Direkt zum Seiteninhalt springen

von

Das Deutsche Museum und die Firma Louis Seliger & Sohn oder Was Erwerbungen aus der NS-Zeit (nicht) erzählen

Hinter Ausstellungsstücken, die in der Zeit des Nationalsozialismus erworben wurden, verbergen sich nicht selten tragische Geschichten. Davon sind nicht nur kunsthistorische Museen betroffen, die in ihren Sammlungen immer wieder NS-verfolgungsbedingt entzogene oder im Zweiten Weltkrieg geraubte Kulturgüter entdecken. Beschäftigt man sich intensiver mit der Herkunft der Objekte, stößt man auch in technischen Museen auf Spuren des NS-Unrechts. So auch im Deutschen Museum, das 2023 ein umfassenderes Forschungsprojekt zu möglichen NS-Provenienzen in seiner Sammlung starten wird.

Ein günstiges Angebot

Am 29. November 1933 bot das Breslauer Musikhaus Louis Seliger & Sohn dem Deutschen Museum einen Neo-Bechstein-Flügel an – ein damals völlig neuartiges elektrisches Klavier, das Oskar von Miller schon länger erfolglos als Schenkung zu bekommen versuchte. Das Instrument sei neu und absolut ungespielt, aber "hier für uns als Gebrauchs-Objekt unverkäuflich." Man wolle den Neo-Bechstein deshalb für 1200 Mark gerne dem Deutschen Museum überlassen. Ein Angebot, das nicht nur weit unter dem üblichen Verkaufspreis lag, sondern auch über 800 Mark unter dem Einkaufspreis.

Vom Wunderklavier zum Ladenhüter

Dabei war das vom Berliner Klavierhersteller Bechstein gemeinsam mit der Elektrotechnikfirma Siemens & Halske und dem Chemie-Nobelpreisträger Walther Nernst (bzw. in Wirklichkeit vor allem von dessen Assistenten) entwickelte Instrument erst vor zwei Jahren auf den Markt gekommen. Die innovative Technik – der Flügel war statt eines Resonanzbodens mit elektromagnetischen Tonabnehmern, einem elektrischen Verstärker und einem externen Lautsprecher ausgestattet – eröffnete völlig neue spielerischen Möglichkeiten: Neben der Lautstärke ließ sich beim Neo-Bechstein auch die Klangfarbe (in Richtung Harmonium oder Cembalo) verändern. Außerdem waren ein Radio und ein Plattenspieler eingebaut, die wahlweise alleine oder als Begleitung zum Klavier betrieben werden konnten. Bei all dem war der Neo-Bechstein vom Preis her auch noch günstiger als ein konventioneller Flügel. Der Absatz des als "Wunderklavier" und "Musikinstrument der Zukunft" bejubelten Instruments blieb allerdings weit hinter den Erwartungen zurück: Nach anfänglichen Verkaufserfolgen wurde bereits im ersten Halbjahr 1933 nur noch ein einziges Exemplar verkauft.

Die Firma Bechstein traf das umso härter, als die Entwicklung des Neo-Bechstein bereits die Reaktion auf eine Krise gewesen war, in der die Firma schon seit Ende der 1920er Jahre steckte: Durch die Weltwirtschaftskrise und die zunehmende Verbreitung von Schallplatte und Radio war der Absatz klassischer Klaviere in Deutschland dramatisch eingebrochen. Ab 1933 verschärfte sich diese Krise, wie auf der Bechstein-Webseite zur Firmengeschichte zu lesen ist, noch durch ein weiteres Problem: "Mit der rücksichtslosen Verfolgung, Enteignung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bürger durch die Nationalsozialisten verlor Bechstein einen großen Teil seiner potenziellen Käufer. Der 'Bechstein' war in den Familien des wohlhabenden jüdischen Bildungsbürgertums eines der bevorzugten Instrumente."

