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New York – Paris 1908

Im Februar 1908 starte am Times Square in New York die erste Tourenwagenrallye um die Welt, einer der skurrilsten Wettbewerbe der Automobilgeschichte. Bei dem Rennen traten sechs Mannschaften aus vier Nationen an, fuhren um die halbe Welt, von New York nach Paris - durch eine Welt ohne Straßen, ohne Tankstellennetz und Vertragswerkstätten. Dabei war auch ein deutscher Wagen – ein speziell für dieses Rennen gefertigter schwerer Tourenwagen der Berliner Firma Protos, der mit den beiden Ingenieren Ernst Maaß und Hans Knape und dem deutschen Oberleutnant Hans Koeppen ins Rennen aufbrach und fünfeinhalb Monate später mit neu zusammen gewürfelter Besatzung und rund 21.000 km auf dem Tacho, wenn auch nicht als Sieger, so doch als erster Wagen den Zielort Paris erreichte. Heute ist der Protos eines der Highlights der Automobilsammlung des Deutschen Museums.

Der holprige Siegeszug des Automobils

Zu den grundlegenden Einsichten der jüngeren Automobilgeschichte gehört die Erkenntnis, dass der langfristige Erfolg des Automobils in den ersten Jahrzehnten ein sehr „holpriger Siegeszug“ (Christoph Maria Merki) war, ein Erfolg, der sich erst nach Jahrzehnten der aktiven Popularisierung, Werbung und Lobbyarbeit einstellte und anfangs gerade in Deutschland mancherlei Widerstände und Proteste in der Bevölkerung provozierte. Spektakuläre Rennveranstaltungen und Automobilwettbewerbe trugen seit Ende des 19. Jahrhunderts auf vielfältige Weise dazu bei, dem Automobil gesellschaftlich den Weg zu ebnen. Sie boten den Automobilisten ein Forum, dem Publikum Spannung, schufen populäre „Sieger“ und „Helden“, machten neugierig und führten einer breiten Öffentlichkeit das technische Potential der „Selbstfahrer“ vor Augen.

Spektakuläre Rennen sollen das Automobil populär machen

So rief die Pariser Tageszeitung Le Matin, im Herbst 1907 zu einer „Tour de Pol“ auf, zu einer Wettbewerbsfahrt durch die Kältezonen der nördlichen Halbkugel inklusive Alaska und das nördliche Sibirien aufrief, die im Winter 1907/08 in New York starten und in Paris enden sollte. Eines der Ziele, war es, damit das Potential des Automobils sichtbar zu machen. Schnell in Euphorie geraten, diskutierte die automobile Welt, ob denn eine solche Fahrt mit dem Automobil auch tatsächlich machbar war, immerhin gab es kaum Erfahrung mit Benzinern in Eis und Schnee. Die Einschätzung durch die Experten war jedoch optimistisch. Angesichts der raschen technischen Entwicklung des Automobils, „sollte eine solche Tour keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bieten“ wie Henry Savage Landor, ein damals bekannter Exkursionsreisender, der New York Times als Mitveranstalter auf amerikanischer Seite attestierte. (NYT, 27.11.1907). Das einzige Element der Unsicherheit erschien ihm die Passage der Beringstraße, also die   Meerenge zwischen den Kontinenten Asien und Amerika. Für den Rest der Route, könnten Automobilisten überall Wege finden.

Von Peking nach Paris – 1907

Der Optimismus, eine solche Fahrt bewältigen zu können, nährte sich von den Erfahrungen der damals gerade erfolgreich abgeschlossenen Fernfahrt von Peking nach Paris, die im Sommer 1907 stattgefunden hatte. Im Jubel über ihr glückliches Ende, geriet beinahe in Vergessenheit, dass die Reise durch Wüstenregionen Asiens mehrere Teilnehmer des Wettbewerbs fast den Tod gekostet hätte. Auch zu dieser Fernfahrt hatte Le Matin aufgerufen, war Frankreich doch um die Jahrhundertwende ein Trendsetter des Automobilismus und ein wichtiger Standort der aufkeimenden Automobilindustrie. Nachdem die französischen Teilnehmer den Sieg der Fernfahrt im Sommer 1907 einem italienischen Wettbewerber hatten überlassen müssen, meldeten sich gleich drei Mannschaften aus Frankreich für das neue Rennen von New York nach Paris, darunter ein DeDion-Bouton-Wagen mit Monsieur Bourcier de St. Chaffrey an Bord, der zugleich den Mitveranstalter Le Matin im Rennen vertrat und unterwegs diverse organisatorische Fragen zu lösen hatte.

