Heute heben wir ab! Am letzten Freitag hatte ich an dieser Stelle in Teil 1 bereits von der Beteiligung des Team Deutsches Museum Digital an der digitalen Vernetzungsaktion #ErikaMann der Monacensia berichtet und Erika Manns Kinderbuch „Stoffel fliegt übers Meer“ vorgestellt. Hierbei stellte sich heraus, dass die Autorin für ihre Erzählung auf reale Fahrzeuge und Ereignisse Bezug nahm, die auch für die Technikgeschichte und das Deutsche Museum relevant sind. So fuhr Stoffel mit seinem an den Raddampfer „Luitpold“ gehängtem Ruderboot über den Blaubergsee – das Modell des Raddampfers gehört zum Bestand des Deutschen Museums.
Bereits berichtet wurde unter anderem von der Ansichtskarte mit Luftschiff aus dem Zeppelin Museum und einem Bärtierchen vor dem Luftschiff LZ 129 „Hindenburg“. Heute soll es im zweiten Teil nun endlich um eine Reise mit dem Zeppelin gehen. Diese war bereits auf dem Titelbild des „Stoffels“ im ersten Teil zu sehen.
Erika Manns Interesse für Fahrzeuge wird auch anhand dieser Skizze aus dem Manuskript des „Stoffel“ deutlich, das im Erika-Mann-Archiv im Literaturarchiv der Stadtbibliothek München / Monacensia aufbewahrt wird: Sie zeichnete auf die Rückseite eines Blatts aus ihrem Manuskript mit Bleistift mehrere Luftschiffe und wohl auch Stoffel, wie er … Doch der Reihe nach!
Das erste Luftschiff, die britische R34, überquerte bereits 1919 den Atlantik. Zehn Jahre später, vom 7. bis 29. August 1929, umrundete das nach dem Entwickler und Begründer des Starrluftschiffbaus benannte Luftschiff LZ 127 „Graf Zeppelin“ in vier Etappen sogar die Welt. Ferdinand von Zeppelin (1838–1917) widmete dem Deutschen Museum übrigens neun Bücher, die heute in der Bibliothek des Museums aufbewahrt werden, doch das nur nebenbei.
In Erika Manns Kinderbuch verdient die Familie des kleinen Stoffels wegen der ausbleibenden Fische und der Tagesausflügler, die am fiktiven Blaubergsee lieber Dampfschiff als Kahn fahren wollen, kaum noch Geld. Ein reicher Onkel aus Amerika hat sie schon mehrfach zu sich eingeladen, unterstützt sie aber seit einer Absage nicht mehr. Daher versteckt sich Stoffel im Kapitel „Hoch die Flugpost!“ eines Tages im Frachtraum des Zeppelins in einem Postsack, um ihn in Amerika zu besuchen: „Nur ein paar Ansichtskarten hatte er bei sich behalten, die hielt er sich über den Kopf und vor die Brust, damit jemand, der an ihn nur flüchtig streifte, nicht gleich merken sollte, daß dies eigentlich kein Postsack mehr war.“ (S. 51)
Ein reales Ereignis vier Jahre vor Veröffentlichung des „Stoffel“ hatte Einfluss auf die Erzählung der Autorin: 1928 schmuggelte sich ein 19-jähriger blinder Passagier in das Luftschiff LZ 127 „Graf Zeppelin“, das dann 1929 die erste Weltumrundung machen sollte. Clarence Terhune war ein nordamerikanischer Golfjunge aus St. Louis, Missouri, der dort heimlich als „Anhalter“ an Bord ging, weil er die Welt sehen wollte, wie die New York Times am 30.10.1928 berichtete.
Der erste blinde Passagier eines Transatlantikflugs war er jedoch nicht, auch wenn dies die New York Times damals behauptete. Bereits 1919 hatte sich nämlich ein 22-jähriger blinder Passagier in das zuvor erwähnte Luftschiff R34 geschmuggelt, das als erstes über den Atlantik flog. Dieser blinde Passagier hieß William Ballantyne und war ein Besatzungsmitglied. Weil ein Beobachter den ihm zugedachten Platz bekam, wurde er kurzfristig von der Liste der Mitreisenden gestrichen. Am ersten Tag des Flugs wurde er am Nachmittag entdeckt. Da befand sich das Luftschiff bereits über dem Ozean, weshalb er nicht per Fallschirm abgeworfen werden konnte. Die Rückreise musste er per Schiff antreten.
Doch zurück zu den realen Ereignissen des Jahres 1928 in der „Graf Zeppelin“: In der Morgen-Ausgabe des Berliner Tageblatts vom 30. Oktober 1928 wird nun wie folgt berichtet: „Von den Passagieren des Luftschiffes sind sieben ‚Greenhorns‘, alle übrigen Veteranen. Im übrigen hat man neben 48 Postsäcken 341 Pfund Fracht mitgenommen. Das interessanteste Frachtgut dürfte neben einem sechs Wochen alten Hund und einem Quantum Bazillen für deutsche Forschungsinstitute ein blinder Passagier sein, von dem man zuerst annahm, dass es der bekannte amerikanische Sportsmann Connolly sei. Seine Freunde hatten schon allerlei Befürchtungen, dass er – für den Fall, dass ihre Vermutung zuträfe – von Dr. Eckener einfach über Bord geworfen würde. Nach Funkmeldungen von Zeppelin ist der ‚Blinde‘ jedoch ein 19-jähriger Botenjunge aus New-York. Er ist sehr freundlich aufgenommen worden, als er entdeckt wurde. Wegen dieser Tatsache haben witzige New-Yorker ihn zum ‚Monopolblinden‘ gemacht. In jedem Fall hatten die Zeitungen eine interessante ‚story‘.“
In der Morgenausgabe der Vossischen Zeitung vom 31.10.1928 findet sich unter der Hauptüberschrift „Graf Zeppelin“ auf der zweiten Weghälfte“ eine verblüffende Fortführung der Geschichte: „Blinder Passagier – ein neuer Sport“: „Amerikanische Blätter, die sich weiterhin intensiv mit dem jungen Terhune, der sich als blinder Passagier an Bord des Zeppelin eingeschmuggelt hat, beschäftigen, berichten in diesem Zusammenhang auch von seinen früheren Abenteuern. Terhune hat es schon verschiedene Male verstanden, sich mit großer Geschicklichkeit zu Veranstaltungen, die ihn besonders interessierten, Zutritt zu verschaffen. So schmuggelte er sich im letzten Sommer in der Uniform eines Platzanweisers zu dem Kampf Henney–Tunney (= der Boxkampf Thomas Heeney gegen Gene Tunney am 26. Juli 1928 in New York) ein. Als von San Francisco ein neuer Dampfer zum erstenmal nach Honolulu auslief, hatte er Terhune ebenfalls als blinden Passagier an Bord. Nur einmal hatte Terhune, der als Golfjunge von Turnier zu Turnier ganz Amerika durchwandert hat, Pech. Als er sich auf einem nach Alaska bestimmten Dampfer eingeschmuggelt hatte, war dieses Schiff das letzte des Sommers gewesen, und Terhune mußte den Winter in Alaska verbringen.“