Eine Entwicklung, an der die Firma Bechstein selbst nicht unbeteiligt war: Zusammen mit der Frau des Münchner Verlegers Hugo Bruckmann, der 1933 Nachfolger Oskar von Millers im Vorstand des Deutschen Museums wurde, hatte die Miteigentümerin und glühende Antisemitin Helene Bechstein den Aufstieg Adolf Hitlers seit den frühen 1920er Jahren mit gesellschaftlichen Kontakten und großzügiger finanzieller Unterstützung tatkräftig befördert.

Nun trieb das Fiasko mit dem Neo-Bechstein die Firma ganz in den Ruin. Als das Deutsche Museum im September 1933 ein weiteres Mal mit der Bitte um ein Exemplar des innovativen Elektroflügels an die Firma herantrat, teilte diese mit Bedauern mit, dem Wunsch nicht nachkommen zu können, da man sich aufgrund der "Verhältnisse in unserer Branche" in Insolvenz befinde.

Heut sind wir natürlich nicht mehr in der Lage Präsente zu machen

Die allgemeine Krise der deutschen Klavierindustrie traf natürlich nicht nur die Klavierbaufirmen. Auch für Klavierhändler wurden die Zeiten immer schwieriger. So auch für das Pianohaus Louis Seliger & Sohn in Breslau. Hatte die Firma 1921/22 dem Deutschen Museum nicht mehr verkäufliche Objekte noch geschenkt, kann Seliger dem Museum im April 1932 einen aus der Mode gekommenen automatischen Phonola-Flügel nur (zu einem Vorzugspreis) zum Kauf anbieten: "Heut", schreibt er entschuldigend, "sind wir natürlich nicht mehr in der Lage Präsente zu machen".

Im Gegensatz zu Bechstein brachen Louis Seliger & Sohn aber nicht nur die Kunden weg. Die Firma Seliger hatte ein doppeltes Problem: Die Inhaber waren jüdisch und damit ab 1933 auch selbst der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Der Name der Firma findet sich u. a. auf dieser von der NSDAP Gauleitung Schlesien herausgegebenen Liste jüdischer Geschäfte von 1937.

Wie ist es vor diesem Hintergrund einzuschätzen, dass die Firma Louis Seliger & Sohn dem Deutschen Museum Ende 1933 einen in ihrem Besitz befindlichen Neo-Bechstein für einen außerordentlich günstigen, sogar weit unter dem Einkaufspreis liegenden Betrag anbietet? Warum genau war das Instrument "hier [d. h. in Breslau] für uns [die Firma Seliger] als Gebrauchs-Objekt unverkäuflich"? – Weil sich (elektrische) Klaviere aufgrund der allgemeinen Krise generell nur noch sehr schlecht verkauften? Oder weil die Firma jüdisch war? Und wie ist in diesem Kontext schließlich eine Schenkung von vier Objekten zu beurteilen, die die Firma Louis Seliger & Sohn dem Deutschen Museum kurz vor dem Angebot des Neo-Bechstein machte?

Eine kurze Geschichte der Firma Louis Seliger & Sohn

Aus der Zeitschrift für Instrumentenbau, die immer wieder einmal über Louis Seliger & Sohn berichtete, erfährt man, dass die seit 1857 bestehende Firma ursprünglich als Unternehmen zur Vermarktung technischer Neuheiten aller Art gegründet wurde ("Permanente Industrie-Ausstellung Louis Seliger"). Später hatte sich der Betrieb auf die Erzeugnisse der Musikinstrumentenbranche verlegt und über die Jahre, wie es in einem Bericht zur goldenen Hochzeit des Firmengründers heißt, zu "einem der angesehensten Klaviergeschäfte des deutschen Ostens" entwickelt.

