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Durchleuchtet: Wenn Röntgenstrahlen auf Chiffriermaschinen treffen

Montag früh um 7:15h am Münchner Hauptbahnhof: Nachdem wir uns trotz dicker Jacken, Mützen und FFP-2 Masken erkannt haben, steigen wir in den ICE Richtung Mittelfranken. Denn bevor unsere Chiffriergeräte in die neue Ausstellung Bild Schrift Codes eingeräumt werden, steht ein ganz spezielles Fotoshooting beim Fraunhofer EZRT (Entwicklungszentrum Röntgentechnik) in Fürth an: mittels Computertomografie sollen die Geräte im wahrsten Sinn durchleuchtet werden. Das ermöglicht hochaufgelöste, dreidimensionale und vor allem auch zerstörungsfreie Einblicke in das Innenleben unserer wertvollen Maschinen!

Unsere Objekte wurden bereits im Vorfeld von einer Kunstspedition ans Fraunhofer EZRT in Fürth transportiert. Sobald wir dort ankommen, geht es auch sofort los: zuerst holen wir unsere Exponate gemeinsam mit den Wissenschaftlern des Fraunhofer EZRT aus einem Depot und bringen sie in eine hohe Halle, in der die XXL-CT-Anlage steht! Und die ist wirklich XXL!

Das Fraunhofer EZRT ist einer der führenden Standorte für die computertomografische Erfassung von Objekten. Mit der einzigartigen XXL-CT Anlage können sehr große Objekte mit sehr hoher Auflösung untersucht werden - auf dem ausladenden Drehteller durfte bereits das Raketenflugzeug Messerschmitt 163 Platz nehmen. Heute haben wir feinteilige und zum Teil sehr fragile Exponate für den Scan bereitgestellt. Unsere Chiffriergeräte sehen neben der großen Anlage tatsächlich sehr unscheinbar aus.

Die spezielle Aufnahmetechnik mittels Linearbeschleuniger als Röntgenquelle ermöglicht es sogar, fünf unserer Geräte gleichzeitig zu scannen. Per Hebekran wird deswegen vor unseren Augen ein spezieller Unterbau mit fünf Drehtellern auf das Scan-Podest gehoben, auf denen die Geräte während des Scans um 360° rotieren. Für besonders gute Scanergebnisse wird jedes Exponat an einer Seite mit Holzkeilen schräggestellt, so dass die Röntgenstrahlen nicht parallel zu den Seitenflächen oder den Bauteilen im Inneren der Geräte auftreffen.

Dank der Durchstrahlungskraft der Röntgenquelle müssen die Exponate nicht aus ihrer Schutzverpackung geholt werden – die Transporthüllen aus Papier, Polsterfolie und die Holzkisten, die sowieso zu den Geräten dazugehören, wie z.B. die charakteristischen Holzkisten der Enigmas, können einfach mitgescannt werden. So lässt sich auf den ersten Blick kaum erahnen, welche Schätze wir auf die Drehteller stellen: zwei verschiedene Engima-Versionen, einen Lorenz Schlüsselzusatz 42, das Keyboard B62 der Chiffriermaschine H-54 von Rudolf Hell und die älteste Chiffriermaschine unserer Sammlung; der Kryptograph von Alexis Køhl aus den 1890er Jahren. Dieser ist in seiner vollsten Schönheit zu betrachten, da er für den Scan aus der Transportverpackung herausgenommen und komplett zusammengesetzt werden musste.

Nun benötigen wir etwas Geduld, denn ein kompletter Scan unserer Geräte in der XXL-Anlage dauert 12 Stunden. Um schneller an erste Ergebnisse zu kommen, bestücken wir zusätzlich die Hochenergie-CT Anlage für kleinere Objekte, die ebenfalls in der Halle steht: Hier soll eines unserer ganz besonderen Highlight-Exponate gescannt werden, und zwar das Schlüsselgerät 41 von Fritz Menzer, das 2017 im Waldboden südlich von München gefunden wurde. Wie wird sein Inneres aussehen, nachdem es ungefähr 70 Jahre im Boden vergraben lag?

