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Nach dem ersten Weltkrieg gab es so viele Kriegsversehrte wie nie zuvor. Verbesserte Prothesen sollten den Invaliden helfen, wieder zu arbeiten und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Am 1. August 1914 erklärte das Deutsche Reich dem russischen Zarenreich den Krieg. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen am 2. August in Luxemburg und am 3. August in Belgien begann für die Deutschen der Erste Weltkrieg. Im Glauben an einen raschen Sieg meldeten sich Hundertausende junge Männer als Freiwillige an die Front.
Auf die in manchen Kreisen vorhandene Begeisterung folgte schnell die Ernüchterung – aus der propagierten „Freien Fahrt über Lüttich nach Paris“, die jubelnde Soldaten auf den Truppentransport, der sie an die Front brachte, geschrieben hatten, wurde ein Weltkrieg, der schnell alles in den Schatten stellte, was man bis dahin kannte.
Die Folgen eines Krieges dieser Dimension waren völlig unterschätzt worden. Waren früher Kriege noch hauptsächlich auf dem Pferd und zu Fuß geführt worden, so kamen nun Panzer, Flugzeuge und Artillerie zum Einsatz. Die vor dem Krieg geäußerte Hoffnung, dass moderne und stärkere Waffen und der Einsatz von Waffen mit größerer Reichweite zu weniger Opfern führen würde, erwies sich als fatale Fehleinschätzung. Der Stellungskrieg und die Erfindung des Maschinengewehrs führten dazu, dass an manchen Kriegstagen so viel Munition verschossen wurde, wie im kompletten Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 zusammen!

Kultur und Technik

Mitte Januar 1915, also nicht mal ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn, ging man bereits von etwa 30.000 Kriegsversehrten aus – meist junge Männer, die als Soldaten in den Krieg gezogen waren, und nun als sogenannte Krüppel wieder nach Hause zurückkehrten. In einer Rede vor dem Reichstag fasste der Orthopäde Professor Dr. Konrad Biesalski (1868–1930) die Situation damals so zusammen: „Wir stehen also vor einem Problem von denkbar größter ethischer und wirtschaftlicher Bedeutung, das alle Deutschen gleichmäßig angeht; denn es ist selbstverständlich, daß wir nicht, wie in früheren Jahren, es zulassen können, daß diese Verwundeten und Krüppel nun als Leierkastenmänner oder als Hausierer durch die Straßen ziehen. Und doch ist diese Gefahr groß: Eine Fabrik baut schon Tausende von Leierkästen, und eine andere ist daran, kitschige patriotische Bilderbogen fertigzustellen, die sie durch solche Krüppel vertreiben lassen will. Wir können einfach den Gedanken nicht ertragen, daß diese Leute als Bettler herumlaufen; wir müssen dafür sorgen, daß sie wieder aufrechte und selbstständige Männer werden wie vor dem Kriege, das heißt, wir müssen ihnen Arbeit schaffen und eine freie, selbstständige Existenz, damit sie vor sich selber Hochachtung haben, und ihre Nachkommenschaft vor ihnen, und damit sie bis auf den ,kleinen Schaden‘, den sie nun einmal erlitten haben, in der Masse des Volkes untergetaucht, wieder dieselben sind, wie vorher.“
Durch die neue Art der Kriegsführung hatte sich die Art der Verletzungen verändert und die Wehrmedizin musste neue Therapieformen entwickeln. Bei einem Großteil der verwundeten Soldaten wurden bei Verletzungen die Gliedmaßen amputiert, weil weder genügend Material noch Zeit für aufwendigere Versorgungen zur Verfügung standen. Die besonderen Anforderungen, die der Krieg an die Medizin stellte, führten aber auch zur Weiterentwicklung verschiedenster medizinischer Verfahren und Forschungen, beispielsweise der Bluttransfusion, der Prothetik und der plastischen Chirurgie.
Waren im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 noch 80 bis 90 Prozent aller »Schussbrüche« (wenn eine Kugel auf einen Knochen trifft und ihn zersplittert) verstorben, überlebten nun viele der so verletzten Soldaten und wurden zu Kriegsinvaliden (seit Mai 1915 in Preußen der offizielle Begriff).

