von Johanna Richardt
Almhütte, Traktoren und Modelle von Brauerei, Käserei oder einer Zuckerfabrik – so sah die alte Ausstellung „Agrar- und Lebensmitteltechnik“ aus. Der inhaltliche Schwerpunkt lag hier auf der landwirtschaftlichen Technik und deren Entwicklung. Weil der modernisierte Teil des Deutschen Museums bald eröffnet, werfen wir einen kleinen Blick auf die Nachfolger-Ausstellung „Landwirtschaft und Ernährung“. Auch sie zeigt landwirtschaftliche Technik, wirft daneben aber auch gesellschaftliche Fragen auf. Besucher*innen werden die Almhütte also immer noch bewundern können, allerdings wird sie symbolisch gezeigt – als Idyll, das heute in Frage zu stellen ist.
Mitunter werden die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung von der sehr realistischen Darstellung der modernen Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion auch schockiert sein: „Was uns ganz besonders wichtig ist: Wir wollen auch die ethischen Aspekte zeigen“, sagt Kuratorin Sabine Gerber. Konfliktreiche Themen wie Nutztierhaltung, Fleischerzeugung und das Tierwohl gehen Hand in Hand mit der Landwirtschaft und sind allgegenwärtige, oft diskutierte Fragen unserer Gesellschaft. Die neue Ausstellung beleuchtet ausführlich die landwirtschaftliche Produktion von allen Seiten und erläutert komplexe emotionale und umstrittene Themen. Die reine Vermittlung von Informationen ist also nicht das Ziel: Die Besucherinnen und Besucher sollen zusätzlich durch unangenehme Fakten, offene Fragen oder ungelöste Probleme zum Nachdenken angeregt werden. „Wir wollen keine Lösungen bieten, das können wir auch gar nicht“, sagt Sabine Gerber. Aber das Ausstellungsteam habe sich „dazu entschieden, alles zu zeigen“. Auch die schockierenden Details.
Also bekommen Besucherinnen und Besucher auch eine Kastrationszange, ein Rinder-Enthornungsgerät und einen Bolzenschussapparat zu sehen. „Wir zeigen, wie Tiere gezüchtet werden, wie sie gehalten werden, wie sie verwertet werden. Letztendlich haben wir uns dazu entschieden, das am Beispiel des Rindes zu machen.“ Dabei werden die Besucherinnen und Besucher mit einer unangenehmen und gerne verdrängten Tatsache konfrontiert: „Ohne Töten kein Braten“, so steht es an der Ausstellungswand, an der man sich den Film einer Rinderschlachtung ansehen kann. „Damit wir Fleisch essen können, müssen wir Tiere schlachten. Schlachten bedeutet, ein Tier zu töten, indem man es ausbluten lässt. Ca. 64 Milliarden Tiere werden pro Jahr weltweit geschlachtet“, steht an der Wand. Harte Fakten, die wohl keine Fleisch-konsumierende Person gerne hört oder liest.
Der Film über die Rinderschlachtung wurde für die Ausstellung neu gedreht. Ziel ist die sachliche Darstellung einer ordnungsgemäßen Schlachtung. Missstände in Schlachthöfen werden im Ausstellungstext, nicht aber im Film thematisiert. Einfach „hineinstolpern“ kann man in diesen erschütternden Film jedoch nicht, das war den Kuratorinnen ein Anliegen. Deshalb gibt es eine optische Barriere: Die Knöpfe, die den Film aktivieren, sind so hoch angebracht, dass kleinere Kinder sie nicht erreichen können. Außerdem ist der Monitor in eine Wandnische eingebaut, damit er nur einzeln von Personen, die nahe an der Ausstellungswand stehen, angesehen werden kann. Die Besucherinnen und Besucher sollen sich den Film also bewusst anschauen - nicht zufällig. Wie auch der Rest der Ausstellung ist er nicht wertend, sondern zeigt sachlich und neutral die einzelnen Schritte einer Rinderschlachtung. Der Film soll das Bewusstsein dafür stärken, welche Voraussetzungen unser Fleischkonsum hat. Und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass das Stück Fleisch im Supermarktregal zuvor ein lebendiges Tier war. Dabei wird aber nicht über den Fleischkonsum geurteilt. Welche Schlüsse die Besucherinnen und Besucher daraus ziehen werden, bleibt diesen selbst überlassen.
Mit der angemessenen Vermittlung von kontroversen Inhalten beschäftigte sich auch das DFG-Erkenntnistransfer-Projekt „Vermittlung konflikthafter naturwissenschaftlicher Themen in Ausstellungen“, bei dem das Deutsche Museum als Kooperationspartner fungierte. In diesem Rahmen entstand die Website „Ausstellungen kontrovers“, die Anfang Februar online gegangen ist:
www.ausstellungen-kontrovers.de
Sie zeigt Fallbeispiele und sammelt Informationen über die Präsentation kontroverser Inhalte in Museen, um so Expertinnen und Experten bei der Planung und Realisierung eigener Ausstellungsbereiche zu solchen Themen zu unterstützen. Denn immer mehr Museen stellen sich auch sehr kontroversen Themen.
Wer sich ein Bild der gesamten Ausstellung machen möchte: Es gibt einen Film dazu, in dem man auch Kuratorin Sabine Gerber persönlich kennenlernt:
Der erste Teil des großen Modernisierungsprojekts ist bald abgeschlossen. Eine der 19 neuen und jetzt fast fertigen Dauerausstellungen ist der „Landwirtschaft und Ernährung“ gewidmet. In diesem kurzen filmischen Rundgang führen Kuratorin Sabine Gerber und die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Feliza Cesena durch die fünf Themenräume von „Idyll und Wirklichkeit“ über Nutztiere, Landmaschinen und Pflanzenbau bis zu „Überfluss und Mangel“.