Vorsichtig platzieren wir das fragile Gerät auf den Drehteller und verlassen die Halle. Von außen wird die Anlage eingeschaltet und dann müssen wir gespannt abwarten! Per Kamera können wir vom Kontrollraum aus beobachten, wie sich unser Schlüsselgerät während des Scanvorgangs langsam um 360° Grad dreht.

Nach ca. einer Stunde in der Hochenergie-CT Anlage sind die computertomografischen Aufnahmen unseres Schlüsselgeräts 41 abgeschlossen. Danach müssen die Daten am Computer digital rekonstruiert werden: Tausende Röntgenbilder sind entstanden und werden zu einem dreidimensionalen Volumendatensatz zusammengefügt, der faszinierende Einblicke mit einer Auflösung von bis zu 0,1 mm ermöglicht!

Gemeinsam mit dem Team vom Fraunhofer EZRT versammeln wir uns gespannt um den Bildschirm und schlüpfen zum ersten Mal in das Innere unseres von außen völlig korrodierten Schlüsselgeräts:
Was für eine Überraschung! Die Mechanik im Inneren sieht auf den ersten Blick aus wie neu. Man kann sogar noch das Druckerpapier auf der Spule im Boden des Geräts erkennen, welches zum Druckwerk der Maschine führt.

Tiefgreifende Analysen der spannenden Daten werden wir in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren im Deutschen Museum in München weiterführen. Insgesamt lassen wir am Fraunhofer EZRT über 60 Exponate CT-scannen, die die Kryptologiegeschichte von 1870 bis ca. 1990 abdecken. Das Ganze geschieht im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts 3D-Cipher. Die computertomografische Analyse bietet unserem Museum die einmalige Gelegenheit, den individuellen spannenden Geschichten und Geheimnisse der Chiffriergeräte auf die Schliche zu kommen. Aber nicht nur das: Im Laufe des Projektes werden die CT-Scan-Daten auch für Forschende und Interessierte weltweit zur Verfügung gestellt werden, um Datengrundlagen für viele Forschungsfragen z.B. zur historischen Kryptologie, Objektgeschichte und Konservierung zu bieten.

Schwer beeindruckt fahren wir nach zwei vollen Tagen wieder nach München zurück und freuen uns bereits während der Heimfahrt auf einen nächsten Besuch am Fraunhofer EZRT in Fürth.

Technik macht's möglich

Das Chiffriergerät „Hagelin C446 A“ als 3D-Animation.

Autor/in

Carola Dahlke und Matthias Göggerle

Carola Dahlke und Matthias Göggerle

Carola Dahlke ist Kuratorin für Informatik und betreut die große Chiffriermaschinen-Sammlung des Deutschen Museums. Sie arbeitet derzeit an einer umfassenden Ausstellung zur Kryptologie, die als Teil von "Bild Schrift Codes" ab 2022 zu sehen sein wird. Zuvor war die promovierte Geowissenschaftlerin viele Jahre in der Umwelt- und Klimaforschung tätig. 


Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: 
der analoge Gezeitenrechner in der Ausstellung zur Meeresforschung – ein 7-tonnenschwerer Koloss der 1930er Jahre zur mechanischen Vorhersage von Ebbe und Flutereignissen.

Matthias Göggerle ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt 3D-Cipher, indem die Kryptologie-Sammlung des Deutschen Museums mittels CT-Scans erschlossen wird. Der Wissenschafts- und Technikhistoriker ist seit 2017 im Deutschen Museum Digital tätig und war davor als Wissenschaftlicher Volontär im Astronomisch-Physikalischen Kabinett in Kassel beschäftigt.

Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Der Fahrradvorhang im Verkehrszentrum auf der Theresienhöhe – auf einen Blick lässt sich hier (fast) die 200jährige Geschichte des Fahrrads bestaunen.