Die Verkaufsräume befanden sich auf drei Etagen eines Geschäftshauses in bester Lage in der Breslauer Innenstadt. An der Werbung in den Schaufenstern und auf dem Briefpapier der Firma sieht man, dass das seit 1897 von den Söhnen des Gründers, Martin und Jacques Seliger, geführte Unternehmen auch nach der Spezialisierung auf Musik weiter auf innovative Technik setzte: Neben klassischen Klavieren und Harmoniums verkaufte Seliger auch pneumatisch betriebene selbstspielende Pianos und "moderne Sprechmaschinen" (Grammophone und Phonographen). Dieses Spektrum spiegelt sich auch in den Objekten wider, die Seliger dem Deutschen Museum überlassen hat.

Aus den Mitteilungen in der Zeitschrift für Instrumentenbau und aus der Datenbank des Deutschen Patentamts geht außerdem hervor, dass sich Martin und Jacques Seliger auch selbst mit technischen Verbesserungen an solchen Instrumenten beschäftigten: Zum Schutz ihrer Erfindungen meldeten sie diverse Gebrauchsmuster und Patente an.

Spätestens seit den 1930ern verkauften die stets am Puls der Zeit bleibenden Seligers – nun unter dem Namen "Klavier- u. Radio-Etage Seliger & Sohn" – auch Rundfunkapparate. Zu diesem Zeitpunkt war die Firma aber wahrscheinlich schon in Schwierigkeiten.

Breslau 1933

Am 30. Januar 1933 übernahmen in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht. Einen Tag später notiert der in Breslau lebende jüdische Historiker Willy Cohn in seinem Tagebuch: "Die Nazis benehmen sich wie die Sieger! Die Straßen sind voll von schwarzen und braunen Uniformen." Am 6. Februar wird einer von Cohns Studenten auf offener Straße von SA-Leuten ermordet. Am 11. März (drei Wochen vor den reichsweiten Boykottaktionen vom 1.4.1933) prügelt die SA in Breslau jüdische Richter und Anwälte aus dem städtischen Gerichtsgebäude, lässt jüdische Bürger nicht mehr in die Börse und zwingt jüdische Geschäfte in der Breslauer Innenstadt zu schließen. Am 2. April schreibt der jüdische Handelsvertreter Walter Tausk in seinem Breslauer Tagebuch: "Der Boykott [jüdischer Geschäfte] hat sich in ganz Schlesien zu einem Blutrausch der SA entwickelt, zu offenen Plünderungen, Gewalttaten, Racheakten." Cohn notiert zwei Wochen später erschüttert: "Man gräbt uns [Juden] jede Existenzmöglichkeit systematisch ab."

In seiner Juni-Ausgabe schreibt das Breslauer Jüdische Gemeindeblatt: "Da der Nationalsozialismus [...] die Parole der Ausschaltung der Juden aufrecht erhält, so muss das deutsche Judentum der kommenden Entwicklung mit schweren Sorgen entgegensehen. Viele jüdische Menschen sind auf der Höhe ihres Lebens vollständig aus der Bahn geworfen worden, sie haben ihren Beruf verloren, sehen sich materieller Not entgegengehen, [...] ihre Ehre schwersten Angriffen ausgesetzt. [...] Lebensgrundlagen, die man für unabänderlich hielt, schwinden dahin." Unter denen, die mit zunehmender Verzweiflung in Texten und Anzeigen an den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinde appellieren, ist auch die Firma Seliger:

Wenn die Firma dem Deutschen Museum Mitte September in einem Brief "ergebenst" die Schenkung von vier alten Instrumenten offeriert, muss man sich deshalb eine Frage stellen: Warum in aller Welt beschäftigten sich die Seligers in einer solchen Situation damit, einem Museum im fernen Bayern Geschenke zu machen? – Der Sinn kann eigentlich nur gewesen sein, dadurch einen alten Kontakt wieder zu aktivieren, in der Hoffnung, vielleicht von hier noch Hilfe zu bekommen. Wahrscheinlich kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen und annehmen, dass die Seligers bereits zu diesem Zeitpunkt darauf hofften, das Deutsche Museum später vielleicht auch als Käufer für den wertvollen, aber (für sie) nicht mehr verkaufbaren Neo-Bechstein gewinnen zu können.

