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Heute nehmen wir elektrischen Strom in seiner Alltäglichkeit oft als Gegebenheit hin. Dabei begann diese Alltäglichkeit erst vor etwas mehr als hundert Jahren in Deutschland Fuß zu fassen. Die Elektrifizierung des Alltags bietet Ansatzpunkte für historische Forschung, die elektrotechnische Fachkenntnisse und Quellenkritik kombiniert. Objekte als historische Quellen zu begreifen, gleichwertig und ergänzend zu textlichen Dokumenten, vermehrt nicht nur unser Wissen, sondern zeigt im interdisziplinären Zugang ganz neue Fragestellungen auf.

Bis zum Ersten Weltkrieg war die Elektrifizierung noch mit mystisch wahrgenommenen Effekten verbunden. Elektrisches Licht, bewegte Bilder und – ganz allgemein – die rasante Beschleunigung des alltäglichen Lebens gehörten dazu. Arbeiten, ob in der Produktion oder im Haushalt, schienen sich von selbst zu erledigen. Konkret wurden diese Effekte in der technologischen Umsetzung: Bogen- und Glühlampen, Telefone, Kinematographen, elektrische Straßenbahnen oder eben auch Haushaltsgeräte wie Bügeleisen oder Haartrockner.

Dieser Beitrag nähert sich der Elektrifizierung allerdings nicht über die Objekte des Endverbrauchs; er setzt an einer vorgeschalteten, heute meist im Keller versteckten Technologie an: Elektrotechnische Messgeräte wie Ampere- und Voltmeter spiegeln die Etablierung von technischem Wissen und die vergangenen gesellschaftlichen Diskurse. Die Sammlung Starkstromtechnik des Deutschen Museums hat einen reichen Schatz solcher Instrumente und über diese lässt sich die Elektrifizierung des Alltags auch jenseits einzelner Gesellschaftsbereiche nachvollziehen.

Amperemeter in der Sammlung des Deutschen Museums

Für größere elektrische Anlagen wurden an der Wende zum 20. Jahrhundert Strommesser in sogenannte Schalttafeln eingebaut. Die Abbildung zeigt die Schalttafel, die 1930 im Krankenhaus des Dritten Ordens in München verwendet wurde. Darin liefen alle Leitungen von und zu einer komplexeren elektrischen Anlage zusammen. Der Stromfluss einzelner Leitungen konnte gemessen, aber auch unterbrochen werden. Schalttafeln waren eines der zentralen Kontrollsysteme und nahmen enorme Größen an, wie Oskar Frölich, von 1873 bis 1902 der Leiter der Versuchslaboratorien der Telegraphen-Anstalt Siemens & Halske, in einem historischen Überblick festhielt:

„Bei großen Anlagen ist die Schalttafel kompliziert und erreicht die Ausdehnung der Wand eines großen Zimmers.“
Oskar Frölich: Die Entwicklung der erlektrischen Messungen. Braunschweig 1905, S. 55.

Die Amperemeter, mit denen sich in der Vorbereitung dieses Beitrags befasst wurde, waren alle in solchen Schalttafeln angebracht, liegen nunmehr aber als Einzelstück in der Sammlung des Deutschen Museums. In der Bildreihe können Sie die Amperemeter betrachten und in der angefügten PDF unter anderem eine genaue Beschreibung und Analyse der Geräte finden.

Bereits durch die Bilder ist ein Prozess der Standardisierung ersichtlich: Die um 1900 gefertigten Amperemeter wurden mit hochwertigen Materialien und handwerklich kunst- bzw. schmuckvoll gefertigt. Neben der hohen Seriennummer sieht man den beiden späteren Amperemetern (um 1925) ihre Serienproduktion direkt an. Auch eine sich etablierende Symbolik wurde bereits mit auf das Anzeigeblatt aufgebracht.

Ampere- und Voltmeter im Betrieb

Will man nun wissen, wie Amperemeter von Fachmännern bei der Kontrolle von Anlagen genutzt wurden, muss man sie im Kontext der Schalttafeln betrachten. Dort waren auch Voltmeter eingebaut, die die angelegte Spannung maßen. Eine recht übersichtliche Schalttafel ist in der Abbildung zu sehen. 

Das um 1890 gefertigten Objekt stammt aus einem Maschinenraum einer Kammgarnspinnerei aus Meerane (Sachsen). Links oben sind Voltmeter und Amperemeter zu sehen. Wie sich das Ablesen gestaltete, hing vom Status des Betriebes ab.

Sollte die Maschine erst hochgefahren werden, wurde zunächst überprüft, ob das Voltmeter die richtige Versorgungsspannung anzeigte. Entsprach diese dem zulässigen Wert, konnte eingeschaltet werden. Bei zu hoher Spannung bestand besonders für empfindliche Endverbraucher (z.B. Glühbirnen) die Gefahr der sofortigen Zerstörung.

