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Ein Gramm Mondmaterial durch eine Kugel aus Plexiglas vor Umwelteinflüssen geschützt. Wir folgen diesem scheinbar unveränderlichen Objekt auf seiner ganz weltlichen Reise und entdecken die sich anlagernden Bedeutungsschichten. Im neuen Zeitalter der Raumfahrt drängt uns dieses kleine Stück Stein unweigerlich zu den großen Fragen nach dem Wert der Vergangenheit und der Zukunft der Menschheit.

Das Deutsche Museum ist ein einzigartiger Ort der interdisziplinären Wissenschaftsforschung und -kommunikation. Hier fördern sich historische und museale Untersuchungen zur materiellen Kultur und zum kulturellen Erbe. Das renommierte Scholar-in-Residence-Programm des hausinternen Forschungsinstituts für Wissenschafts- und Technikgeschichte lädt international Doktorand/innen und Postdoktorand/innen aus verschiedenen Disziplinen ein, die Sammlungen und Archive des Museums zu ergründen. Dabei entwickeln die Teilnehmenden ihre Projekte weiter, schärfen ihr Profil und knüpfen Netzwerke, die weit über ihren Aufenthalt hinaus wirken.

Als ich meine Forschung zur Globalgeschichte und Technokultur von Mondgesteinen begann, zog mich die faszinierende Geschichte des im Deutschen Museum ausgestellten Exemplars in ihren Bann. Ich verfolgte seinen Weg in das Museum und durch dessen Ausstellungshistorie und entdeckte die vielschichtige Bedeutung dieses winzigen, aber außergewöhnlichen Artefakts. Welche Geschichten erzählen die Apollo-Mondgesteine, die außer in München weltweit in Museen und vergleichbaren Einrichtungen ausgestellt sind? Wie beeinflusst ihre sichtbare, fast greifbare Präsenz unser Verständnis von Raumfahrt, vom Weltall und von uns selbst – nicht nur aus der Perspektive der Vergangenheit, sondern auch im Licht der Gegenwart und der eingeläuteten neuen Ära der Raumfahrt?

Eine kleine Entdeckungsreise

Von der Vorbereitung bis zum Abschluss des Programms begab ich mich auf eine kleine Entdeckungsreise. Das Durchstöbern der Archive und das Erkunden der Ausstellungen boten mir mit jedem Schritt neue Einsichten. Waren die ersten Mondgesteine zur Zeit der Apollo-Missionen noch dingliche Belege für den Flug zum Mond und damit Symbole eines zivilisatorischen Meilensteins, wurden sie bald zu Zeugnissen einer Epoche, in der emotionale und wissenschaftliche Sehnsüchte eng mit den Macht- und Systemüberzeugungen des Kalten Krieges verwoben waren. Unverändert blieb indes ihre Bedeutung für die historische Geologie, die sie als Relikte aus der frühesten Zeit unserer Erde erkennt. Welche Funktionen und Bedeutungen könnten diese und andere Mondgesteine in der Zukunft annehmen?

Gespräche mit Mitarbeitenden des Deutschen Museums eröffneten mir weitere wertvolle Perspektiven. Besonders beeindruckte mich die neue Weltraumausstellung. Dabei bot die Gebäudesanierung die Möglichkeit, Museumsarbeit sowohl konzeptionell als auch praktisch in Aktion zu erleben – ein seltenes Privileg, das mir Einblicke in die kuratorische Praxis gewährte. War das Mondgesteinsobjekt sonst prachtvoll inszeniert, trat während der Umbaumaßnahmen – nüchtern und dokumentarisch – seine Inventaridentität in den Vordergrund. Sollte ein Museum in seiner Ausstellungsgestaltung die Konstruktivität der Aura seiner Exponate hervorheben und so ein differenzierteres Verständnis von Geschichtlichkeit vermitteln?

