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Wie kam es zu Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr? Wie entwickelten sie sich und welche Technologien wurden zu ihrer Kontrolle eingesetzt? Und was haben Pferde damit zu tun? Wir werfen einen Blick in die Geschichte eines Themas, das nach wie vor polarisiert.

Seit dem Jahr 2025 kürt die Stadt Dresden den “Verstoß des Monats” für besonders schwerwiegende Verkehrsverstöße und macht diese in sozialen Medien öffentlich. Im Februar belegte ein Fahrzeug, das mit fast 100 km/h in einer Tempo-30-Zone unterwegs war, den ersten Platz. “Blitzerfoto” und Weg-Zeit-Messung der Geschwindigkeit waren Beweismittel. Die Bild-Zeitung befürchtete einen “Blitzer-Pranger”, die Stadt Dresden hofft durch die zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit auf eine abschreckende Wirkung. Und damit knüpfen beide an eine lange zurückreichende Diskussion an: Die historische Entwicklung der Begrenzung der Geschwindigkeit im Straßenverkehr und ihre Überwachung zeigt, dass die Kontrollen durch neue Techniken zwar immer genauer wurden, rasante Diskussionen über ihre Sinnhaftigkeit und Wirkung wurden jedoch zu jeder Zeit geführt.

Frühe Versuche zur Domestizierung der Geschwindigkeit

Geschwindigkeitsbegrenzungen sind viel älter als das Automobil: Schon Reitpferde und Kutschen erreichten beachtliche Geschwindigkeiten. In zahlreichen europäischen Städten bestanden temporäre Verbote des Galoppierens (20-30 km/h). Die Überwachung war durch die drei Gangarten des Pferdes - Schritt, Trab und Galopp - sehr zuverlässig: Man konnte die Geschwindigkeit gewissermaßen am Schritt des Pferdes ablesen.

Da der Straßenraum Ende des 19. Jahrhunderts noch multifunktional war - FußgängerInnen und spielende Kinder beanspruchten diesen Raum ganz selbstverständlich -, wurde das Fahrrad, die erste individuelle Geschwindigkeitsmachine, als Systemstörung wahrgenommen. Meist schneller als Pferde, standen die rasenden Radler im Zentrum von Konflikten um Geschwindigkeit. Sie störten die tradierte Lebenswelt.

Auch die frühen Automobile stellten zu eben jener Zeit das multifunktionale System Straße infrage. Wie in gegenwärtigen Mobilitäts-Diskussionen stand die Frage nach der Nutzung öffentlicher Räume im Fokus: Sollte die Straße dem Auto gehören oder weiter als Spiel- und Aufenthaltsort genutzt werden? Es entzündeten sich Klassenkonflikte zwischen Automobilisten, die als neureiche, arrogante Protzer gesehen wurden. Die Autofahrenden sahen die Gegenseite als rückständige, den technischen Fortschritt abwürgende Hinterwäldler.

Zur Beschwichtigung zogen die Behörden wiederum das Pferd als Maß heran: Zeitgenössische Verkehrsvorschriften rekurierten auf die Geschwindigkeit eines mäßig trabenden Pferdes, die nicht überschritten werden sollte. Die neuen Maschinen sollten sich dadurch in eine vertraute und erprobte Erfahrungswelt einpassen.

Die Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung konnte allerdings nur durch die Schätzung von Beamten bestimmt werden und war letztlich nicht objektiv zu überprüfen. Daran entsponnen sich neue Konflikte zwischen den Organen der Jusitz- und Polizeitbehörden auf der einen und den Automobilisten auf der anderen Seite. Man sprach der Polizei die Fähigkeit zur Beurteilung aufgrund mangelnder Erfahrung mit hohen Geschwindigkeit ab. Automobilisten waren in ihrer Selbstbeschreibung elitäre technikaffine Personen, die schon vor dem Automobil durch das Fahrrad und Reiten geschwindigkeitssozialisiert waren. Darin liegt bereits der Gedanke, selbstverantwortlich und ohne ungerechte Disziplinierung mit Geschwindigkeit umgehen zu können.

Die Einführung der Messung

Zur Kontrolle des Tempos wurde bald auf eine genauere, verifizierbarere Methode zurückgegriffen: die Messung. Mit dem technischen Hilfsmittel der Uhr wurde eine Weg-Zeit-Messung durchgeführt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts tauchten so erstmals exakte Höchstgeschwindigkeiten auf. Rechtlich relevant war in den Jahren nach 1900 nur die Messung. Nun hatte die Polizei nachzuweisen, dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorlag.