Fortschritte bei der Behandlung von Wunden

Denn durch die Anwendung antiseptischer Maßnahmen, die Impfungen gegen Wundstarrkrampf und andere Infektionskrankheiten erhöhten sich die Überlebenschancen von Verwundeten enorm. Soldaten, die früher ihren Verletzungen erlegen wären, überlebten nun das Grauen des Krieges. Zurück blieben jedoch oftmals vom Krieg entstellte Menschen, deren schwere Verletzungen zur Herausforderung für die plastische Chirurgie und vor allem für die Prothetik wurden.
Schon kurz nach Beginn des Krieges, im Winter 1914/15, wurde vielen klar, dass mit der reinen Wundbehandlung die Arbeit der Medizin nicht erledigt war. Waren bis dahin Prothesen und hier vor allem Armprothesen – entweder funktionslos oder Einzelstücke gewesen, begann man sich nun genauer mit dem Problem auseinanderzusetzen, wie man den oftmals jungen Männern, die als Soldaten im Krieg zu Invaliden geworden waren, wieder eine Lebensperspektive eröffnen könnte. Am Ende des Ersten Weltkriegs stand eine Bilanz von mehr als zwei Millionen dauerhaft versehrten Soldaten!

Mobil mit dem Stelzbein aus Holz

In einem historischen Grab in Italien wurde bereits Ende des 19. Jhds. neben einem Skelett, dem ein Teil des rechten Unterschenkels fehlte, eine einfache Beinprothese gefunden. Dieser später als „Stelzfuß von Capua“ bekannt gewordene Fund, datiert in die Zeit um 300 v. Chr. und war aus Bronze gefertigt.
Stelzbeine, bzw. Holzbeine, sind uns heute nur noch aus Piratenfilmen bekannt, sie waren aber tatsächlich lange Zeit die beste Versorgung für Menschen, die unterhalb des Knies amputiert worden waren. Ein Stelzbein ist sehr einfach aufgebaut – auf einem Stock (einer Stelze), der die Länge des Unterschenkels hat, ist ein Plateau mit einem Kissen montiert. Der Patient kniet nun mit dem noch vorhandenen Knie auf dem Kissen. Der Rest des Unterschenkels zeigt dabei nach hinten und wird so fast unsichtbar für den Blick von vorne. Schienenartige Fortsätze links und rechts führen nach oben und ermöglichen es, die Stelze mit Ledergurten am Oberschenkel zu befestigen. Obwohl es eine sehr einfache Konstruktion ist, ermöglicht das Stelzbein ein relativ sicheres Gehen und machte die betroffene Person vor allem auch sehr wendig. Durch das „Knieen“ und die damit nicht vorhandene Belastung des Stumpfes war auch ein längeres Tragen – allerdings kein normales Sitzen – möglich.
Problematischer war die Anpassung bei einer Oberschenkelamputation, da die Person hier aufgrund des Verlustes des Knies sozusagen auf dem Stumpf gehen musste, der in einem Köcher gefasst war, der wiederum mit einem Becken- oder Schultergurt gesichert werden musste. Dies führte am empfindlichen Stumpf oft zum Wundreiben und zu Entzündungen. Selbst im Ersten Weltkrieg wurden viele Betroffene noch mit einer solchen Konstruktion versorgt!

