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Was der berühmte Physiker, ein junger Erfinder und das Deutsche Museum miteinander zu tun haben.

„Ein wünschenswerter Gegenstand“

Autonomes Fahren ist seit Jahren ein angesagtes Fortschrittsthema. Während die Technologie für die Straße immer noch nicht gefahrlos funktioniert, haben erste Autopiloten schon vor etwa 100 Jahren das Steuer auf dem Wasser und in der Luft übernommen. Die Entwicklung dieser Geräte hängt dabei tatsächlich mit dem Deutschen Museum und mit dem berühmten Physiker Albert Einstein zusammen:

Voraussetzung für eine automatische Steuerung war zunächst ein leistungsfähiger Richtungsanzeiger, denn bei Schiffen aus Stahl war die Navigation mit einem Magnetkompass schwierig. Ein Problem, mit dem sich Anfang des 20. Jahrhunderts viele Ingenieure befassten. 1908 wurde der Fachwelt dann eine einigermaßen zufriedenstellende Lösung vorgestellt.

Für diesen Zweck war auch das 1903 gegründete Deutsche Museum von Anfang an ein beliebtes Forum. Es lud bereits in seiner Aufbauphase Erfinder und Ingenieure dazu ein, in einem Wunschbuch einzutragen, mit welchen Mitteln sie die Zukunft gestalten und verbessern wollten, und welche Neuerungen sie dann auch in den Sammlungen erwarteten. In diesem Wunschbuch findet sich auch ein Eintrag vom 4. Juni 1908: Hermann Anschütz-Kaempfe (1872 -1931) beschreibt dort einen „Kreisel-Apparat (nach Foucault) zum Nachweis der Erdrotation und des Einschwingens eines rotierenden Körpers von nur zwei Freiheitsgraden in den Meridian der Erde“ als wünschenswerten Gegenstand. Der junge Erfinder hatte bis dato einige Medizinsemester, ein Kunststudium (inkl. Promotion), eine Erbschaft und kürzere Polarfahrten hinter sich gebracht. Sein nächstes ehrgeiziges Ziel: mit einem U-Boot zum Nordpol vorzudringen! Doch da in einem stählernen U-Boot ein Magnetkompass versagt hätte, musste er sich zuerst auf die Entwicklung eines geeigneten Richtungsweisers konzentrieren.

Er berief sich dabei auf Léon Foucault, dessen langes Pendel 1851 zuerst in Paris und später auch im Deutschen Museum zu sehen war. Dessen Eigenschaften, die Erddrehung sichtbar zu machen, hatte Foucault danach in einem Gyroskop (wörtlich aus „Drehung“ und „sehen“) verarbeitet und als einen kleinen Kreisel technisch verfeinert. Dieser sollte bei einer bestimmten Lagerung auch in den Meridian, also die Nordrichtung einschwingen. Allerdings fehlte damals ein kontinuierlicher Antrieb. Der Eintrag in das Wunschbuch zitiert nun zwei Varianten, die Foucault beschrieben hatte, ohne dass deutlich wurde, worin nun genau die Wirkungsweise seiner Neuerung bestand.

Anschütz-Kaempfe experimentierte unter anderem mit gebrauchten Fahrradnaben und einem Elektromotor, um das Antriebsproblem zu lösen. Und er beauftragte eine Münchner Uhrmacherwerkstatt, mögliche „Prototypen“ zusammenzuschrauben, von denen er überzeugt war, sie könnten auch die Marine befriedigen, die dringend nach einem Ersatz für den Magnetkompass suchte.

Anschütz-Kaempfes vielen Entwicklungsvorstöße für einen neuen Richtungsweiser zum geographischen Nordpol lassen sich vergleichen mit der Erforschung einer Nord-West-Passage, einem Steuern durch unbekannte Regionen und feindliche Witterungen. Hinzu kamen widrige Einwände und Angriffe großmächtig konkurrierender Firmen wie Siemens. Einer ihrer Physiker hatte öffentlich behauptet, ein solcher Richtungsweiser könne auf schlingernden Schiffen nicht funktionieren. Anschütz-Kaempfe erwies sich jedoch als listenreich wie Odysseus, auf seinem Kurs, dicht, noch besser unbemerkt an fremden Patentansprüchen vorbeizusteuern. Er versuchte und änderte unentwegt. Schließlich wurde ihm 1904 gemeinsam mit einem Finanzier ein erstes Patent für einen „Kreiselapparat“ erteilt.

Zur Leistungssteigerung konnte er dann auch auf technische Neuheiten wie den Drehstromantrieb und Einflüsse aus dem Turbinenbau zugreifen, die in der nahen Technischen Hochschule München erforscht wurden. So wurden die Vorführungen seines Kreiselapparats auf einem Schiff der Marine ein voller Erfolg und Flottenchef Admiral Tirpitz griff zu, zum Preise von 20000 Reichsmark/Stück. Kurz danach griff auch Museumsgründer Oskar von Miller zu – gratis. Er lud den Erfinder ein, sein neuartiges Instrument im Deutschen Museum zu installieren - oder waren es zwei? - und dies auch bitte selbst zu tun, denn Elektriker seien im Hause gerade knapp. Eine kleine Demonstration kam in die Abteilung Physik (Inv. Nr 25114), der betriebsfähige Kreiselkompass in die Abteilung Schiffbau (Inv. Nr. 22074).