Das deutsche Team im Protos-Tourenwagen

In dieser Zeit des verschärften Imperialismus und Nationalismus waren internationale Automobilrennen eine Bühne des nationalen Schaulaufens und Wettbewerbs. So war es auch nicht automobiler Enthusiasmus, sondern nationaler Stolz, der den 31jährigen deutschen Oberleutnant Hans Koeppen bewog, sich dafür zu engagieren, dass ein deutscher Wagen an dem Wettbewerb teilnahm. Bis 1908 war Koeppen sportlich nur als Ausdauergeher beim Militär aufgefallen; er konnte zum Zeitpunkt des Rennstarts weder ein Auto fahren, noch hatte er je an einem Rennen teilgenommen. Gleichwohl gelang es ihm mit Unterstützung der Berliner Firma Protos und der Berliner Zeitung am Mittag bzw. des Ullstein-Verlags eine Mannschaft auf die Beine zu stellen. Als Fahrer und Mechaniker wurden die zwei Ingenieure Maaß und Knape gewonnen, den Part der Organisation der Tour übernahm Koepen, der preußische Oberleutnant. Zu seinen regelmäßigen Pflichten gehörte auch die Berichterstattung für die Berliner Zeitung. Diese Aufgaben führten ihn ins Rampenlicht der internationalen Presse, was den Mannschaftszusammenhalt schnell beeinträchtigte und später zum Ausscheiden von Maaß und Knape führte. Am Start in New York, am 12. Februar 1908, allerdings waren sie alle drei noch guten Mutes.Wie viele andere Teilnehmer unterschätzten sie die Strapazen, die sie erwarten würden. Koeppen glaubte sich zunächst auf einer Wettbewerbs-Tourenfahrt, bei der es, wie bei den damals bekannten Zuverlässigkeitsfahrten, weniger um Schnelligkeit, als ums Ankommen ging. Erst allmählich realisierte er, dass die Fahrt die Qualität eines Langstreckenrennens annahm.

Weitere Teams und Berichterstattung

Neben der Konkurrenz aus Frankreich - drei Teams auf DeDion, Motobloc und Sizaire-Naudin, unter denen sich Veteranen des Rennens Peking-Paris befanden - waren am Start am Times Square eine Crew aus Italien auf einem Züst und ein amerikanischer Thomas Flyer, der mit dem Rennfahrer Montgomery Roberts am Steuer und dem Teamleiter George Schuster, einem bewährten Erprobungsfahrer der Firma Thomas, schnell zu den Favoriten zählte und auf der Strecke durch die USA meist in Führung lag.

In den meisten Wagen fuhren zudem Zeitungsberichterstatter, Korrespondenten und Fotografen mit, die während des Rennens zum Teil wechselten. Ihre Meldungen boten die Grundlage dafür, dass regelmäßig Artikel in den großen Zeitungen zu finden waren und dass die internationale Öffentlichkeit über den Verlauf des Rennens fortlaufend informiert wurde. Nur wenige automobile Wettbewerbe der Zeit fanden überregional ein solches Presseecho, wenn auch das Interesse zwischenzeitig etwas abflaute. Mindestens entlang der Strecke eilte die Nachricht des Rennens den Teilnehmern beständig voraus. Mochten die Orte der Durchfahrt auch noch so klein sein, vielerorts fand sich Publikum, manchmal von weither angereist, auf den Augenblick wartend, da die Rennteilnehmer die Stelle passierten. Jede Ankunft in größeren Ortschaften sorgte für Volksaufläufe und selbst im dünn besiedelten Sibirien, fanden sich staunende Zuschauer.