Verbesserte Konstruktionen und neue Materialien

Bereits im späten 18. und vor allem im 19. Jhd. wurden aber auch schon erste bewegliche Knie- und Fußgelenke entwickelt, die das Gehen weniger mühsam machen sollten. Basierend auf den wachsenden anatomischen Kenntnissen wurden die Beinprothesen so verbessert, dass eine bessere Standsicherheit erreicht und gleichzeitig auch ein Gehen und Sitzen mit den Prothesen möglich wurde. Auch die eingesetzten Materialien veränderten sich – Leder und Stahlschienen sorgten für einen besseren Tragekomfort. Bei diesen Prothesen wurde der Amputationsstumpf in einen Lederköcher gebettet und die Prothese durch eine Oberschenkelmanschette am Bein gehalten oder bei Oberschenkelamputation mit Gurten am Körper befestigt.
Ausgelöst durch den Ersten Weltkrieg wurde auch wieder vermehrt Holz beim Bau von Beinprothesen ein gesetzt. Der Werkstoff Holz hat vor allem den Vorteil, dass man die Stellung von Stumpfbett und Gelenkachsen während der Prothesenherstellung verändern und anpassen kann. Außerdem ist Holz leichter als Stahl und Leder, behält seine Form und ist besser zu reinigen. Gleichzeitig erlaubte es die industrielle Vorfertigung von sogenannten Passteilen: Aus dem Knie-Waden- und dem Fuß-Passteil wurde die Prothese durch den Orthopädietechniker für den Patienten zusammengestellt – die Stumpfbettung wurde individuell angefertigt. Heute haben Kunststoffe Holz und Leder verdrängt.

Wieder zugreifen können

Der Ersatz von Hand und Arm ist weitaus schwieriger als der eines Beines, denn mit den Händen nehmen wir Kontakt zu unserer Umwelt auf – wir „begreifen“ wortwörtlich unsere Umgebung. Beim Greifen und Festhalten von Gegenständen arbeiten Auge und Hand im Allgemeinen zusammen – das Auge erblickt das Objekt, die Hand greift danach, die Finger legen sich um den jeweiligen Gegenstand. Dabei erfühlt die Hand das, was sie anfasst und kann den Griff, wenn nötig, enger schließen und den Druck verstärken. Die Sensorik der Haut ermöglicht es uns aber nicht nur, etwas festzuhalten oder an einen anderen Ort zu bewegen, sondern liefert uns darüber hinaus auch Informationen über seine Beschaffenheit, Oberflächenstruktur, Elastizität, Form oder Temperatur. Auch „blind“ greifend können wir erkennen, ob wir ein Buch, ein Glas oder ein Tuch in der Hand haben. Diese Informationen fehlen dem Amputierten. Die Amputation der Hände ist deshalb vielleicht auch der schmerzlichste Verlust von allen Gliedmaßen.
Die Eiserne Hand des Götz von Berlichingen (1480–1562) ist bei weitem nicht das einzige und älteste, aber doch das bekannteste Beispiel für eine sogenannte Eiserne Hand, also einen frühen Versuch, eine Hand durch eine Prothese funktionell zu ersetzen (siehe auch Beitrag Merl, S. 29) Mit der gesunden Hand konnten die geöffneten Finger zur Handinnenfläche hingedrückt und arretiert werden. Zum Öffnen musste die Arretierung wieder gelöst werden. Solche Kunsthände werden passive Prothesen genannt, da zur Bedienung immer eine zweite Hand nötig ist.
Um aber wirklich wieder aktiv zugreifen zu können und eine künstliche Hand »willkürlich«, also willentlich, öffnen und schließen zu können, muss der Prothesenträger irgendwie die Kraft oder zumindest die Signale seines eigenen Körpers zur Steuerung und Bewegung der Hand nutzen können. Die erste funktionierende Lösung für dieses Problem entwickelte der Zahnarzt und Chirurgietechniker Peter Ballif (1775–1831) zu Beginn des 19. Jhds. Er konstruierte eine Armprothese mit einer Hand aus Messingblech, bei der im Ruhezustand mit angewinkeltem Arm Federn die beweglichen Finger zu einer Faust zusammendrückten. Um die Hand zu öffnen, musste nur der Arm am Ellenbogen durchgestreckt werden, und über ein System von Zugschnüren aus Darmsaiten wurde so die Kraft aufgebracht, um die Finger zu bewegen.
Damit dies funktionierte, musste die Armprothese mit einem Schultergurt gehalten werden. So konnte die Hand selbstständig geöffnet oder geschlossen werden, jedoch waren für relativ kleine Bewegungen der Hand aufwendige Bewegungen von Schulter und Ellenbogen notwendig. Noch heute werden zugbetätigte Armprothesen nach diesem Prinzip gebaut, bei denen eine Bewegung des Ellbogens und der Schulter für die aktive Betätigung der künstlichen Hand genutzt wird.

