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Im Phakoskop treffen Physik, Physiologie und experimentelle Psychologie aufeinander. Das Mitte des 19. Jahrhunderts von Hermann von Helmholtz (1821–1894) entwickelte Instrument dient zur Untersuchung der Akkomodation, also der Fähigkeit des Auges, dynamisch auf entfernte oder nahe Objekte scharfzustellen. In der Sammlung des Deutschen Museums befindet sich ein erhaltenes Original-Phaskoskop von Hermann von Helmholtz. Mit den Methoden der experimentellen Wissenschaftsgeschichte nähern wir uns in diesem Beitrag dessen Verwendung. Wie führte man Beobachtungen mit diesem Instrument durch? Welches (Handlungs-)Wissen brauchte der Experimentator? Welche Schwierigkeiten verschweigen die historischen Quellen? Und welche neuen Fragen rücken damit in den Vordergrund?

Das Wort 'Phakoskop' setzt sich aus zwei griechischen Wörtern zusammen. Das Präfix 'phako' stammt vom Begriff 'φακός' (phakos) und bedeutet 'Linse' oder in wissenschaftlichen und medizinischen Bereichen 'Kristalllinse'. Das Suffix 'scope' kommt vom Wort 'σκοπεῖν' (skopein) und bedeutet 'beobachten' oder 'untersuchen'. Das 'Phakoskop' ist also ein Instrument zur Untersuchung der Linse des menschlichen Auges.

Die Entstehung der modernen physiologischen Optik

Das menschliche Sehen hat schon lange die Aufmerksamkeit von Naturphilosophen, Medizinern und Forschern im Allgemeinen auf sich gezogen und Faszination auf alle ausgeübt, die sich um die Entschlüsselung seiner grundlegenden Prinzipien und Mechanismen bemühten. Doch zumindest bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Erforschung des Sehens kaum als (eigenständiges) Fachgebiet angesehen. Sie war stark zergliedert; die zugehörigen Themen und deren Bearbeitung waren über zahlreiche verschiedene Zeitschriften und Periodika verstreut. Zwischen 1840 und 1870 vollzog sich jedoch ein tiefgreifender Wandel in der Erforschung des Sehens, der durch ein neues Ausmaß an Verflechtung zwischen Methodik und Theorie gekennzeichnet war. An der Spitze dieser entscheidenden Wende stand der Universalgelehrte Hermann von Helmholtz. Er legte den Grundstein für das moderne Gebiet der physiologischen Optik und begründete eine Tradition, die die methodischen Ansätze der Physik, der Physiologie und der Experimentalpsychologie miteinander verband.

Das Gebiet der physiologischen Optik umfasst den Prozess der Sehfähigkeit, einschließlich der Optik des Auges, der physiologischen und psychologischen Prozesse, die an der Wahrnehmung beteiligt sind, sowie der Struktur des Auges und des visuellen Systems.

Alle von Helmholtz erfundenen Instrumente zur Erforschung des menschlichen Sehens haben ein gemeinsames Merkmal: Beobachter, Gegenstand und Licht sind eng miteinander verwoben; sie bilden aktive Bestandteile des Instruments selbst. Unter diesen Instrumenten sticht das Phakoskop hervor ­– ein Instrument, das den Mechanismus der Akkommodation darstellen sollte, d. h. die Fähigkeit des Auges, seinen Fokus von entfernten Objekten auf nahe Objekte zu richten und umgekehrt.

Das hier vorgestellte Forschungsprojekt im Rahmen des Scholar-in-Residence-Programms am Deutschen Museum zielt darauf ab, Helmholtz' Original-Phakoskop zu untersuchen. Seit 1906 befindet es sich durch eine Schenkung des Physikalischen Instituts der Friedrich-Wilhlems-Universität in Berlin (heute: Humboldt-Universität zu Berlin) in der Sammlung des Deutschen Museums.

Die zugrundeliegende Theorie: Purkinje-Sanson-Bilder

Dreh- und Angelpunkt der Theorie des Phakoskops sind die sogenannten Purkinje-Sanson-Bilder. Benannt sind diese Bilder nach den Physiologen Johannes Evangelista Purkinje und Louis Joseph Sanson, die sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals umfassend beschrieben haben.