Der Ablauf des Rennens ist in vielen Artikeln und in den Büchern von Koeppen, Schuster und Antonio Scarfoglio, der auf dem Züst mitfuhr, lebhaft beschrieben worden. Besonders das Buch von Hans Koeppen, das bereits 1909 erschien, ist noch heute eine vielseitige Quelle und spannend zu lesen. Es thematisiert nicht nur den Rennreport, sondern ist auch ein Reisebericht aus der Perspektive eines Menschen, der neben dem Wettbewerb sich für Land und Leute interessierte, mit denen er in Kontakt kam – nicht frei von Vorurteilen, aber offen für Eindrücke.

Die Route des Rennens

Die erste große Etappe führte die Teilnehmer durch die USA, auf einer Strecke etwas nördlich des 40. Breitengrades, im Osten durch Albany, Buffalo, Cleveland, Chicago, im Westen durch Omaha, Columbus, Ogallalla und die Rocky Mountains, dann etwas südlicher nach San Francisco. In Abwandlung der ursprünglichen Pläne – es drohte infolge eines mehrfach verschobenen Starts zu warm zu werden, um über Eis zu fahren - wurde die Fahrtroute von hier an geändert. Fahrzeuge und Mannschaften wurden statt nach Alaska von Seattle nach Wladiwostok verschifft und setzten ihre Fahrt auf dem eurasischen Kontinent durch das südlichere Sibirien fort, vorbei am Baikalsee, durch die Taiga, schließlich über Moskau, St. Petersburg, Königsberg und Berlin nach Paris. Einzig George Schuster erlaubte sich einen Abstecher mit dem Schiff nach Valdez, nur um zu berichten, dass es unmöglich war, mit dem Auto Alaska zu bereisen. Später wurden ihm dafür 15 Bonustage gutgeschrieben.

Die großen Herausforderungen

Aber auch der Winter in den nördlichen Staaten der USA hatte den Teilnehmern manche Herausforderung zu bieten. Kilometer über Kilometer mussten sie sich den Weg freischaufeln oder von Bauern räumen lassen. Die erste Gruppe auf einem 1-Zylinder Sizaire-Naudin schied so schon am ersten Tag aus. Als es wärmer wurde, erwarteten die Fahrer dagegen überall morastige Straßen und Sümpfe in denen die Wagen förmlich versanken. Einen Ausweg boten in dieser Welt ohne geeignete Straßeninfrastrukturen einzig die Eisenbahntrassen, wie die Strecken der Union Pacific oder der Transsibirischen Eisenbahn. Das Holpern über Schwellen nahm allerdings die Wagen über Gebühr in Anspruch, zog geplatzte Reifen, zerschundene Getriebeeinheiten, Materialbrüche nach sich. Schwere Pannen hielten die Betroffenen oft über Tage an einem Ort fest, wo sie auf Ersatzteile warteten oder mit Hilfe der örtlichen Schmiede versuchten, ihre Fahrzeuge wieder in Gang zu setzen. Auch das Fehlen von Brücken warf große Probleme auf. Als weitere Herausforderung gestaltete sich die Versorgung mit Benzin. Zwar hatte die Rennleitung Depots einrichten lassen, die aber oft weit auseinanderlagen oder nicht zugänglich waren. Deshalb mussten sich die Teilnehmer selbst mit Treibstoff bevorraten. Durch die dauernden Belastungen, das gefürchtete Rocky Mountain-Fieber und Malaria-Mücken erkrankten einige Teilnehmer zudem schwer.