Die Kunst des Steuermanns und Albert Einsteins Lotsendienste

Bald bekam Hermann Anschütz-Kaempfe in seiner neuen, florierenden Produktionsstätte in Kiel von einem Amerikaner Besuch. Elmer Sperry war auf der Suche nach kommerziell verwertbaren Ideen. Als dieser kurz darauf einen eigenen Kreiselkompass vorstellte, klagte Urheber Anschütz-Kaempfe wegen einer Patentverletzung 1914 vor Gericht. Dieses berief nun den in Berlin ansässigen Patentexperten Albert Einstein, der bis 1909 am Patentamt in Bern tätig gewesen war. Zunächst konnte sich Einstein kein klares Bild der Funktionsweisen verschaffen. Auch mit einem schritlichen Gutachten war bei den verschiedenen Patenten für Kreiselapparate keine Priorität zu ermitteln. So verwies Einstein auf Versuche und ließ dabei seine „Leidenschaft für das Experiment“ erkennen.

Auf dieser Ebene kamen sich der Erfinder und der Gutachter offenbar auch persönlich näher. Einstein suchte nun Eigenschaften zur Definition des bei Anschütz-Kaempfes Gerät zugrundeliegenden Arbeitsprinzips und fand bei Experimentierserien „eine geringe Horizontalstabilität, auch wenn sie dem Erfinder nicht bekannt gewesen zu sein schien und gar nicht in den Patentansprüchen figurierte. Der Erfinder sei sich aber der Wichtigkeit des Merkmals sicher bewusst gewesen“. Technisch war dies durch eine pendelartige Aufhängung des Kreisels mit einer sehr großen Schwingungsdauer erreicht worden.

Bemerkenswert ist hier, dass Einstein ebenfalls die Begriffe Foucaults wählte und eine neue Charakteristik der Freiheitsgrade des Kreisels spezifizierte, die Anschütz-Kaempfe vor Jahren in seiner Eintragung im Wunschbuch des Museums nicht erwähnt hatte. Er beschrieb dies später dem Erfinder als gemeinsame Erfindungs- und Definitionsarbeit, wonach dieser das Verfahren lieferte, Einstein die entscheidende Definition: „man muß eben darauf kommen“. Einstein übernahm damit auch gleichzeitig die Rolle eines Technikkommunikators und -erklärers, wo er auftragsgemäß und primär eigentlich als neutraler Gutachter handeln sollte. Sperry wurde daraufhin wegen wissentlicher Patentverletzung verurteilt. Damit war für die Firma Anschütz ein wichtiger Schritt für die Sicherung der erdweiten Märkte erreicht.

Diese später auch für Albert Einstein selbst lukrative Definitionsmacht zog Hermann Anschütz-Kaempfe in der Folge gerne weiter heran. Einsteins Gutachtertätigkeit erregte dann auch gelegentlich Neid und Argwohn. Der Strömungsexperte Professor Ludwig Prandtl bemerkte als ein Konkurrent dazu sarkastisch: „Wenn Professor Einstein, der sicher vom Fliegen weniger versteht wie ich, als Gutachter auftreten wird, so kann das ja sehr interessant werden.“

Fortsetzung folgt...

Tipps zum Weiterlesen:

  • Broelmann, Jobst: „Die Kultur geht so gänzlich flöten bei der Technik". Der Unternehmer und Privatgelehrte Hermann Anschütz-Kaempfe und Albert Einsteins Beitrag zur Erfindung des Kreiselkompasses. Kultur & Technik, München, 1991,H. 1, S. 50 - 58
  • Intuition und Wissenschaft in der Kreiseltechnik 1750 bis 1930; Deutsches Museum, Abhandlungen und Berichte, Neue Folge, Band 17, München 2002
  • Der Spieltrieb des Forschers. Einstein und die Technik. Kultur & Technik, München, 2005, H. 2, S.24- 30.
  • Sichau, Christian: Einstimmig gewählt. Einstein und das Deutsche Museum. Kultur & Technik, München, 2005, H. 2, S. 16-20.

Autor/in

Jobst Broelmann

Jobst Broelmann

Jobst Broelmann, ehrenamtlicher Senior Researcher am Forschungsinstitut, studierte und erforschte die Schiffstechnik in Hamburg, bevor sein Weg ihn 1981 in das Deutsche Museum und, nach einem Brand, zur Neugestaltung der Abt. Schifffahrt führte. Nach Veröffentlichungen zur Technik- und Abteilungsgeschichte befasst er sich mit der Restaurierung, Präsentation und Veränderung von Schiffen in Museen.

Sein Tipp im Deutschen Museum sind die neue Luftfahrtabteilung und, immer wieder, die reichhaltige Bibliothek.

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