Allerdings war nicht nur die Kontrolle mit Unsicherheiten behaftet: Bis 1910, als die höchstzulässige Geschwindigkeit innerorts auf 15 km/h festgelegt wurde, formulierten die Einzelstaaten jeweils eigene Regelungen. Durchreisenden Automobilisten waren diese nicht notwendigerweise bekannt. Eine allgemeine Beschilderung etablierte sich - vor allem durch die Unterstützung der Automobilclubs - ab 1910. Ein von Behörden aufgestelltes Schildersystem entstand erst in der Weimarer Republik.

Tachometer als stumme Zeugen

Bis etwa 1900 mussten Autofahrende die Beobachtungen und Schätzungen von Beamten und Zeugen noch widerlegen, falls sie sie anstritten. Und auch wenn Tachometer zunächst ungenau waren und Fahrtenschreiber vor Gericht oft nicht als Beweismittel zugelassen wurden, etablierten sich diese technischen Hilfsmittel langsam als Ausstattung der Fahrzeuge. Bis in die 1920er Jahre waren sie allerdings nicht weit verbreitet.

Tachometer eröffneten den Fahrern die Möglichkeit, ein Gefühl für die eigene Geschwindigkeit zu erlangen. Und sie wurden mit der Zeit als Mittel eingesetzt, um gegen unbegründete Vorwürfe vorzugehen. Bezeichnungen der Tachometer verdeutlichen dies: Ein Geschwindigkeitsmesser mit Fahrtenschreiber trug den Namen “Protektor”, ein anderer die Bezeichnung “The Silent Witness” - der stumme Zeuge.

In den 1920er Jahren ebten die Konflikte um das Tempo etwas ab, weil das Neue und Schnelle an Boden gewann und sich normalisierte. Motorfahrzeuge, vor allem Zweiräder, verbreiteten sich zunehmend und begannen das System Straßenverkehr zu dominieren. Das Tempo des Kraftverkehrs wurde zum neuen Standard, die Geschwindigkeitsbeschränkungen wurden an die geschaffenen Realitäten angepasst. Der Verkehrsraum wurde mehr und mehr zur eindimensionalen Nutzung durch Kraftfahrzeuge umgebaut.

Das innerörtliche Geschwindigkeitslimit wurde sukzessive hochgesetzt. 1923 lag es bei 30 km/h. Eine radikale Zäsur erfolgte mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Das Automobil sollte auch durch den Abbau der Verkehrsüberwachung gefördert werden. Eine Begrenzung der Geschwindigkeit wurde abgeschafft. Diese “freie Fahrt” galt jedoch nur bis 1938. Steigende Unfallzahlen und das Einsparen von Kraftstoffressourcen im Zuge der Aufrüstung waren hierbei ursächlich. Die zunächst geltenden 60 km/h innerorts bedeuteten dennoch eine Verdopplung im Vergleich zur Weimarer Zeit.

Im Temporausch des "Wirtschaftswunders"

In den beiden Jahrzehnten nach Kriegsende erlebte die Motorisierung in der Bundesrepublik einen enormen Aufschwung. 1953 wurde ein Tempolimit - wie bereits 1933 - aufgehoben. Paradoxerweise diente der von Geschwindigkeitsbeschränkungen befreite Individualverkehr als Abgrenzung vom totalitären NS-Regime.

Mit der freien Fahrt ohne Limit grenzte man sich auch von der DDR und dem Sozialismus ab - dort galt 50 km/h in Städten und 100 km/h außerorts. Automobilclubs im Westen stellten die unlimitierte Fahrt und die neue Demokratie der Bundesrepublik dem undemokratischen Überwachungsstaat mit autoritärer Kontrolllust gegenüber. Aufgrund der hohen Unfallzahlen mit jährlich etwa 13.000 Toten wurden jedoch wieder Geschwindigkeitsbeschränkungen eingeführt: zunächst 1957 Tempo 50 in den Ortschaften. In den 70-Jahren wurde die Geschwindigkeit auch auf Landstraßen begrenzt.

Einführung der Radartechnik

Die eingeführten Begrenzungen wurden mit einer neuen Technologie überwacht: der Radarmesstechnik, einer funkgestützten Ortung und Abstandsmessung. Radar wurde vor und im Zweiten Weltkrieg für militärische Zwecke eingesetzt. Erst 1950 wurde die Radarforschung für zivile Zwecke zugelassen. 1955 begann die Firma Telefunken mit der Entwicklung eines Systems aus Radargerät und Fotokamera, dem “Verkehrsradarkontrollgerät VRG 1”. Das Nachfolgemodell VRG 2 erhielt 1958 die Zulassung, wurde in Serie produziert und kam 1959 erstmals offiziell zum Einsatz. Die Erstellung des Fotos ist bis in die Gegenwart die Methode der Beweisführung im Falle einer Geschwindigkeitsübertretung.