War die Anlage in Betrieb, konnte man über die Amperemeter ihre Funktionstüchtigkeit prüfen. War trotz geschlossenem Stromkreis die Anzeige bei Null, musste ein Fehler vorliegen. Auch die Kapazität für weitere Verbraucher konnte eruiert werden. Je geringer der Stromfluss, desto mehr weitere Geräte konnten potenziell angeschlossen werden.

Messgeräte und Konsumgeschichte

Konsumgeschichtliche Forschung befasst sich meist mit den Endverbrauchern, bspw. mit elektrischen Haushaltsgeräten. Allgemein lässt sich dabei feststellen, dass bis in die 1920er-Jahre hinein es für elektrische Geräte weder eine große Zahl potenzieller Käufer noch eine ausreichend ausgebaute Infrastruktur gab. Elektrische Geräte waren Luxusgüter. Die in den Katalogen und Ausstellungen der Zeit angebotene Palette an elektrischen Haushaltsgeräten spiegelt damit nicht den Stand der Elektrifizierung wider; vielmehr zeigt sie den Entwicklungsstand der Produktion, die nur einer kleinen Gesellschaftsschicht zugänglich war.

In ähnlicher Weise scheinen die Darstellungen in den Katalogen und die Realität der Elektrifizierung bei den angebotenen Messgeräten auseinander zu laufen. Während bereits früh Messgeräte für sowohl Wechsel- als auch Gleichstrom in den Katalogen angeboten wurden, waren wohl noch meist Gleichstrommesser verbaut. Erst durch eine Standardisierung und eine leichtere sowie kostengünstigere Bauweise zogen die Messgeräte nach. Mit der zunehmenden Elektrifizierung, der steigenden Zahl an Endverbrauchern sowie der anwachsenden Größe und Komplexität des Elektromarktes stieg die Notwendigkeit, alles durch Messung im Griff zu behalten.

In einem 1937 erschienen Heft von Siemens & Halske führte der Hersteller unter der Überschrift “Richtungen und Ziele” genau dies aus. Anwendungs- und Kontrollmöglichkeiten von Elektrizität gingen so Hand in Hand.

„In neuerer Zeit ist die Idee des Messens auf allen Gebieten Gemeingut der Forschung und der Technik geworden. Sie hat Möglichkeiten erschlossen, die in den verschiedenartigsten technischen Schöpfungen der Neuzeit zum Ausdruck kommen. […] Die Meßtechnik umfasst heute alle Gebiete wissenschaftlicher und technischer Arbeit. Daraus ergibt sich ihre Vielseitigkeit. Sie sucht überall helfend einzugreifen und sich den Besonderheiten der verschiedenen Arbeitsgebiete anzupassen.“
Broschüre von Siemens & Halske (Hg.): Fortschritte im Bau elektrischer Messgeräte. Oktober 1937.

Messinstrumente als historische Quellen

Endverbraucher sind bei einer konkreten Zuordnung zu einem Einsatzort (Provenienz) ein klares Indiz dafür, dass das jeweilige Gebäude oder Gebiet zu diesem Zeitpunkt bereits elektrifiziert war. Stromzähler und Messinstrumente haben eine Zwischenstellung zwischen Verbraucherschaft und Stromlieferanten und erweitern damit unseren Blick auf die Elektrifizierung des Alltags. Die Verbreitung von Messinstrumenten und Endverbrauchern sind gekoppelt und durchlaufen gleiche Entwicklungsphasen. Messinstrumente geben Aufschluss über technische Entwicklung und die Technisierung des Alltags. Über ihre Seriennummern kann auf die tatsächliche Verbreitung der Elektrizität geschlossen werden, über ihre Messskalen auf potenzielle Einsatzorte. Und nicht zuletzt öffnen sie den Blick auf eine bisher geschichtswissenschaftlich vernachlässigte Berufsgruppe: die Installateure oder – allgemeiner – das Elektrohandwerk.

Mit einer ausreichend großen Objektmenge mit jeweils gesicherter Herkunft ließe sich der Nutzen für die Geschichtswissenschaft noch steigern. Allein anhand der Messskalen könnte man auf Betriebsgröße, Anzahl oder Art der Verbraucher schließen. Der Fund eines einzelnen Amperemeters mit Provenienz hat damit das Potenzial, auch im Fall fehlender Schriftquellen konkrete Aussagen über eine Fabrik und deren technisches Umfeld zu gestatten. 

Beim Studium der Elektrifizierung des Alltags gilt es somit, einen interdisziplinären Zugang zu wählen und sich unterschiedlichste Quellenarten zu erschließen: Jedes weitere Puzzleteil hilft am Ende, den Gesamteindruck zu schärfen.

Autor/in

Lina Schröder

Lina Schröder ist Regional- und Landeshistorikerin und derzeit als Lehrbeauftragte an der Universität Bamberg tätig. Von Januar bis Mai 2025 forschte sie im Rahmen des Scholar-in-Residence-Programms des Deutschen Museum zur Elektrifizierung des Alltags.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: die Vorführung des Flugsimulators in der Ausstellung Moderne Luftfahrt.

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