Integration in das alltägliche Leben

Bereits 1915 erkannte Konrad Biesalski, dass die große Zahl an Kriegsversehrten nicht nur die Soldaten persönlich betraf, sondern auch eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung hatte: „Wenn Hunderttausende statt Werte zu schaffen, nur Werte verzehren, so ergibt das einen Unterschied zuungunsten des Volksvermögens, der, vielfach multipliziert, in die Millionen geht. Also auch diese Seite kann uns durchaus nicht gleichgültig sein.“ Die kriegsversehrten Soldaten sollten also mit Hilfe von Prothesen nicht nur selbst wieder für ihren Lebensunterhalt sorgen können, sondern auch wieder möglichst ihre volle Arbeitsleistung im Dienste der Gesellschaft einbringen können. Noch drastischer ist dies in der Fibel für Einarmige und Ohnhänder von 1946 formuliert: „Auch die einzelne Arbeitshand kann nicht entbehrt werden. Ungeheuer groß sind die Schäden des Krieges, und es ist wichtig, dass kein vorhandenes Kapital vergeudet wird. Das wertvollste Besitztum sind aber die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich ein Handwerker, ein gelernter Arbeiter, ein praktischer Landwirt erworben hat. Bleibe daher jeder, soweit irgend möglich, bei seinem Beruf, halte tapfer und treu bei ihm aus, auch in der schwersten Zeit des Umlernens zur Einhändigkeit!“
Um diese schnelle Integration ins Alltags- und Berufsleben zu ermöglichen, wurden unterschiedlichste „Arbeitsarme“ mit auswechselbaren Ansatzstücken entwickelt. Das Werkzeug wurde dabei nicht von einer anatomisch geformten Prothesenhand getragen, sondern anstelle der Hand direkt an den Prothesenarm angesetzt. Mit diesen Arbeitsarmen konnte man deshalb nur ganz spezifische Tätigkeiten ausführen, die normalerweise an den Beruf des Versehrten angepasst waren. Die Arbeitshände erfüllten so im Arbeitsleben ihren Zweck, hatten jedoch keine Ähnlichkeit mit natürlichen Händen.

Arbeitshand und Sonntagshand

Die 1915 gegründete Prüfstelle für Ersatzglieder entwickelte auf diese Weise, in „mühevoller wissenschaftlicher Arbeit für 14 verschiedene Berufsarten die passenden Ersatzstücke“. Um ihre Funktionalität im Arbeitsvorgang zu optimieren, wurden die Prothesen und damit auch die Menschen selbst den Maschinen angepasst.
Ein Beispiel für einen serienmäßig gebauten Arbeitsarm, war der Siemens-Schuckert-Arbeitsarm. Entwickelt und gebaut bei den Siemens-Schuckertwerken in Nürnberg, war dieser Arm ein reines Arbeitsgerät, das von den Arbeitern an der Arbeitsstelle über die Arbeitskleidung angelegt, mit den erforderlichen Arbeitsansätzen versehen und nach der Arbeit infolgedessen auch abgelegt wurde. Er sollte explizit nicht als kosmetischer Ersatzarm benutzt werden, sondern war vor allem für schwere Arbeit ausgelegt.
Das Gegenstück zum rein funktionell gestalteten Arbeitsarm ist der sogenannte Schmuckarm. Seine Aufgabe ist es, die durch die Amputation entstandene Behinderung möglichst für Außenstehende unsichtbar zu machen. Der als passive Prothese ausgebildete Schmuckarm ist allenfalls zum einfachen Einklemmen eines Gegenstands in die Kunsthand (damals meist aus Leder gefertigt) geeignet, ist aber ansonsten anatomisch einem echten Arm mit Hand nachgebildet.
Bei manchen Arbeitsprothesen konnten für diesen Zweck die haken- oder ösenförmigen Ansatzstücke gegen sogenannte Sonntagshände ausgetauscht werden, die der natürlichen Hand nachempfunden waren und kosmetischen Ersatz boten. Was dabei offen blieb, war der Wunsch nach einer Prothese, die beides vereinigte: Funktionalität und Kosmetik.

