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Wilhelm Uebelacker (1823 -1890) war ein vielseitiger und bisher unbeachteter Münchner Erfinder und Musiker. Folgen Sie mir auf einer Spurensuche im München des 19. Jahrhunderts.

Die Recherche zu einem Museumsobjekt ermöglicht das Beschreiten ganz unterschiedlicher Pfade. Dies können unter anderem Bau-, Funktionsweise und Materialität sein, die Einordnung in einen sozialgeschichtlichen Kontext, das Repertoire oder akustische Untersuchungen. In diesem Beitrag soll nicht das Objekt selbst, sondern die Person dahinter sowie das Skizzieren meiner Recherchen zu dieser in den Fokus gestellt werden. Ich folge somit nicht den Spuren eines Artefaktes, sondern menschlichen Fußabdrücken. Also Trenchcoat übergeworfen, Lupe gezückt und los geht die Indizienjagd.

Das oben abgebildete und im Depot befindliche Instrument wird in den Inventarisierungsunterlagen des Deutschen Museums als Adiaphon (Stimmgabelklavier), Wilhelm Uebelacker, München um 1870, Inv.-Nr. 44503 geführt.

Eine erste Suche in den digitalisierten Zeitungsarchiven über das Münchner Digitalisierungszentrum förderte einen Artikel aus Bayerischer Kurier vom 19. Mai 1858 zutage. Darin wurde über das Adiaphon folgendes berichtet:

„Wir haben dieser Tage Gelegenheit gehabt, ein vom dem hiesigen Zitherlehrer Hrn. Uebelacker erfundenes neues musikalisches Instrument kennen zu lernen, das wegen seiner Eigenthümlichkeit und Neuheit auch in weiteren Kreisen bekannt zu werden verdient. Unter einem nur wenig Raum einnehmenden sehr eleganten Aueßern ist eine Anzahl harmonisch zusammengestimmter Stimmgabeln im Halbkreise angebracht, welche durch Streichung ihrer Seitenflächen einen höchst wohltuenden Ton hervorbringen, der an die Aeolsharfe erinnert, den Wohllaut derselben aber weit übertrifft. Man spielt dieses Instrument mittelst Tasten, wie ein Klavier und es eignet sich zunächst vorzüglich für getragene Musikstücke. […]“

Auf Spurensuche: Wer war Wilhelm Uebelacker?

Ich hatte bis dahin weder von einem Wilhelm Uebelacker gehört, noch war seine Erfindung in der Literatur zu Musikinstrumenten verzeichnet. Ein Patent, das bei einem solch ungewöhnlichen Instrument zu erwarten wäre, ließ sich ebenfalls nicht ausfindig machen. Es war kein Lexikonartikel zu ermitteln, in dem Uebelacker oder sein Instrument erwähnt wurden. Ich musste also bei Null beginnen.

Eine Schwierigkeit besteht darin, dass die Suche zwar wie oben, einen Hrn. Uebelacker oder gar einen Wilhelm Uebelacker liefern kann, aber die Frage bleibt, ob es sich tatsächlich immer um die gesuchte Person handelt. Neben der Ortsbeschränkung auf München können die Lebensdaten eine weitere Filtermöglichkeit und wichtige Hilfe darstellen, die Namenszuordnung zu erleichtern. Diese waren jedoch unbekannt und ließen sich nicht auf direktem Wege, beispielsweise durch Nachschlagen in einem Personenlexikon oder entsprechendem Wikipedia Artikel ermitteln. Also grub ich mich erst einmal weiter durch zeitgenössische Publikationen, um zusätzliche Anhaltspunkte ausfindig zu machen. Bei der Durchsicht der entsprechenden Münchner Adressbücher stellte sich heraus, dass nur Heinrich, Heinrich Wilhelm und Wilhelm Uebelacker mit Musikberufen in Frage kommen könnten. Jetzt war ich allerdings mit drei Namen und evtl. drei unterschiedlichen Personen konfrontiert. Die Vornamen tauchten zwar nie gleichzeitig auf, würde es sich hierbei jedoch um eine Person handeln, wäre Herr Uebelacker auffällig häufig umgezogen. Zwischen 1850 und 1890 ließen sich nämlich 15 verschiedene Adressen nachweisen. Für die Zeit vor 1850 lag mir als nächste Ausgabe nur das Adressbuch von 1845 vor, in dem der Gesuchte nicht aufgeführt war. Die Adressbücher zwischen 1846 und 1849 fehlten in allen Münchner Archiven und Bibliotheken.

