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Die Erfolge der britischen Codebrecher im Zweiten Weltkrieg sind weltbekannt. Die Arbeit ihrer deutschen Gegenspieler ist dagegen bis heute kaum aufgearbeitet. Wer waren diese Menschen, die für das nationalsozialistische Deutschland Verschlüsselungsgeräte entwickeln? Und was wurde aus Ihnen nach 1945? Wir fragen nach bei Carola Dahlke, der Kuratorin für Kryptologie am Deutschen Museum und bei Robert Jahn, dem Filmemacher von "Fritz Menzer - Ein geheimes Leben".

Carola Dahlke, Kryptologie-Kuratorin am Deutschen Museum, hat zusammen mit dem Filmemacher Robert Jahn eine aufwendige Spurensuche zum Erfinder des Schlüsselgeräts 41 gestartet, die unter anderem nach Italien, Österreich, England, Schweden, Russland, in die Schweiz und in die USA führte.

In Gesprächen und Interviews, unterlegt mit Bewegtbildern des italienischen Künstlers Cosimo Miorelli und bis dato ungezeigten Dokumenten, wird in unserem Web-Dokumentarfilm das geheime Leben des Fritz Menzer offenbart.

Die Kurzfilmreihe zum Schlüsselgerät 41 und seinem Erfinder, kann man sich jederzeit in der App des Deutschen Museums anschauen.

8 Fragen an Carola Dahlke und Robert Jahn:

Wer war Fritz Menzer?

Robert Jahn: Fritz Menzer war, wie wir heute wissen, eine der zentralsten Figuren der deutschen Kryptologie des Zweiten Weltkriegs. Und seine Erfindungen hatten auch in der Nachkriegszeit noch lange Einfluss auf die Technikentwicklung, nicht nur in Deutschland. Lange Zeit war Fritz Menzer aber vor allem ein Phantom. Jahrzehntelang war zu seinen Erfindungen und seinem Leben öffentlich fast nichts bekannt. Und auch gegenüber seiner Familie schwieg Fritz Menzer ein Leben lang. Wie wir von seiner Familie und Wegbegleitern erfahren konnten, war Fritz Menzer wohl ein sehr bescheidener Mensch. Aber das ist wohl nur ein Grund, warum er so entschieden über seine Rolle als Kryptologe schwieg. Was sonst noch dahinter steckt, will ich an dieser Stelle nicht verraten. Das können Sie in unserem Web-Dokumentarfilm zu Fritz Menzer selbst entdecken.

Carola, warum hast Du Dich als Kuratorin entschieden, aus der Recherche einen Film zu machen und nicht eine Ausstellung?

Carola Dahlke: Wir haben in der Ausstellung Bild-Schrift Codes einige Informationen über Fritz Menzers Erfindungen und deutsche Codebrecher ausgestellt. Selbstverständlich gäbe es inzwischen genügend Erkenntnisse und Objekte, um eine kleine Sonderausstellung über das Schlüsselgerät 41 (SG41) und über Fritz Menzer zu machen.

Aber es wäre dann nur für kurze Zeit sichtbar, nur an einem Ort zu entdecken. Ein Dokumentarfilm erreicht durch unsere App sehr viele interessierte Besucherinnen und Besucher, egal wo sie sind. Und all die Details und Interviews zum Kontext von Menzers Lebensgeschichte, das Forschen nach Dokumenten und Fakten, die Bewegtbilder des italienischen Künstlers Cosimo Miorelli lassen ein ganzheitliches Bild entstehen, das unsere Ausstellung wunderbar ergänzt und dazu auch deutlich macht, dass wir ein Forschungsmuseum sind.

Was ist das Besondere am Schlüsselgerät 41?

RJ: Wie sein Erfinder Fritz Menzer blieb auch das Schlüsselgerät 41 lange voller Geheimnise. Und dass es technisch seiner Zeit so weit voraus war, fasziniert viele Menschen noch heute.

CD: Das SG-41 besitzt eine sehr ausgefuchste Verschlüsselungsmechanik, die sehr faszinierend ist, wenn man sich näher damit beschäftigt. Kurz erklärt: für jeden Buchstaben, der verschlüsselt wird, erstellt die Maschine mit sechs Walzen und einem Stangenkorb eine pseudozufällige Zahl, mit der der Druckzylinder verdreht wird. Dieser liefert dann den Geheimtextbuchstaben.

Das SG-41 löst das durch eine Art 5-stelligen Bitcode, der durch die ersten fünf Walzen entsteht und der dann durch den Stangenkorb weiterverrechnet wird.

