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Am 10. Dezember wurden im Stockholmer Konzerthaus die Nobelpreise des Jahres 2019 verliehen. In einer kurzen Reihe stellen wir Ihnen hier auf dem Blog die drei naturwissenschaftlich-technischen Preise für 'Physik', 'Chemie' und 'Physiologie oder Medizin' sowie ihre Preisträger etwas genauer vor. Wie jedes Jahr können Sie diese Informationen aber auch im Museum nachlesen. Direkt am Eingang zur Physik-Abteilung befinden sich unsere Nobelpreis-Tafeln.

Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2019 „für ihre Entdeckung wie Zellen Sauerstoffgehalt wahrnehmen und sich daran anpassen“

Sauerstoff – Treibstoff des Lebens

Alle Menschen und Tiere brauchen Sauerstoff. Ohne Sauerstoff keine Energie, ohne Energie kein Leben. Seit Jahrhunderten wissen wir, wie wichtig Sauerstoff für uns ist. Doch zu viel Sauerstoff ist ebenfalls schädlich. Unsere Zellen müssen sich also an ein wechselndes Sauerstoffangebot anpassen. Wie sie das tun, war lange Zeit ein gut gehütetes Geheimnis der Natur.
Drei Forscher und ihre Arbeitsgruppen haben dieses Geheimnis nun gelüftet. Dafür bekamen sie den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2019 verliehen: William G. Kaelin Jr., Sir Peter J. Ratcliffe und Gregg L. Semenza. Dank ihnen wissen wir jetzt: Je nach Sauerstoffangebot, regulieren unsere Zellen die Aktivität bestimmter Gene.

Hypoxie ist…

…wenn die Luft wegbleibt. Beim Sport, in großen Höhen oder wenn wir krank sind – manchmal bleibt uns im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg. Die Sauerstoffversorgung unseres Körpers ist dann nicht mehr ausreichend. Insbesondere Krankheiten, die Lunge, Herz und Atemwege betreffen, können eine Hypoxie verursachen. Diesen bedrohlichen Zustand müssen unsere Zellen schnellstmöglich beheben: In den Nieren wird das Hormon Erythropoetin hergestellt. Dieses Hormon ist besser bekannt aus dem Leistungssport als EPO. Es sorgt für eine vermehrte Bildung roter Blutkörperchen, die den Sauerstoff in unserem Blut transportieren. Der wenig vorhandene Sauerstoff kann also dank EPO effizienter im Körper verteilt werden. Aber wie genau wird die EPO-Produktion reguliert?
Geht uns die Luft aus, „wandert“ das Protein HIF-1α in den Zellkern. „HIF“ steht für „hypoxia-inducible factors“. Also Faktoren, die bei geringem Sauerstoffangebot aktiv werden. Dort bindet es in der Nähe des EPO-Gens an die DNA. Das wiederum leitet die Transkription ein: Der erste Schritt der Produktion von EPO ist getan. Gregg Semenza und Sir Peter Ratcliffe entdeckten nicht nur das Protein HIF-1α, sondern auch den DNA-Abschnitt an den es bindet. Sie nannten ihn „HRE“, was für „Hypoxia response element“ steht. Besonders entscheidend war die Erkenntnis der Forscher, dass dies nicht nur in den Nieren passiert. In fast allen Geweben des Körpers findet bei Sauerstoffmangel dieser Prozess statt. Es handelt sich also um einen grundlegenden Mechanismus des gesamten Organismus.

Was zu viel ist, ist zu viel

Steht unseren Zellen genügend Sauerstoff zur Verfügung, wird die Arbeit von HIF-1α nicht benötigt. In diesem Fall wird es sehr schnell abgebaut, um eine übermäßige EPO-Produktion zu verhindern. Dies geschieht in mehreren Schritten: Zunächst wird HIF-1α mit Hydroxygruppen markiert (eine Hydroxygruppe besteht aus einem Sauerstoff- und einem Wasserstoffatom). Durch die Hydroxygruppen erkennt das Protein VHL, dass es hier aktiv werden muss. Es bindet an HIF-1α und ergänzt es um ein sogenanntes Ubiquitin. Ubiquitin kann man sich wie ein kleines Fähnchen vorstellen, mit dem überflüssige Proteine markiert werden. Es ist ein Signal, dass dieses Protein nicht mehr gebraucht wird und abgebaut werden muss.

Darf ich vorstellen: VHL

VHL steht für das von-Hippel-Lindau-Syndrom. Die Betroffenen dieser Erbkrankheit haben ein erhöhtes Risiko, Tumore zu entwickeln. Der Grund dafür ist eine Mutation im VHL-Gen, welches für das VHL-Protein codiert. Dieses Protein verhindert im gesunden Menschen Tumorbildung. Bei Patienten mit VHL-Syndrom fehlt es. William Kaelin forscht an dieser Krankheit und entdeckte, dass sie einen Einfluss auf Proteine hat, die bei Hypoxie produziert werden (wie z.B. HIF-1α). Sie werden nicht mehr abgebaut und sammeln sich innerhalb der Zellen an. Offensichtlich werden diese Proteine nicht mit Ubiquitin markiert, wenn das VHL-Protein fehlt. Das letzte Puzzleteil fand schließlich Peter J. Ratcliffe: Er erbrachte den Beweis, dass das VHL-Protein mit HIF-1α interagiert.

Was bringt uns das?

Wir können tagtäglich erleben, wie wichtig Sauerstoff für unseren Körper ist. Er kann nur funktionieren, wenn alle Zellen immer ausreichend mit Sauerstoff versorgt sind. Nur dann liefern sie die für uns lebenswichtige Energie. Auch Krankheiten sind von Sauerstoff abhängig. Die Folgen von Schlaganfall und Herzinfarkt beispielsweise sind auf eine Sauerstoffunterversorgung zurückzuführen. Krebszellen brauchen hingegen sehr viel Sauerstoff, um sich schnell teilen und wachsen zu können. Bei all diesen Krankheiten ergeben sich Möglichkeiten, auf Basis der nun ausgezeichneten Forschungsergebnisse, einzugreifen. Jetzt wissen wir, wie die Sauerstoffzufuhr unserer Zellen reguliert wird. Es können Therapien entwickelt werden, die im Falle einer Krankheit, Einfluss auf die Sauerstoffversorgung der Zellen nehmen.
  • Preisgeld: 9 Millionen Schwedische Kronen (rund 852.000 €), zu je einem Drittel an jeden der Preisträger.
  • Pressemitteilung:https://nobelprize.org

Autor/in

Dagny Müller

Dagny Müller ist Biologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Pharmazie/Medizintechnik. Derzeit arbeitet sie mit dem Projektteam an der kommenden Dauerausstellung „Gesundheit“.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Die Wasserkugelbahn im Zentrum Neue Technologien. Schöner kann man den Lotus-Effekt nicht zeigen.

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