Befindet sich eine Lichtquelle, z. B. eine Kerzenflamme, in der Nähe des Auges, so sind in der Pupille drei Reflexionen der Flamme sichtbar: eine aufgrund der konvexen vorderen Oberfläche der Hornhaut; die zweite aufgrund der konvexen vorderen Oberfläche der Augenlinse; und die dritte aufgrund der konkaven hinteren Oberfläche der Augenlinse. Die Beobachtung der Veränderungen dieser Reflexionen, wenn eine Person den Fokus von einem nahen zu einem entfernten Objekt verlagert, ermöglicht eine direkte visuelle Darstellung des Akkommodationsmechanismus. Wie der niederländische Augenarzt Antonie Cramer und Helmholtz zwischen 1851 und 1855 feststellten, unterliegt während der Akkommodation nur das zweite dieser Bilder signifikanten Veränderungen in Position und Dimension.

Heutzutage können dank verfeinerter Untersuchungsmethoden mindestens vier Purkinje-Bilder innerhalb der Pupille beobachtet werden.

Die Untersuchungen von Helmholtz schlossen genaue Messungen der Krümmungsradien der Hornhaut sowie der vorderen und hinteren Fläche der Linse ein. Die Ergebnisse zeigten, dass sich nur die Krümmung der vorderen Oberfläche der Linse signifikant verändert, zwischen 10 bzw. 6 mm beim Fokussieren auf ferne bzw. nahe Objekte. Folglich ist das zweite Bild das einzige, das während der Akkommodation nennenswerte Veränderungen in Größe und Position erfährt. Dieses Bild ist jedoch auch am schwierigsten zu erkennen, da es sich ca. 8–12 mm hinter der Pupille befindet, was zu einem sehr schwachen Erscheinungsbild führt.

Eine kurze Beschreibung des Instruments

Das Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte Phakoskop wurde schnell populär und fand in akademischen Vorlesungen über Physik, experimentelle Psychologie und Physiologie breite Anwendung. Trotz seiner weiten Verbreitung hat Helmholtz das Gerät nie beschrieben, wie Otto Becker, Professor für Augenheilkunde an der Universität Heidelberg, feststellte. Dies holte Becker im Jahr 1874 nach.

„Es [das Phakoskop] wurde vor Jahren von Helmholtz konstruirt und von ihm beim Unterricht benutzt. Da es, wie ich glaube, nirgends beschrieben ist und ich es beim Unterricht in der Augenheilkunde sehr verwendbar finde, so erfülle ich einen alten Wunsch von Helmholtz, indem ich es Ihnen heute vorzeige.“
Otto Becker, Professor für Augenheilkunde, 1874

Das Phakoskop besteht aus einem dreieckigen, innen schwarz lackierten Kasten mit vier Öffnungen: eine rechteckige Öffnung für eine Nadel, die das nahe Objekt darstellt; eine ovale Öffnung für das Auge der Versuchsperson; und zwei seitliche Öffnungen. Eine enthält zwei Prismen, die das Licht auf das Auge der Versuchsperson lenken, die zweite seitliche Öffnung dient dem Beobachter. Der Winkel, der durch die erste seitliche Öffnung, die ovale Öffnung für das Auge der Versuchsperson und die zweite seitliche Öffnung gebildet wird, beträgt 90°. Der herausnehmbare rechteckige Streifen, der die Nadel enthält, ist in der Rückansicht des Phakoskops gut zu erkennen. Die kreisförmige Öffnung, die der Beobachtung dient, hat einen Radius von 26,5mm; die ovalen Öffnungen haben jeweils einen Radius von 40,5 mm bzw. 29,5 mm. Das Instrument des Deutschen Museums besteht aus Metall, schwarzem Papier, Leinenstoff und Glass, misst 105 x 135 x 250 mm und wiegt 0,29 kg.