Zum Beispiel könnte dieser Bitcode so aussehen: 10101. Das Prinzip gab es schon in Hagelins Maschinen vor dem Zweiten Weltkrieg. Nun hat Fritz Menzer mechanisch eine interessante Sache eingebaut. Ist die sechste Walze aktiv, invertiert die Maschine den Bitcode von 10101 um in 01010 → und das ergibt dann beim Weiterverarbeiten im Stangenkorb eine ganz andere Zufallszahl. Das zu entziffern, hätte jedem Codebrecher viele Rätsel aufgegeben.

RJ: Das Entstehen des Schlüselgeräts 41 ist, wie die Biographie seines Erfinders Fritz Menzer, eine wunderbare Möglichkeit, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts mit all seine Facetten, auch all den Schattenseiten, zu beleuchten. Dass das SG-41 überhaupt entstand, lag an den Schwächen der Enigma. Dass es der Kriegsführung des Nationalsozialismus nicht mehr entscheidend nützlich werden konnte, ist ein großes Glück. Und dass es die Entwicklung der Nachkriegsmaschinen maßgeblich mitbestimmte, verdeutlicht die Kontinuität, die es in der deutschen Politik und Wirtschaft nach 1945 gab.

Robert, in Deinem Film werden auch Animationsbilder gezeigt. Welche Rolle spielen die in einem Dokumentarfilm, der sehr faktenbasiert ist?

RJ: Unser Ziel war es, diese aufwendige Recherche als Geschichte erlebbar zu machen. Da wir uns allerdings in einer größtenteils geheimen Welt bewegen, existiert naturgemäß fast kein historisches Bildmaterial.

Gemeinsam mit dem italienischen Künstler Cosimo Miorelli, haben wir deshalb eine Erzählebene entwickelt, die aus den recherchierten Fakten, historischen Dokumenten und Bildfragmenten bewegende Bilder erschafft. Diese machen es möglich in das Leben und Wirken Fritz Menzers emotional einzutauchen. Und sie ermöglichen es uns, die großen historischen Hintergründe zu zeigen, die Menzers Leben und Handeln beeinflussten.

Wir schaffen damit also eine Erzählung, die Persönliches und Politisches verbindet, faktenbasiert ist und gleichzeitig Emotionen erzeugt.

Wie seid ihr bei der Recherche vorgegangen, also welche Quellen habt ihr gefunden, wie nahm die Sache Ihren Anfang, in welche Länder hat Euch die Recherche geführt?

CD: Im Jahr 2016 habe ich einen ersten Vortrag über das SG-41 gehalten. Dazu hatte ich sehr viele TICOM-Dokumente, also freigegebene Protokolle des US-amerikanischen und britischen Geheimdienstes gelesen, der nach Kriegsende deutsche Krypto-Expertinnen und Experten befragte. Nur wenig Bruchstücke waren über das Gerät zu finden, über Fritz Menzer selbst gab es einen einzigen Artikel, der teilweise zensierte Absätze hatte. Und alles zielte immer auf andere Dokumente hin, die ich 2016 einfach nicht bekommen konnte. Trotz mehrerer Anfragen in Washington. Um weiterzukommen, benötigte ich dringend Hilfe…

RJ: Die Recherchen zu diesem Projekt ähnelten in weiten Teilen einer kriminalistischen Spurensuche. Als wir 2018 den Entschluss fassten uns gemeinsam auf die Suche nach Fritz Menzer zu begeben, existierte nicht ein öffentlich bekanntes Foto Menzers. Und bis heute sind, vor allem in amerikanischen und russischen Archiven, viele Akten zu Fritz Menzer und seinen Erfindungen gesperrt oder teilweise geschwärzt. Menzers Spuren führten uns bei den Recherchen nach Deutschland, Österreich und die Schweiz, nach Italien, England, Schweden, Rußland sowie in die USA. Eine zentrale Rolle spielten natürlich die Dokumente des Target Intelligence Committee (TICOM), der NSA und der britischen Codebrecher. Aber auch die Unterlagen der Wanderer Werke im sächsischen Staatsarchiv in Chemnitz, die Wehrmachtsunterlagen im Militärarchiv in Freiburg und die Dokumente der Stasi. Viele Unterlagen wurden erst durch unsere Recherchen zugänglich, bzw. freigegeben. Unterstützung erhielten wir dabei von vielen internationalen Kolleg*innen.