Chronologische Adressliste

Tauchte anfangs nur der Vorname Heinrich in den Adressbüchern auf, wurde dieser 1860 um den zweiten Vornamen ergänzt als Heinrich Wilhelm benannt. Wegen eines gleichzeitigen Adresswechsels könnte es sich um einen zweiten Uebelacker gehandelt haben. Da der ursprüngliche Heinrich aber nicht mehr verzeichnet war, sprach zumindest nichts gegen die Personalunion. Bis 1864 wurde dieser Heinrich Wilhelm als Musiker, 1865 als Musikus und ab 1866 als Hofmusikus geführt. In den Hofkalendern konnte ich diese letzte Titulierung jedoch nicht verifizieren. 1875 änderte sich die Berufsbezeichnung zu Musiklehrer und nur noch Wilhelm wurde als Vorname genannt, diesmal bei gleichbleibender Anschrift zum Heinrich Wilhelm von 1874. Ergänzende Quellen mussten her und so nahm ich den polizeilichen Meldebogen Uebelackers aus dem Stadtarchiv in Augenschein. Laut diesem wohnte Heinrich Wilhelm Uebelacker ab 1866 in München, geboren wurde er in Landshut. Adressen waren dort sogar erst ab 1873 angegeben, stimmten dann allerdings mit denen aus den Adressbüchern überein. Der Einzug lag laut Meldebogen nur immer ein Jahr vor dem entsprechenden Datum des Adressbuchs, was verständlich ist. Weitere polizeiliche Meldebögen eines Heinrich Uebelacker oder anderer Kombinationen der Vornamen lagen im Stadtarchiv nicht vor, weshalb ich weiterhin davon ausging, dass es sich bei Heinrich und Heinrich Wilhelm um ein und dieselbe Person handelte.

Nach der Klärung der Namensirrungen und -wirrungen konnten weitere Erfindungen des Wilhelm Uebelacker zugeordnet und in den Blick genommen werden. Im Volksfreund vom 15. August 1862 wurde neben dem schon bekannten und im Deutschen Museum befindlichen Instrument ein weiteres erwähnt.

Die genauen Erläuterungen der Funktionsweise dieser Glaszither blieb der Verfasser leider schuldig und Weiteres ließ sich nicht über das Instrument in Erfahrung bringen. Beide Erfindungen wurden jedenfalls einem H. W. Uebelacker zugeordnet, ein zusätzliches und für mich an dieser Stelle abschließendes Indiz, dass die in den Adressbüchern genannten Heinrich, Heinrich Wilhelm und Wilhelm die gleiche Person und den Erfinder des Instrumentes bezeichneten. Damit erschöpfte sich der musikalische Erfindergeist Uebelackers jedoch nicht.

Die Funktionsweise oder der Aufbau dieser dritten Instrumentenerfindung, einer Metallzither, bleibt ebenfalls unbekannt. Es ist durchaus vorstellbar, dass es sich hierbei nur um eine andere Besaitung der Zither handeln könnte. Woher die Bezeichnung Musikprofessor kam und welchen Hintergrund diese hatte, ist offen.

Auf eine sehr spannende Idee ganz anderer Art weisen Neueste Nachrichten aus dem Gebiete der Politik vom 8. Juli 1869 hin:

Das erste Gitarrenlehrbuch mit Fotoerklärung?

Diese Publikation ist wahrscheinlich das früheste derart medialisierte Gitarrenlehrbuch überhaupt und kann in der Bayrischen Staatsbibliothek, auch online, begutachtet werden:

Außer Fragen zum abgebildeten Griff und der Akkordbezeichnung bleibt an dieser Stelle der Besitzer der Hand uneindeutig. Es könnte die des gesuchten Uebelacker sein, oder auch nicht.

Aber damit gab ich mich und auch Uebelacker sich nicht zufrieden. Neben den musikbezogenen Artefakten tauchten in der Presse weitere Erfindungen auf. Hierzu zählten ein System, um Todesfälle bei Schützenfesten zu vermeiden oder zu reduzieren, ein Gießkörbchen aus Blech, das auch zum Einkaufen oder Transport von Flüssigkeiten genutzt werden konnte, ein mechanisches Stereoskop und eine Abdeckung aus Glas und Draht für Leichen im Leichenschauhaus. Doch nicht nur als Erfinder betätigte sich Uebelacker.

Zu seiner Rolle als aktiver Musiker erschienen im Zeitraum zwischen 1844 und 1854 sehr positive Konzertberichte hauptsächlich mit dem „Holz-Stroh-Instrument“ (Strohfidel), einer Art Xylophon, bei dem die Klangstäbe auf Stroh gelagert sind und das Uebelacker in der von ihm gebauten Version „Xylofapheon“ nannte. Hierbei ist nicht klar, ob es sich um eine in irgendeiner Weise von der Strohfidel abweichende Konstruktion handelte und damit eine weitere Erfindung darstellte oder es nur eine neu gewählte Bezeichnung war.