Die willkürlich bewegbare Hand von Ferdinand Sauerbruch

Obwohl sich zahlreiche Ärzte mit den vorhandenen Arbeitsarmen für die Kriegsversehrten zufrieden zeigten, engagierte sich der bekannte Chirurg Professor Ferdinand Sauerbruch schon im April 1916 für bessere Prothesen: „Demgegenüber muß darauf hingewiesen werden, daß für viele Berufe die bisher konstruierten Behelfsglieder nicht dienlich sind. Hinzukommt, daß unsere Soldaten nicht nur ein Arbeits-, sondern auch ein Ersatzglied wünschen und dabei großen Wert auf die äußere Nachahmung der Hand legen. Die große Zahl der Kriegsinvaliden gebildeter Stände empfindet besonders den Mangel einer brauchbaren und wohlgestalteten künstlichen Hand.“
In der Zeit des Ersten Weltkriegs war Sauerbruch Professor an der Universität in Zürich, aber er arbeitete u. a. auch am Vereinslazarett Singen. Ausgehend von einer Idee des ebenfalls in Zürich lehrenden Professors für Maschinenbau, Aurel Stodola, der vorschlug, die noch vorhandenen Muskeln im Stumpf als Antrieb für eine künstliche Hand zu nutzen und einer groben Skizze für eine künstliche Hand, die sich vom Träger bewusst öffnen und schließen lassen sollte, begann Sauerbruch bereits 1915 an der Umsetzung zu arbeiten. Schnell war ihm klar, dass sich das Problem einer „willkürlich bewegbaren Hand“ aus einem chirurgischen und einem technischen Teil zusammensetzte.
Bereits im April 1916 hatte Sauerbruch, der schon damals ein bedeutender Mediziner war, eine gangbare Lösung für die Kraftübertragung gefunden. In einem Brief an Oskar von Miller, den Gründer des Deutschen Museums, schrieb er: „Vielleicht haben Sie von unserem Verfahren gelesen, das darin besteht, die Stumpfmuskulatur wieder so arbeitsfähig zu machen, daß sie in die Lage kommt, eine künstliche Hand willkürlich zu bewegen. In der Tat sind die bisher erreichten Erfolge soweit abgeschlossen, daß man sagen kann, dass der chirurgische Teil der Aufgabe gelöst ist. Es gelingt tatsächlich, den Amputierten eine Kraftquelle zu liefern, die an sich in der Lage ist, eine schwere Arbeit zu leisten. […] Was uns bisher aber fehlt, ist eine brauchbare Hand.“
Sauerbruch war es gelungen eine Operationsmethode zu entwickeln, um im Armstumpf seiner Patienten einen oder zwei Hautschläuche von etwa einem Zentimeter Durchmesser und fünf Zentimeter Länge auszubilden, die sich mitten durch den verbliebenen Muskel zogen. Wenn nach zwei Wochen alles ausgeheilt war, konnte in diese Hautkanäle ein Stift aus Elfenbein eingeführt werden. Spannte und entspannte der Patient nun seinen Armmuskel, so bewegten sich die Stifte und diese Kraft reichte aus, um über einen Seilzug eine einfache Kunsthand bewegen zu können. Über den Druck der Stifte auf die Haut konnte der Patient zudem fühlen, wie stark er „zugriff“.