Polizei als Bürgerschreck

Der Einsatz der neuen Technik stieß allerdings nicht durchweg auf Begeisterung. Der Spiegel bezeichnete die blitzenden Beamten als “Bürgerschreck”. Die Kontrolle wurde als “Falle” markiert - bis heute hält sich der Begriff der “Radarfalle”. Die Geschwindigkeitskontrollen wurden mit Jagdmethoden verglichen und auch die Metapher der Foto-Safari bemüht.

Die Sinnhaftigkeit der Kontrollen wurde ebenso in Zweifel gezogen. Skurrile Beispiel - z.B. ein geblitzter Vogel - dienten als Beleg für die Fehleranfälligkeit. Der ADAC und andere Lobbygruppen setzten an diesem Punkt an und erreichten, dass das Recht auf eine Stellungnahme “Geblitzter” umgesetzt und eine Fehlertoleranz von der gemessenen Geschwindigkeit abgezogen wurde.

Eine neue Stufe der Aggression gegen die “Radarfalle” kam auf, als Radarfallen unabhängig von Beamten an einem Ort fest installiert wurden. Sie waren mit Einschusslöchern übersäht, mit Farbe besprüht, angezündet oder verklebt. Mobile Geräte wurden von erwischten Rasern teils entwendet. Und diese Strategie führte sogar zum Erfolg: Die Fotos waren lokal auf der Kamera gespeichert. Erst seitdem die Daten direkt verschickt werden, ist eine Manipulation vor Ort sinnlos.

Auch wenn heute die Zerstörung einer Messanlage eher die Ausnahme darstellt, herrscht immer noch große Solidarität unter Autofahrenden: Gegenseitiges Aufblinken zur Warnung, “Blitzermeldungen” im Radio und Mobile Apps sind gängige Mittel, um einer nachgewiesenen Geschwindigkeitsüberschreitung zu entgehen.

Schnelle Autos für erfolgreiche Männer

Die Grundabneigung Rasender gegenüber Verkehrskontrollen ist historisch wie aktuell vorhanden. Geschwindigkeit und Moderne wurden seit der Frühzeit des Automobils in eine enge Verbindung gebracht. An unserer automobilen Alltagskultur konnten ab den 1950er-Jahren mit der aufkommenden Massenmotorisierung immer mehr Menschen in immer leistungsstärkeren Fahrzeugen teilnehmen.

Ein wichtiges Leitbild ist hierbei das der vermeintlich starken Männlichkeit mit einzigartigen Fähigkeiten im Umgang mit der immer schneller werdenden Welt. Erfolgreiche Männer konnten, so die Erzählung, mit den hohen Geschwindigkeiten umgehen. Ein kontrollierender Eingriff wurde entsprechend als anmaßend oder rückständig wahrgenommen. Das ist gegenwärtig keineswegs grundsätzlich anders, wie die Zahlen verdeutlichen: Noch immer werden etwa 80 Prozent der Geschwindigkeitsverstöße von Männer begangen.

Ob durch Assistenzsysteme wie den Intelligent Speed Assistance Systemen (ISA), die die geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen erkennen, potenziell die Geschwindigkeit drosseln könnten und seit Juli 2024 in allen neu zugelassenen Fahrzeugen in der Europäischen Union verpflichtend verbaut werden, die Geschwindigkeitsüberschreitungen abnehmen, bleibt abzuwarten. Derzeit gibt das System lediglich ein Warnsignal, greift nicht in die Geschwindigkeit ein und lässt sich nach jedem Neustart des Autos einfach vollständig ausschalten. Der “Verstoß des Monats” gehört vermutlich noch lange nicht der Vergangenheit an.

Autor/in

Lukas Breitwieser

Lukas Breitwieser ist Kurator für Land- und Straßenverkehr. Der Technikhistoriker begeistert sich für alles rund um das Thema Mobilität.
Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Im Verkehrszentrum in Halle I zum Thema Stadtverkehr finden Sie alles, was uns bewegt. Ob Pferdetaxi oder computergesteuerter Bus - hier vermitteln zahlreiche einzigartige Exponate die Geschichte der Mobilität in der Stadt.

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