Viele Steine, viele Geschichten

Von den vielen Objekten, die mein Interesse weckten, stach eines besonders hervor: L1984-19. Es umfasst ein Gramm Mondmaterial, welches 3,7 Milliarden Jahre alt ist. Dieses ist in eine Kugel aus Plexiglas eingeschlossen, die auf einer Holzplakette montiert und von der deutschen Flagge sowie zwei Inschriften mit den besten Wünschen von US-Präsident Richard Nixon flankiert ist. Die extraterrestrische Herkunft des Mondmaterials macht es bereits außergewöhnlich, doch auch seine irdische Reise ist bemerkenswert: Nach der Übergabe durch das US-Außenministerium wurde es etwa ein Jahrzehnt äußerst unauffällig im Bundespräsidialamt in Bonn aufbewahrt. Erst 1984 gelangte es auf Initiative von Otto Mayr, dem damaligen Generaldirektor des Deutschen Museums, und Walter Rathjen, Kurator der Luft- und Raumfahrtabteilung, über einen kurzen Zwischenstopp am Institut für Mineralogie in Marburg nach München, wo es dauerhaft den Augen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Seither ist es eine Konstante innerhalb seiner Ausstellungswelt des Deutschen Museums. Während die Erzählungen von Raketentechnik und Weltraumwissenschaft immer wieder neu ausbalanciert wurden, behielt das Mondgesteinsobjekt seinen festen Platz, den man inzwischen auch virtuell besichtigen kann.

Die Beziehung des Deutschen Museums zu Mondgesteinen reicht indes weit über L1984-19 hinaus. Bereits 1970 – ein Jahr nach der ersten bemannten Landung auf dem Erdtrabanten – stellte es ein Mondgestein der Apollo-11-Mission für einige Tage in seinem Ehrensaal aus: ein Ereignis, das die neu eingerichtete Museumszeitschrift dm information (Vorläufer von Kultur & Technik) in ihrer Erstausgabe ausführlich würdigte. Ein weiteres Mondgestein wurde 1984, da die Überreichung des Apollo-17-Objekts aus dem Bundespräsidialbüro noch nicht abschließend geklärt war, als Kurzleihe von der NASA für die feierliche Eröffnung der neu gestalteten Raumfahrtausstellung bezogen. Dieses in eine Pyramide aus Plexiglas eingefasste Exemplar ist ungleich größer als vergleichbare Objekte und wird noch heute regelmäßig von der NASA an interessierte Institutionen ausgeliehen.

Ein Objekt zum Innehalten und Nachdenken

Mit der Wiedereröffnung des modernisierten Südflügels des Museums im Jahr 2022 wird das Mondgestein erneut als eines der Herzstücke der Weltraumausstellung präsentiert. Seine Faszination ist ungebrochen. Fünfzig Jahre nach seiner Reise vom Mond zur Erde zieht dieses kleine Fragment nicht nur mich, sondern auch viele Besuchende in seinen Bann. In einer Zeit, die von der Schnelllebigkeit des Digitalen und dem Gefühl geprägt ist, nahezu alles von überallher in kürzester Zeit empfangen zu können, ruft die materielle Ruhe dieses einst so fernen und uralten Exemplars Ehrfurcht hervor und regt zum Nachdenken an – besonders angesichts der auflebenden Begeisterung für ein neues Raumfahrtzeitalter, das medial und politisch oft unreflektiert bleibt.

Dennoch: Selfie Time! Die Besuchenden bleiben stehen, und auf einmal – festgehalten von der Aura des Objekts – verweilen sie im Moment und sinnieren zumindest kurz über die Bedeutung und den Wert der Vergangenheit von Mensch und Erde. Worin liegt wohl unsere und die Zukunft des Mondes? Der Weltraum rückt jedenfalls näher.

Autor/in

Chritsopher Halm vor dem Mondgestein in der Raumfahrtausstellung des Deutschen Museums

Christopher Halm

Christopher Halm ist Lehrer und promovierter Wissenschaftshistoriker mit einer Leidenschaft für die Geschichten hinter gesellschaftlichen Errungenschaften. Derzeit forscht er am Deutschen Museum an seinem Projekt “Moon Rocks: Their Global History and Technoculture”.

Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Lassen Sie sich vom Mondgestein in der Raumfahrtausstellung begeistern, bestaunen Sie das große Periodensystem in der Chemieabteilung und erkunden Sie die wechselnden Sonderausstellungen direkt hinter dem Eingang.

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