Die Seligers und das Deutsche Museum

Schließlich standen die Seligers mit dem Deutschen Museum seit mehr als zehn Jahren in freundlicher Verbindung. 1921 hatte einer der beiden Brüder, nachdem er bei einem Besuch in München durch die Abteilung Musikinstrumente geführt worden war (damals noch in den provisorischen Räumlichkeiten auf der anderen Isarseite), dem Museum zur Ergänzung der Sammlung aus Breslau "einen kleinen Leierkasten aus den Uranfängen der Notenblattinstrumente" geschickt. Das Exponat war bis 2009 in der Ausstellung "Musikautomaten" zu sehen.

1922 bekam das Museum von Seliger noch eine ältere Strahlenklaviatur – ein kurzlebiger Versuch einer ergonomischeren Tastaturgestaltung – geschenkt, die heute nicht mehr existiert (Kriegsverlust). Als Gegenleistung bat sich Seliger lediglich ein "Stifterschildchen" mit dem Firmennamen aus, wie er das in der Ausstellung bei anderen Schenkungen gesehen hatte. Was das Museum "selbstverständlich" und "mit verbindlichstem Dank" für diese "uns sehr erwünschte Stiftung" gerne erfüllte.

Einige Jahre später (1926) holen sich die Seligers beim Leiter der Abteilung Technische Akustik, Dr. Fuchs, Rat bei der Restaurierung eines alten Cembalos. 1930 melden sie sich erneut, um dem Museum ein seltenes experimentelles Viertelton-Harmonium anzubieten, das man "so billig an der Hand habe", dass man es "für einen Spottpreis" weitergeben könne. Was nicht zustande kommt, weil das Museum schon ein solches Instrument besaß.

Im April 1932 folgt das bereits erwähnte Angebot, dem Deutschen Museum einen neuwertigen, aber nicht mehr ganz aktuellen automatischen Phonola-Flügel günstig zu verkaufen. Auch diesmal hat das Museum schon ähnliche Geräte in der Ausstellung und lehnt aus Platzmangel bedauernd ab.

Die im September 1933 als Schenkung angebotenen Objekte – ein Phonograph, eine alte Klavierspielhilfe "Patent Soblik", die Windlade eines pneumatischen Phonola-Flügels und ein unvollständiges Exemplar des ersten auf den Markt gebrachten Grammophons – nimmt das Museum dagegen wieder gerne an: "Wir möchten nicht verfehlen, Ihnen für diese neuerliche Stiftung, welche eine erwünschte Bereicherung unserer Gruppe Musikinstrumente darstellt, den verbindlichsten Dank auszusprechen", schreibt der Verwaltungsdirektor des Hauses am 26. Oktober. Die fürchterliche Lage, in der sich die Seligers damals befunden haben müssen, erwähnen auch diese selbst mit keinem Wort.

Am 29. November bietet die Firma dem Deutschen Museum dann den Neo-Bechstein an, für 1200 Mark bei einem Einkaufspreis von über 2000 M. Und das bei einem völlig neuen, erst vor zwei Jahren überhaupt auf den Markt gekommenen Instrument! Dass man bereit war, einen solchen Verlust in Kauf zu nehmen, um wenigstens an 1200 Mark zu kommen, zeigt, wie prekär die Situation der Seligers gewesen sein muss. Für das Deutsche Museum, das sich seit Jahren (zuletzt erst im September '33) darum bemühte, genau einen solchen Flügel günstig zu bekommen, war das Angebot dagegen eine geradezu ideale Gelegenheit.