Beifallsstürme im Konzertsaal

Eine besonders überschwängliche Beschreibung seiner instrumentalen Fähigkeiten veröffentlichte das Münchner Tageblatt für Stadt und Land vom 27. April 1854 über ein Konzert vom 23. April.

„[…] Hr. W. Uebelacker schloß dieses von Karl Hieber mit dem feinsten Geschmacke arrangierte Konzert, mit selbst componierten Variationen für Holz-Stroh-Harmonika, mit einer in der That so unglaublichen Fertigkeit, und so zauberliche Töne hervorlockend, daß dies denn doch unmöglich mit rechten Dingen zugehen kann. Entdeckt man nur einmal die geheimnisvolle Kraft, welche die Tische rückt, so wird man auch den unsichtbaren Dämon entlarven, mit dem Hr. Uebelacker im Bunde steht, und welcher viele Beifallsstürmer sogar auf Stühle hinaufgetrieben hat, um die durch windschnelles Spiel fast unsichtbaren Hände des Zauberers zu sehen.“

Am Ende des o. a. Zeitraums gab er darüber hinaus Konzerte als Hornist.

Neben seiner Konzerttätigkeit trat Uebelacker als Komponist in Erscheinung, wie der folgende Hinweis aus Neueste Nachrichten aus dem Gebiete der Politik vom 26. Juli 1853 verrät.

Außer diesem Stück von 1853 beherbergt die Bayrische Staatsbibliothek noch die Bock-Polka für Piano-Forte (1854) und Kaiser Karl im Untersberg, ein Melodram für Horn und Piano (1857). Die Münchner, ein Walzer (1854), Die vier Jahreszeiten, eine Quadrille für Piano (1862) und der Marien-Walzer für Piano-Forte (1856), dem Marienbad gewidmet, sind dort leider nicht zu finden. Hinweise auf diese Stücke fanden sich nur in den Archiven des Münchner Digitalisierungszentrums als Erwähnungen in Zeitungen und Partiturkatalogen.

Letzte Station: Auf dem Alten Südfriedhof

Zum Abschluss blieb mir nur noch, meine Ergebnisse zu den Lebensdaten zu ergänzen. Bei meinen anfänglichen Recherchen und bevor mir der polizeiliche Meldebogen vorlag, stieß ich in Franz Xaver Fewingers Führer durch die beiden Abtheilungen (ältere und neuere) des Südlichen Friedhofes in München auf das Todesjahr und den genauen Ort nach Abteilung, Sektion, Reihe und Nummer des Grabes:

Mit dem Todesjahr ließ sich im Stadtarchiv die zugehörige Sterbeurkunde ausfindig machen. (Heinrich) Wilhelm Uebelacker starb am 2. März 1890 ledig im Alter von 67 Jahren – er muss also 1822/23 geboren sein. Im polizeilichen Meldebogen sind als Geburtsjahre 1823 und 1824 angegeben. Auch wenn mir weder für den Meldebogen noch für die Todesurkunde eine zweite bestätigende Quelle vorliegt, spricht die Kombination aus beidem vorerst für 1823. Die einzige Möglichkeit der Absicherung stellen die Kirchenregister dar, die bisher noch nichts offenbarten. Das Grab selbst konnte ich nicht finden, da viele Grabsteine in Sektion 17 des Alten Südfriedhofs fehlen oder bis zur Unleserlichkeit verwittert sind. So blieb mir nur, den Sektionsstein zu fotografieren.

Auch wenn in diesem kurzen Ausschnitt meiner Recherche einige Fragen unbeantwortet blieben und weitere gar nicht erst aufgeworfen oder nur angerissen wurden, lege ich an dieser Stelle den Trenchcoat des Privatdetektivs wieder ab und lösche für heute das Licht in der Detektei. Führte der hier beschrittene Pfad auf den ersten Blick weg vom Musikinstrument, so stecken hinter diesem immer Menschen, die es erschaffen haben und von denen natürlich einiges darin eingeschrieben ist. So eröffnet dieser scheinbare Umweg am Ende neue Blickwinkel, Fragen und Antworten und die Möglichkeit ein vielfältigeres Netz aus Geschichte(n) um das Objekt als Mittel- und Ausgangspunkt aufzuspannen.

Autor/in

Christian Rust

Christian Rust ist Doktorand an der Kunsthochschule für Medien Köln und Scholar in Residence am Deutschen Museum, wo er derzeit zu den gestrichenen Tasteninstrumenten der Sammlung forscht, zu denen unter anderem das oben erwähnte Instrument Uebelackers gehört

Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Bei meinem ersten Besuch in der Musikinstrumentenabteilung blieb mein Blick am Melophon von Leclerc & Brown aus der Mitte des 19. Jahrhunderts hängen. Die feinen mechanischen Details dieses an eine Gitarre erinnernden Instrumentes faszinieren mich bis heute.

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