpunen und Speeren ausgestattet. Gesteuert wird das Kajak mit einem einzelnen Paddel, welches abwechselnd links und rechts eingetaucht wird.

Unser Kajak weist eine beeindruckende Länge von über fünf Metern bei einem vermuteten Gewicht von unter 20 Kilogramm auf. Hergestellt wurde es vermutlich im Jahr 1905 in Südwesten Grönlands. Die geringe Zahl der in Grönland verfügbaren Werkstoffe führte hierbei zu der perfekten Ausnutzung der verwendeten Materialien und deren Eigenschaften. So wurde beispielsweise genau in Bauteile unterschieden, welche aus dem spärlichen einheimischen Holzbestand hergestellt werden konnten und jene, für die Treibholz oder später auch eingehandeltes Holz verwendet werden musste. Auch das Material der Bespannung zeigt, wie die Inuit neben dem Hauptprodukt der Jagd, dem Fleisch, auch die Haut der Tiere verwendeten. Vor allem die Häute von Robben wurden nach intensiven Vorbereitungen wie dem Enthaaren für die Bespannung des Kajaks eingesetzt. Auch weitere Abfallprodukte, wie Walknochen oder Walrosshauer finden sich an Inuitkajaks.

Herstellung von Kajaks

Die Herstellung eines Kajaks ist eine komplizierte und langwierige Arbeit, welche zumindest traditionell nahezu ausschließlich von Männern durchgeführt wurde. Frauen waren lediglich für Vorbereitung und Durchführung der Bespannung zuständig. Der Aufbau eines Kajaks teilt sich auf in die zugrundeliegende Holzkonstruktion, die Bespannung sowie festes Zubehör.

Die Herstellung des inneren Skelettes beinhaltet viele verschiedene Bauteile und Verbindungen. Generell kann die Innenkonstruktion in den oberen und unteren Rahmen aufgeteilt werden.

Der obere Rahmen besteht aus zwei langen Brettern, den Bordwänden, welche an den Enden verbunden werden, und den dazwischen eingesetzten Deckbalken, welche die Bordwände auseinanderzwingen und so die von oben sichtbare Form des Kajaks bilden.

Der untere Rahmen hingegen bestimmt die Tiefe und das Volumen des Kajaks. Er besteht aus den Querspanten, auf welchen der Kielträger und die Längsträger angebracht werden.

Die Querspanten sind halbrunde bis dreieckige Streben, welche die Bordwände verbinden und dem Kajak einen u-förmigen bis dreieckigen Querschnitt verleihen. Die Querspanten werden durch den Kielträger, welcher den tiefsten Teil des Rumpfes bildet, und den Längsträgern miteinander verbunden. Die Längsträger bilden außerdem zusammen mit dem Kielträger die Steven, also die Spitzen des Kajaks.

Zwei Bestandteile fehlen dem Kajak nun noch. Eines davon ist das masik, ein grönländisches Wort ohne deutsche oder englische Entsprechung. Dieses beschreibt ein Bauteil, welches vor dem späteren Einsteigloch, auch Cockpit, auf die Bordwände aufgesetzt wird, das Deck dauerhaft leicht anhebt und dem Kajakfahrer somit den Ein- und Ausstieg erleichtert. Das Deck wird zudem noch durch die Deckträger, längs über den Deckbalken verlaufenden Leisten verstärkt.

Nun ist die Holzkonstruktion abgeschlossen und das Kajak kann bezogen werden. Hierfür werden mehrere Häute, beispielsweise zwei der Klappmütze, einer großen Robbenart, oder fünf der viel kleineren Ringelrobbe, zu einer Decke zusammengenäht und über das Kajakgerüst gezogen.

Anschließend kann das feste Zubehör angebracht werden. Hierzu gehört natürlich zunächst das Cockpit, in dem der Kajakfahrer sitzt und welches von einem eiförmigen Ring, der an der Bespannung des Kajaks befestigt ist, begrenzt wird.

Um Stauraum auf dem Kajak zu ermöglichen, wurden über das Deck drei Deckleinenpaare gespannt, unter welche Jagdzubehör, wie Harpunen, Speere und weiteres gesteckt werden können.

Das Kajak in der Ausstellung des Deutschen Museums

Da sich das Kajak bereits seit über 115 Jahren im Deutschen Museum befindet, hat uns die Frage bewegt, wie es die Zeit über eigentlich ausgestellt war. Mit Hilfe von Zeitzeugenberichten, unseres Bildarchives wie auch Vorrecherchen von Andrea Lucas konnten wir die unterschiedlichen Ausstellungsphasen rekonstruieren. So war das Kajak von 1909 bis 1925 in der provisorischen Ausstellung des Deutschen Museums, damals noch in der Maximilianstraße ausgestellt. Es wurde vor einem Gemälde zum Thema „Ruder und Segelboote verschiedener Völker“ präsentiert.

Bei der Neueröffnung des Deutschen Museums auf der Museumsinsel im Jahre 1925 wurde das Kajak in ein von den Werkstätten des Deutschen Museums gebautem Diorama integriert bis es 1977 dann aus dem Diorama entnommen und solo in der Schifffahrtsausstellung aufgestellt wurde. 1986 entschied sich der Kurator der Schifffahrtsausstellung für eine Hängung des Objektes.

Forschung am Objekt

Seit September 2022 wird das Kajak von Julia Böhmer, Masterstudentin des Studiengangs Konservierung und Restaurierung von archäologischen, ethnologischen und kunsthandwerklichen Objekten an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart unter Anleitung ihrer Betreuerinnen Prof. Dr. Andrea Funck und Dr. Charlotte Holzer, Restauratorin am Deutschen Museum untersucht. Übergeordnete Frage ist hierbei, mit welchen Mitteln das Kajak für die Zukunft erhalten werden kann und welche Maßnahmen nötig sind, um es für die erneute Präsentation ausstellbar zu machen. Hierfür muss zunächst der Zustand des Kajaks und seiner Materialien festgestellt und dokumentiert sowie die Materialien des Kajaks bestimmt werden. Mithilfe der Untersuchungsergebnisse kann dann ein Konservierungs- und Restaurierungskonzept entworfen und umgesetzt werden.

Autor/in

Julia Böhmer

Julia Böhmer ist Studentin des Studiengangs Konservierung und Restaurierung von archäologischen, ethnologischen und kunsthandwerklichen Objekten an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, in dem sie 2020 ihren Bachelorabschluss erlangt hat. Seit September 2020 befindet sie sich im Masterstudiengang desselben Studienganges und arbeitet seit Oktober 2022 an ihrer Masterarbeit zum Inuit-Kajak des Deutschen Museums.  Ethnologische Objekte, speziell aus tierischen Materialien, und deren Restaurierung interessieren sie sehr.

Maike Priesterjahn

Maike Priesterjahn, M.A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Schifffahrt der Abteilung Verkehr, Mobilität, Transport. Sie hat Neuere Geschichte, Mittelalterliche Geschichte und Ältere Deutsche Philologie an der TU Berlin studiert und war Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG Sonderforschungsbereich „Transformationen der Antike“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2021 ist sie im Deutschen Museum tätig und war voher Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Schifffahrtsabteilung des Deutschen Technikmuseums. Dort hat sie eine Vorliebe für maritime Themen entwickelt.

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