Wie in einem Puzzle fügten sich die Informationen aus diesen Archiven zusammen und ermöglichten uns ein umfassendes Bild. Dass wir die Geschichte so persönlich erzählen können, verdanken wir dem Vertrauen der Verwandten von Fritz Menzer. Sie stellten uns umfangreiche private Dokumente sowie Bild- und Tonaufnahmen zur Verfügung. Dass es uns im Frühjahr 2020 gelang direkten Kontakt zur einzig noch lebenden Tochter Fritz Menzers zu finden, war deshalb wohl einer der entscheidendsten Momente in den Recherchen.

Was hat Euch am meisten überrascht bei Eurer Spurensuche?

RJ: Ein ganz besonderer Moment war es, als wir in britischen Archiven auf Dokumente stießen, die zeigen, dass die Codebrecher in Bletchley Park Fritz Menzers zentrale Rolle in der deutschen Kryptologie schon 1943/44 erkannt hatten. Und wie sie daraufhin seine Reisen durch Europa rekonstruierten. Damit wurde klar: was in Deutschland bis vor wenigen Jahren völlig unbekannt war, wussten die Codebrecher in Großbritannien schon während des Zweiten Weltkriegs.

Was mich darüber hinaus überraschte war, mit welcher Selbstverständlichkeit viele von Menzer Kollegen von den diversen Chiffrierstellen des Dritten Reichs schon kurz nach Kriegsende für und mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs weiterarbeiteten. Dort eröffnen sich zahlreiche neue spannende Geschichten, die ich in Zukunft gerne tiefgehender beleuchten möchte.

CD: Unsere Forschungen zur Krypto-Geschichte des Zweiten Weltkriegs haben mich auch in andere Themen eintauchen lassen. Zum Beispiel gab es auch in Deutschland Geräte und elektromechanische Maschinen zur Kryptoanalyse, um alliierte Chiffren zu brechen. Je tiefer man eintaucht und je mehr Unterlagen zutage treten, kommt man immer wieder bei Fritz Menzers zahlreichen Erfindungen heraus…

Warum ist die Beschäftigung mit Fritz Menzer und einem historischen Schlüsselgerät für uns heute interessant?

RJ: In der Zeit des Nationalsozialismus und in der Zeit des Kalten Kriegs musste Fritz Menzer immer wieder Lebensentscheidungen treffen, die weitreichende Konsequenzen hatten. Mehrmals stand wohl auch sein Leben auf dem Spiel. Wir leben heute wieder in einer Welt, die von krisenhaften Situation geprägt ist. Und der Krieg in der Ukraine macht uns deutlich, dass Frieden in Europa leider keine Selbstverständlichkeit ist. Ich denke, dass unser Film die Möglichkeit bietet, sich über den historischen Umweg mit Fragen zu beschäftigen, die auch heute wichtig sind. Und das gilt natürlich nicht für Menzers Leben, sondern auch für das Schlüsselgerät 41. Wissen wir wie und ob unsere persönliche Kommunikation verschlüsselt wird? Wissen wir wer die Technologien dafür entwickelt hat? Und wissen wir wer sie eventuell mitlesen kann, ohne das wir das wollen oder wissen?

Ihr habt sieben Kurzfilme gemacht - wie kommt es zu diesem Format?

RJ: Fritz Menzer Leben ist ein sehr fragmentarisches. Und auch unser Wissen darüber ist, trotz der intensiven Recherchen, noch immer bruchstückhaft. Mit unserem filmischen Konzept versuchen wir das zu vermitteln. Es ist bewusst kein langer Film, sondern wir zeigen in sieben Episoden wichtige Teile von Fritz Menzers Leben und Schaffen und schildern seine Erfindungen. Und es gibt Zusatzmaterial - Tonaufnahmen, Interviews, Fachinformationen und Dokumente - mit denen die ZuschauerInnen sich selbst noch mehr Wissen aneignen können.

Vielen Dank...

... für das interessante Gespräch und eure Zeit!

Trailer des Web-Dokumentarfilms

Fritz Menzer - ein geheimes Leben

Spannende Spurensuche rund um ein legendäres Chiffriergerät und seinen Erfinder. Die Ergebnisse sind jetzt als Kurzfilme in der App veröffentlicht.

Autor/in

Annette Lein

Annette Lein leitet die Internetredaktion. Gemeinsam mit ihrem Team ist sie für die Webseite und die Deutsches Museum App verantwortlich. Im Blog erzählt sie gerne von den Geschichten und Persönlichkeiten rund um das Deutsche Museum.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Die Ausstellung Bild Schrift Codes lädt ein, sich mit dem Thema Kommunikation zu beschäftigen und dabei Rätsel zu entschlüsseln, Schrifttypen kennenzulernen oder am Bücherregal zu schmökern.

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