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Vielleicht hat Oskar Knoblauch, der zwischen 1910 und 1942 Professor für Physik an der Königlichen Technischen Hochschule in München war, seiner Frau in der blauen Box einmal ein Schmuckstück zum Geburtstag geschenkt? Als Knoblauch die blaue Schachtel allerdings im Jahr 1930 an das Deutsche Museum gab, befand sich darin jedoch kein edler Schmuck, sondern ein Stück Kabel und zwar ein Abschnitt des ersten transatlantischen Tiefseekabels, das im Jahr 1858 im Atlantik verlegt worden war, um den schnellen Austausch von Nachrichten zwischen Europa und den USA zu ermöglichen. Das Kabel in der Box hatte nicht nur einen Sammlerwert für Professor Knoblauch. Eine intensivere Auseinandersetzung mit den Rohstoffen, aus denen das Kabelstück besteht, zeigt noch einen weiteren Grund, warum die edle Verpackung angemessen war. Für die Isolierung von Tiefseekabeln wurde Guttapercha benötigt. Dieser Rohstoff stammt aus einer Region die jahrelang unter niederländischer und britischer Kolonialherrschaft stand. Erfahren Sie mehr über zahlreiche Objekte aus der Sammlung des Deutschen Museums und was diese über die Geschichte des Rohstoffs Guttapercha, über seine Verwendung und über den Kolonialismus – auch den deutschen – erzählen.

Ein „neuer“ Rohstoff: Guttapercha

Der Guttaperchabaum ist in Südostasien heimisch. Aus der getrockneten Milch dieser Bäume lässt sich ein kautschukähnlicher Rohstoff gewinnen. Um diesen zu erhalten wurde der Baum gefällt und die Milch durch mehrere Einschnitte in der Rinde abgezapft. Aus diesem Material wurden in der Ursprungsregion wasserfeste Behälter sowie Griffe für Messer und Äxte hergestellt. Guttapercha gelangte im Jahr 1843 das erste Mal über Singapur nach London. Aufgrund seiner Beschaffenheit wurde das Material nun auch für europäische Produzenten interessant. Guttapercha wird nach dem Erhitzen geschmeidig und kann in fast jede Form gepresst werden. Nach dem Erkalten bleibt die Form erhalten. Guttapercha ist wasserabweisend und sehr resistent. Golfbälle oder die Schlagstöcke der britischen Polizei bestanden aus dem Material. Am häufigsten wurde es jedoch als Isoliermaterial bei der Produktion von Unterwassertelegraphenkabeln eingesetzt.

Aufbau eines Telegraphen-Unterwasserkabels

Unterwasserkabel bestehen grob aus zwei Teilen: dem leitenden Kern des Kabels, der aus Kupferdrähten und einer Isolationsschicht aus Guttapercha besteht. Im Jahr 1847 entwickelte Werner von Siemens eine spezielle Guttapercha-Presse, um die Guttaperchaisolierung nahtlos und regelmäßig auf das Kupferkabel aufzutragen (Inv.-Nr. 2459).

Der zweite Teil war die Kabelummantelung, die je nach Einsatzzweck des Kabels variierte. In der Kabelsammlung des Deutschen Museums befinden sich diverse Beispiele für solche Ummantelungen, u.a. ein transatlantisches Kabel, das im Jahr 1894 zwischen Irland und Kanada verlegt wurde. Die Ummantelung besteht in diesem Fall aus Schichten von Messingbändern, Jute, Armierungsdrähten und einer Schutzschicht, vermutlich aus Teer (Inv.-Nr. 19807). Ein weiteres Beispiel ist ein Felsenkabel, das in den 1890er Jahren im Atlantischen Ozean verlegt wurde (Inv.-Nr. 19813). Kupfer und Guttapercha sind in diesem Fall nicht nur mit Jute und Schutzdrähten sowie einer Teerschicht ummantelt, sondern auch noch einmal mit einer Extraschicht an Schutzdrähten verstärkt worden, um es gegen scharfe Felsen abzusichern.

Kabel wurden nicht am Stück für die gesamte Strecke, z.B. zwischen Irland und Kanada, hergestellt. Wenn das Ende eines Kabels nach einigen Kilometern erreicht war, musste das Ende des alten Kabels mit dem Anfang des neuen Kabels verlötet werden. Diese Kabelabschnitte waren besonders anfällig für das Eindringen von Salzwasser. Aus diesem Grund wurden zwei Kabel mit einer Lötmuffe verbunden.

Die Verlegung eines Tiefseekabels

Im Jahr 1850 wurde der erste Versuch unternommen, ein Kabel zwischen Dover und Calais zu verlegen. Die Verlegung war erfolgreich, der Anker eines Fischers zerriss das Kabel aber nur wenige Stunden später. Im darauffolgenden Jahr wurde ein weiterer Versuch mit einem besser ummantelten Kabel unternommen. Diese Verlegung war erfolgreich und gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden immer mehr Kabel im Meer versenkt.

Für diese Unternehmungen waren nicht nur Kabel erforderlich die unterschiedlichen Seeböden und Schiffsankern standhalten konnten, sondern auch Schiffe, die in der Lage waren, Kabel zu verlegen. Die Firma Siemens & Halske besaß eigene Schiffe, die speziell für die Verlegung von Kabeln auf dem Meer gebaut worden waren. Das erste Schiff der Firma war die Faraday I, die 1874 vom Stapel lief. Ein Gemälde dieses Schiffes befindet sich im Deutschen Museum (Inv.-Nr. 66050).