Wie die Signatur am Gerät verrät, hat Heinrich Sittel das Phakopskop aus der Sammlung des Deutschen Museums gefertigt. Sittel war ab 1858 Assistent von Helmholtz am Physiologischen Institut der Universität Heidelberg. Das Instrument wurde zunächst von Helmholtz in Heidelberg benutzt, wie aus dem alten Inventar der physiologischen Sammlung der Universität hervorgeht, bevor es an das Physikalische Institut in Berlin überführt wurde, wo Helmholtz 1871 zum Professor ernannt wurde.

Die experimentelle Geschichte der Wissenschaft untersucht, wie die Erfahrungen und Praktiken historischer Akteure die Wissensproduktion beeinflusst haben, indem sie die verborgenen Praktiken, Verbindungen und das Wissen untersucht, das in materiellen Objekten eingebettet ist.

So wird das Phakoskop angewendet

Otto Becker stellte fest, dass eine Lichtquelle, die in einem dunklen Raum in der Nähe der Prismen positioniert wird, es dem Beobachter ermöglichen sollte, drei Spiegelungen, die Purkinje-Sanson-Bilder, in den Pupillen der Versuchsperson zu sehen. Bei der Anwendung des Phakoskops fokussiert die Versuchsperson zunächst ein entferntes Objekt durch das rechteckige Fenster und stellt dann ihren Fokus auf die eingeführte Nadel um. Infolgedessen sollte eine merkliche Veränderung der Größe und Form des zweiten Purkinje-Bildes zu erkennen sein.

Nachstellung von Helmholtz' Beobachtungen am Deutschen Museum

Um die Anwendung des Phakoskops genauer zu studieren und verborgene Aspekte der Beobachtungsprozeduren aufzudecken, die in der Originalbeschreibung nicht explizit gemacht wurden, haben wir im Rahmen meiner Forschung als Scholar in Residence Helmholtz' Erfahrungen mit dem Phakoskop nachgestellt.

Das Photoatelier des Deutschen Museums bot ein ideales Umfeld: Es kann in einer Dunkelkammer umgewandelt werden und verfügt über die notwendigen Geräte für die Beobachtung der Augen der Probanden. Dazu hat bereits Becker beschrieben: „Ein mässig kurzsichtiges Auge mit weiter Pupille erleichtert die Demonstration sehr.“

Unser Versuchsaufbau sah so aus: Plexiglasblöcke unterschiedlicher Dicke wurden verwendet, um die Höhe der Objekte für unsere Nachstellung anzupassen. Das Phakoskop wurde sicher auf einer Halterung aus Holzblöcken und Styropor befestigt. Um die Stabilität zu gewährleisten, wurde zwischen den Styroporschichten oberhalb des Phakoskops ein Holzpfahl eingelegt. Nachdem wir verschiedene Lichtquellen getestet und erste Beobachtungen in der Dunkelkammer durchgeführt hatten, entschieden wir uns für eine mit Klebeband an einem Stativ befestigte Glühbirne als Lichtquelle. Damit konnten wir Höhe, Winkel und Abstand zu den Prismen flexibel einzustellen.

Trotz zahlreicher Beschreibungen in Lehrbüchern aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, die auf die Beobachtung der drei Bilder hinweisen, konnten wir das zweite Purkinje-Sanson-Bild nicht erkennen; nur das erste und das dritte waren sichtbar. Mit dieser Schwierigkeit waren nicht nur wir konfrontiert, wie das folgende Zitat von Gerhard Holland, Professor für Physiologie an der Universität Kiel, belegt.
„„Mit dem von Becker beschriebenen Instrument ist jedoch die Demonstration der Purkinje-Sansonschen Spiegelbildchen und ihren [sic] Veränderung beim Akkommodationsvorgang sehr schwierig. […] Die Ursache für diese Schwierigkeit liegt darin begründet, daß der Winkel, der von der Lichtquelle, dem untersuchten und dem beobachtenden Auge gebildet wird, in dem Phakoskop 90° beträgt und damit bei weitem zu groß ist.““
Gerhard Holland, Professor für Physiologie an der Universität Kiel