Trotzdem nimmt das Deutsche Museum das Angebot der Seligers nicht an, sondern kündigt eher unverbindlich – und zum ersten Mal "mit deutschem Gruß!" statt mit "vorzüglich(st)er Hochachtung" wie bisher – an, "in Kürze auf dasselbe zurückzukommen". Der Grund: Das Museum, das sich, wie aus den alten Jahresberichten hervorgeht, aufgrund der Wirtschaftskrise damals selbst in einer schwierigen finanziellen Lage befand, hatte die Summe schlichtweg nicht. Noch am selben Tag – "wir möchten uns dieses günstige Angebot nicht gerne entgehen lassen" – fragt das Deutsche Museum deshalb bei der Firma Siemens, die den Neo-Bechstein mitentwickelt hat, an, ob diese vielleicht bereit wäre, den Ankauf von Seliger zu finanzieren.

Das Ende

Die Geschichte endet anders: Siemens und die mit Unterstützung prominenter Nazis bald wieder sanierte Firma Bechstein kommen überein, den Neo-Bechstein nun doch selbst zu stiften: Siemens & Halske liefert gratis die Elektrik, Bechstein stellt für einen Unkostenbeitrag von 400 Mark den mechanischen Teil des Flügels zur Verfügung. Im April 1934 wird der Neo-Bechstein, der auch in der aktuellen Ausstellung Musikinstrumente zu sehen ist, im Deutschen Museum aufgestellt.

Die Seligers, die von den zu diesem Zeitpunkt bereits laufenden Verhandlungen mit Siemens und Bechstein nichts wissen, bitten das Deutsche Museum am 9. Januar 1934 in einem weiteren Brief noch einmal herzlich, ihr Angebot "in irgendeiner Form" anzunehmen. Die Formulierung lässt erahnen, unter welchem Druck sie standen. Mit im Umschlag waren zwei historisch wertvolle Prospekte als Geschenk.

In seiner Antwort bedankt sich das Museum für die Prospekte. Für einen Ankauf des Neo-Bechstein habe man derzeit leider keine Mittel. Man werde sich aber bemühen, einen Stifter für das Instrument zu finden. – Tatsächlich lag zu diesem Zeitpunkt bereits die Zusage von Siemens (aber noch nicht die von Bechstein) vor.

Als die Seligers, vermutlich aus einem Pressebereicht zur jährlichen Ausschuss-Sitzung am 7. Mai, erfahren, dass das Deutsche Museum von der Reichsregierung eine Sonderförderung von 100.000 Mark erhält, reagieren sie umgehend und schreiben noch einmal nach München. Mit der Antwort –"eine Erwerbung [kommt] nicht mehr in Frage, da uns inzwischen von der Firma Siemens ein Neo-Bechstein-Flügel gestiftet wurde", außerdem seien die Gelder ausschließlich für den Bau des Kongresssaales bestimmt – war klar, dass auch vom Deutschen Museum keine Hilfe mehr zu erwarten war.

Hier enden die Spuren der Firma Louis Seliger & Sohn in den Akten des Deutschen Museums. Noch im gleichen Jahr werden in Breslau die ersten jüdischen Betriebe zwangsenteignet. Die verbliebenen jüdischen Geschäfte werden 1938/39 systematisch "arisiert". Am 25. November 1941 beginnen die Massentransporte der Breslauer Juden in die Vernichtungslager.

Um diesem Schicksal zu entgehen, bringt sich Jacques Seliger (*1870) am 23.11.1941 gemeinsam mit seiner Frau mit einer Überdosis Schlaftabletten um. Die auf der Meldekarte in den Arolsen Archives angegebene letzte Adresse des Ehepaars war eine Mietwohnung, in der man Insassen des im Oktober 1940 beschlagnahmten Israelitischen Altenheims zusammengepfercht hatte. Der ältere Bruder Martin Seliger (*1863) stirbt am 17.9.1942 zwei Wochen nach seiner Deportation im Lager Theresienstadt.

Anmerkungen, Quellen und Tipps zum Weiterlesen

Breslau wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum polnischen Wrocław. Das Geschäftshaus, in dem sich die Verkaufsräume der Firma Louis Seliger & Sohn befanden, früher Schweidnitzerstr. 10/11, jetzt ul. Świdnicka 19, steht heute noch. Die historischen Aufnahmen des Gebäudes wurden in der riesigen Fotosammlung des polnischen Vereins Wratislaviae Amici gefunden.