Das Netzwerk der Unterwasserkabel breitet sich aus

Zu den bekanntesten Kabelverlegungen gehören die Verbindungen zwischen Europa und Nordamerika. Das transatlantische Tiefseekabel, welches Professor Knoblauch in seiner blauen Schmuckdose aufbewahrte, ist ein Beispiel dafür. Das Netzwerk unter Wasser verband allerdings immer neue Regionen der Welt miteinander. Ab 1867 baute Siemens & Halske das Indo-Europäische Telegraphensystem zwischen London und Kalkutta auf. Für den Streckenabschnitt durch das Schwarze Meer wurde ein Seekabel verlegt. Ein Empfangsgerät des Systems befindet sich in der Sammlung des Deutschen Museums (Inv.-Nr. 2390).

Ab den 1880er Jahren wurden europäische Metropolen mit Argentinien, Australien, Südafrika und Südostasien verbunden. Zudem stellte das Deutsche Kaiserreich Kontakt mit den eigenen Kolonien im Pazifischen Ozean her. Im Jahr 1905 produzierten die Norddeutschen Seekabelwerke die Kabel, die zwischen Manado, Yap, Shanghai und Guam verlegt wurden.

Die schnelle Kommunikation durch die Telegraphie war u.a. für wirtschaftliche Interessen wichtig, zum Beispiel, um über Rohstoffpreise zu verhandeln. Gleichzeitig konnten die europäischen Kolonialmächte auf diesem Wege besser ihre Kolonien verwalten und z. B. schneller auf Aufstände und kriegerische Auseinandersetzungen reagieren.

Ein knapper Rohstoff: Guttapercha

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren etwa 200.000 nautische Meilen (ca. 370.000 Kilometer) Unterwasserkabel verlegt. Für diese Strecke wurden geschätzte 27.000 Tonnen Guttapercha verwendet, was etwa 88 Millionen gefällten Bäumen entspricht. Ab dem Jahr 1900 waren die Guttapercha produzierenden Bäume auf der Halbinsel, auf der sich auch Singapur befindet (heutiges Malaysia) und auf Borneo so gut wie ausgerottet. Auf Grund dessen entsandten verschiedene Kolonialmächte Expeditionen in ihre Kolonien. Sie wollten herausfinden, ob der Abbau auch in anderen Regionen möglich war. Auch das Deutsche Reich entsandte eine solche Expedition.

Guttapercha und die deutschen Kolonien in Ozeanien

Das Deutsche Kaiserreich besaß in den Jahren 1884 bis 1914 Kolonien im Pazifischen Ozean. Aufgrund des Rückgangs der Guttapercha produzierenden Bäume in Südostasien, der steigenden Preise und der erhöhten Nachfrage nach diesem Rohstoff, wurde nun auch in der deutschen Kolonie nach Guttapercha gesucht. Um die Bäume zu finden, wurde zwischen 1907 und 1909 eigens eine Expedition nach Kaiser-Wilhelmsland (heutiges Papua-Neuguinea) entsandt. Ein deutscher Botaniker und fünf Guttapercha-Experten von der Insel Sumatra (heutiges Indonesien) durchkämmten die Wälder der deutschen Kolonie. Zwar wurde Guttapercha gefunden und abgebaut, es lohnte sich jedoch nicht. Zum einen fehlte es an Infrastruktur, wie zum Beispiel an ausgebauten Wegen, Lasttieren und Lagerplätzen. Zum anderen war der Abbau von Guttapercha in Südostasien fast ausschließlich von der dort lebenden Bevölkerung betrieben worden. In der deutschen Kolonie gab es allerdings nicht genug einheimische Arbeitskräfte, die bereit waren, den Abbau durchzuführen. Außerdem war die Qualität des Guttaperchas nicht für die Kabelindustrie geeignet.

Unterwasserkabel und der Kolonialismus

Die mit Guttapercha isolierten Tiefseekabel legten nicht nur den Grundstein für ein modernes und weltweites Kommunikationsnetzwerk. Die damals nur mit Hilfe eines kolonialen Rohstoffs herstellbaren Kabel übermittelten Nachrichten in kürzester Zeit und ermöglichten den Kolonialmächten eine neue, effizientere Form der kolonialen Herrschaft. Gleichzeitig war das Fällen von etwa 88 Millionen Bäumen für die Guttaperchaproduktion der Anfang des zügellosen Raubbaus der Regenwälder Südostasiens, der bis heute anhält. Heute werden die Wälder gerodet, um Plantagen für Ölpalmen anzulegen.

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Autor/in

Sara Müller

Sara Müller ist Historikerin und war als Stipendiatin im Rahmen des „Scholar in Residence“ Programms für drei Monate am Deutschen Museum. Sie forscht zum deutschen Kolonialismus im pazifischen Ozean und wollte wissen, ob sich Spuren des Kolonialismus auch noch im Deutschen Museum finden lassen.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Ein Besuch bei “Tante Ju”, dem in den 1930er Jahren weltberühmten Passagier- und Frachtflugzeug Junkers Ju 52, in der Ausstellung Historische Luftfahrt.

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