Teetrinken und Streichhölzer anzünden

Was für eine brauchbare Armprothese im Jahr 1916 allerdings noch fehlte, war die passende künstliche Hand, die auch in der Lage war, die Möglichkeiten, die die Sauerbruch-Methode zur Kraftübertragung bot, auch optimal umzusetzen. Letztlich entschied Sauerbruch sich schließlich für die von Jacob Hüfner entwickelte Ersatzhand, da diese Zweizughand mittels zweier Seilzüge geöffnet, aber auch wieder aktiv geschlossen werden kann. Diese sogenannte Hüfnerhand besitzt außerdem einen Sperrmechanismus, wodurch sich ein Griff ohne weiteren Kraftaufwand fixieren ließ. Mit der Sauerbruch-Armprothese war tatsächlich nicht nur ein sehr feines Zugreifen möglich, beispielsweise um eine Tasse zum Mund zu bewegen, oder um ein Streichholz zu entzünden, sondern sie eignete sich auch für viele andere Arbeitsvorgänge. Gerade Patienten, die im Krieg beide Arme verloren hatten, wurden oftmals mit einer oder zwei Sauerbruch-Prothesen versorgt. „Der Gebrauch einer Prothese muß gelernt werden wie der eines Musikinstrumentes: Wird ein Armamputierter entlassen, ohne daß er seine Prothese völlig beherrscht, so ist das gerade so, als würde ich jemand ein Klavier schenken und ihm sagen: So, nun kannst du Dir dein Brot als Musiker erwerben.“ (Aus: Der Prothesenbau, 1919)
Eine Statistik, die nach dem Ersten Weltkrieg erschien, erbrachte allerdings ein für alle Orthopäden und Orthopädietechniker ernüchterndes Ergebnis – über 80 Prozent der Armamputierten gab an, ihre Prothesen nie zu tragen. Eine spätere Befragung im Jahr 1946 fiel positiver aus: 56 Prozent gaben an, ihre Kunstarme bei täglichen Arbeiten und Verrichtungen zu tragen, 31 Prozent trugen ihre Prothese gelegentlich und nur 18,4 Prozent trugen sie überhaupt nicht. Obwohl also schon während des Ersten Weltkrieges und in den Jahren danach schnelle Fortschritte in der Prothesenentwicklung gemacht wurden, blieb der Einsatz der modernen Entwicklungen hinter den Erwartungen zurück. Ein Problem war auch, dass die Sauerbruch-Prothese relativ teuer und als Vorbereitung ein operativer Eingriff nötig war. Um die Motivation zu erhöhen, erschienen deshalb eine Reihe von Schriften mit Lebensberichten von „Einarmigen und Ohnhändern“, die Selbstvertrauen und neuen Lebensmut wecken sollten.

Von der Vaduzer-Hand zur myoelektrischen Steuerung

Die Vaduzer Hand wurde 1949 unter der Leitung von Dr. Edmund Wilms in Vaduz (Lichtenstein) entwickelt. Sie war die erste Armprothese, bei der die Bewegung der künstlichen Hand durch einen elektrischen Motor angetrieben wurde. Die Steuerung erfolgte über ein Anspannen der Muskeln im Armstumpf. Dadurch wurde ein Druckkontaktschalter betätigt, der den Motor aktivierte und die Hand schloss oder öffnete. Die Entwicklung war allerdings kein kommerzieller Erfolg.
Den Durchbruch bei der Steuerung brachte erst die Möglichkeit, die Prothese auch elektrisch steuern zu können. Bei der sogenannten myoelektrischen Armprothese sitzen im Prothesenschaft hierfür zwei Elektroden, die die Kontraktion der im Stumpf vorhandenen Muskeln als elektrische Signale erfassen und diese an die künstliche Hand weiterleiten. Diese kann die Signale anschließend in die gewünschten Handbewegungen umsetzen.
Heutzutage werden Handprothesen allerdings nicht mehr aus Holz gefertigt, sondern sie bestehen aus Kunststoff und Metall und können wasserdicht ausgeführt werden. Jeder Finger kann einzeln bewegt und angesteuert werden, Motoren in der Handprothese ermöglichen unterschiedliche Griffarten, die idealerweise sogar direkt angesteuert werden können. Sie sind mit etwa 300 bis 480 Gramm auch nicht mehr schwerer als eine natürliche Hand. In der Ausstellung Gesundheit im Deutschen Museum können Sie bei einem Besuch sogar selbst eine moderne künstliche Hand mit ihren eigenen Armmuskeln steuern.

Autor/in

Florian Breitsameter

Dr. Florian Breitsameter hat Chemie studiert und ist Kurator für Pharmazie und Medizintechnik am Deutschen Museum. Er entwickelte das Konzept für die neue Ausstellung »Gesundheit«, außerdem forscht er zur Geschichte der Meisterpräparate in der Sammlung Pharmazie.

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