Dass die Seligers im Holocaust ums Leben kamen, erfährt man durch eine Recherche in der NS-Opferdatenbank Mapping the Lives bzw. aus den Arolsen Archives. Die genaueren Umstände ihres Todes gehen aus den Breslauer Sterberegistern im Landesarchiv Berlin hervor (online bislang leider nur kostenpflichtig über Ancestry.com zugänglich).

Quellen zur Situation der Juden in Breslau ab 1933:

  • Cohn, Willy: Kein Recht, nirgends. Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums 1933 – 1941. Hrsg. von Norbert Conrads, 2 Bde. Köln u. a. 2006.
  • Bräu, Ramona: "Arisierung" in Breslau.  Die "Entjudung" einer deutschen Großstadt und deren Entdeckung im polnischen Erinnerungsdiskurs. Saarbrücken 2008.
  • Reinke, Andreas: Judentum und Wohlfahrtspflege in Deutschland. Das jüdische Krankenhaus in Breslau 1726-1944. Hannover 1999. (Volltext online hier).
  • Bogacz, Daniel: Samobójstwa niemieckich Zydów we Wrocławiu [Selbstmorde unter den deutschen Juden in Breslau]. In: Studia nad Faszyzmem i Zbrodniami Hitlerowskimi Nr. 13, 1990: S. 235–264.

Die Korrespondenz der Seligers mit dem Deutschen Museum ist im Archiv des Deutschen Museums unter VA 1765/3, VA 1767/3, VA 1769/3, VA 1770/3 und VA 1771/3 zu finden.

Ob die im Oktober 1933 als Schenkung angenommenen Objekte der Seligers ein Fall für ein Restitutionsverfahren sind, sofern es noch Nachkommen der Familie gibt, ist eine der Fragen, die im Rahmen des im Februar startenden Provenienzforschungsprojekts geklärt werden sollen. Zumindest kann das Deutsche Museum heute mit der Provenienzforschung einen Beitrag dazu leisten, dass solche Geschichten nicht vergessen werden.

    Mehr zur Provenienzforschung an technischen Museen (NS-Zeit):

    1943 bekam das Deutsche Museum noch einen zweiten Neo-Bechstein als Geschenk: Das persönliche Exemplar des 1941 verstorbenen Nobelpreisträgers Walther Nernst. Wer mehr über dessen (in Wahrheit nicht sehr prominente) Rolle bei der Entwicklung des Neo-Bechstein, über die spezielle Technik des Elektro-Flügels oder über die Frühgeschichte der elektrischen Musik im Allgemeinen (und deren Ausstellung im Deutschen Museum) wissen will, dem seien die Publikationen von Peter Donhauser empfohlen:

    • Elektrische Klangmaschinen. Die Pionierzeit in Deutschland und Österreich. Wien u. a. 2007. (Volltext online hier).
    • Musikmaschinen. Die Geschichte der Elektromusik. Berlin 2019.

    Auf der Webseite der bis heute existierenden Firma Bechstein kann man den Neo-Bechstein in einem Werbefilm aus dem Jahr 1933 auch hören. Weitere Informationen und Literatur findet man im Deutschen Museum Digital.

    Für Hinweise danke ich Elisabeth Weber, Deutsches Technikmuseum Berlin, und Silke Berdux, Deutsches Museum.

    Das könnte Sie auch interessieren:

    Autor/in

    Bernhard Wörrle

    Bernhard Wörrle ist promovierter Ethnologe und leitet seit 2013 das digitale Sammlungsmanagementsystem des Deutschen Museums. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist koloniales Sammlungsgut.

    Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Die Vorführung in der Ausstellung Chemie anschauen! Unter der Woche täglich live, kostenlos und ohne Anmeldung.