Irrtümlich Sieger, dann zweiter Platz für Protos

Unter diesen Umständen erreichten letztlich nur drei Mannschaften das Ziel. Nach einem hart umkämpften Rennen, das sich der Thomas Flyer und der Protos auf ihrer Reise durch Sibirien und Europa lieferten, wo sie wechselweise in Führung lagen und wieder zurückfielen, erreichte der Protos am 26. Juli 1908 als ersterWagen das Ziel. Schon in Berlin als Sieger gefeiert, mussten sich Koeppen und seine neuen Begleiter jedoch mit dem zweiten Platz begnügen, denn die Protosmannschaft war nicht über San Francisco gefahren, sondern wegen eines schweren Wagendefekts mit der Eisenbahn von Ogden nach Seattle gereist, was dem Team 15 Straftage eintrug. Zum Sieger des Rennens wurde das Team auf dem Thomas Flyer erklärt, das Paris vier Tage später erreichte. Als dritter Sieger folgte im September der Züst.

Hans Koeppen nahm es nach anfänglichem Ärger vergleichsweise sportlich. Für ihn hatte die Langstreckenfahrt vor allem bewiesen, dass das Auto eine große Zukunft als Reiseverkehrsmittel vor sich hatte. In seiner persönlichen Biographie, war das „Great Race“, wie es in den USA genannt wurde, der unwiederbringliche Höhepunkt. Das Rennen faszinierte jedoch nicht nur viele Zeitgenossen, sondern auch Generationen von Auto- und Motorsportliebhabern. In den 1960er Jahren bot es die Vorlage für den Hollywood-Film das „Große Rennen rund um die Welt“ und wurde für das Jubiläum 2008 erneut dokumentarisch verfilmt.

Spektakuläre Werbetour für den Automobilismus

Tatsächlich bedarf es keines Enthusiasmus für den Motorsport, um zu erkennen, dass das automobile Event von 1908 ebenso wie sein Vorläufer Paris-Peking ein nachhaltig wirkendes Ereignis auf dem Weg der Verbreitung des Automobils war. Es belegte nicht nur, dass man sich mit einer genügenden Portion Hartnäckigkeit, Organisationstalent und technischem Geschick im Auto um die Welt bewegen konnte. Das Rennen war nach zeitgenössischen Maßstäben auch ein großes Medienereignis und damit rückwirkend betrachtet eine spektakuläre, breitenwirksame Werbetour für den Automobilismus. Dem entspricht, dass wohl drei der Teilnehmerfahrzeuge bis heute erhalten sind: der Thomas Flyer im National Automobile Museum, in Reno, USA, der Protos gehört seit 1911 zur Sammlung des Deutschen Museums und ist im Verkehrszentrum ausgestellt. Der italienische Teamwagen Züst hatte lange Zeit unerkannt bei privaten Sammlern in den USA überlebt und wurde erst zur 100-Jahrfeier des Rennens 2008 wieder an die Öffentlichkeit gebracht.

Quellen und Tipps zum Weiterlesen

Quellen:

  • Hans Koeppen, Im Auto um die Welt. Berlin: Ullstein 1909. Verfügbar in der Bibliothek des Deutschen Museums: Opac Link

  • George Schuster, Tom Mahoney, Das längste Autorennen aller Zeiten. 2. Aufl. Stuttgart: Schrader Verlag, 1997.<
    Verfügbar in der Bibliothek des Deutschen Museums: Opac Link

  • Online veröffentlicht sind auch die originalen Artikel der New York Times (www.nytimes.com/ref/membercenter/nytarchive.html)

Monographie:

  • Julie M. Fenster, Race of the Century: The Heroic True Story of the 1908 New York to Paris Auto Race. New York: Crown Publishers 2005.

Den Protoswagen im Verkehrszentrum ansehen

Autor/in

Bettina Gundler

Bettina Gundler leitet die Hauptabteilung Verkehr, Mobilität, Transport und ist die Leiterin des Deutschen Museum Verkehrszentrum. In diesem Zweigmuseum auf der Theresienhöhe in München erfährt man alles rund um das Thema Mobilität - und die Fortbewegung auf Reifen, Rollen, Rädern und Kufen.
Ihr Tipp für einen Besuch: Den Audioguide an der Kasse des Verkehrszentrums ausleihen und damit die Highlights in allen Hallen entdecken.

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