Zweiter Versuch mit veränderter Anordnung

Ausgehend von den Erkenntnissen Hollands, der in den 1950er-Jahren eine verbesserte und modifizierte Version des Phakoskops entwickelte, unternahmen wir einen zweiten Versuch. Indem wir den Winkel zwischen Experimentator (Kamera), Versuchsperson und Lichtquelle auf 45° reduzierten, wollten wir das Problem lösen. Die Kamera befand sich nun in der rechteckigen Öffnung, die zuvor von der Nadel besetzt war, direkt vor dem Auge der Versuchsperson. Die Probandin wurde angewiesen, einen beliebigen Punkt auf der Innenfläche des Instruments innerhalb des 45°-Bereichs zwischen der Kamera und den Prismen zu fokussieren.

Obwohl wir nicht in der Lage waren, die Veränderungen in der Form und Position des Bildes aufgrund der Akkommodation zu beobachten, ermöglichte uns diese neue Anordnung, alle drei Purkinje-Bilder zu beobachten. Damit bestätigt sie Hollands Aussage.

Wie Helmholtz' Instrument in die Gegenwart wirkt

Die Nachstellung von Helmholtz' ursprünglichen Beobachtungen hat nicht nur neue Erkenntnisse über die komplizierte Beziehung zwischen Experimentator, Versuchsperson und Licht bei dieser Art von Experiment hervorgebracht, sondern auch die im Originalgerät liegenden Beschränkungen aufgezeigt. Dies wirft neue Fragen auf und veranlasst uns, darüber nachzudenken, warum Helmholtz das Phakoskop nie selbst beschrieben und warum Becker das Experiment akribisch auf kurzsichtige Augen mit weiten Pupillen zugeschnitten hat.

Die Prinzipien, die Helmholtz' Phakoskop zugrunde liegen, bereiteten den Weg für spätere Untersuchungen der Akkommodationsmechanismen. In einer in den 1970er­-Jahren durchgeführten Studie, die vom Air Force Office of Scientific Research unterstützt wurde, entwickelten die Forscher beispielsweise eine moderne Version des Phakoskops, um Veränderungen der Krümmung der vorderen Oberfläche der Augenlinse zu messen. Auf diese Weise konnten sie diese Veränderungen mit der wahrgenommenen Größe von weit entfernten Objekten in Beziehung setzen.

Das Projekt am Deutschen Museum

Das Phakoskop, das vorerst zur Ergänzung des Unterrichts in Physik, Physiologie, Augenheilkunde und experimenteller Psychologie sowohl an europäischen als auch an amerikanischen Universitäten eingesetzt wurde, hat sich als beispielhafte Fallstudie erwiesen: Es ist ideal geeignet, um die Wechselbeziehung zwischen Optik, Physiologie und experimenteller Psychologie auf dem aufkeimenden Gebiet der wissenschaftlichen Untersuchung des menschlichen Sehens zu untersuchen.

Die Methoden der experimentellen Wissenschaftsgeschichte haben es mir in meinem Projekt erlaubt, Beschränkungen der Gerätschaften, implizites Wissen und das feingliedrige Wechselspiel zwischen Experimentalaufbau, Probandin und Experimentator heute wieder ans Licht zu bringen. Mit seinem Archiv, seiner Bibliothek und seinen objektbezogenen Forschungseinrichtungen bietet das Deutsche Museum als eines der Foruschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft ein ideales Umfeld für die Durchführung dieses Forschungsprojekts.

Stipendien für WissenschaftlerInnen

Autor/in

Valentina Roberti

Valentina Roberti

Valentina Roberti hat Physik an der Universität Bologna studiert und in Physikgeschichte an der Universität Padua promoviert. Sie hat als Postdoktorandin im Bereich Wissenschafts- und Technikgeschichte an der Universität Padua gearbeitet und forscht derzeit als Scholar in Residence am Deutschen Museum über Helmholtz und die Erforschung des Sehens.

Tipps für einen thematischen Rundgang: Entdecken Sie den roten Faden des Sehens und der Farbwahrnehmung in den Ausstellungen zu Optik, Gesundheit, Chemie und Fotografie im Deutschen Museum.

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