Direkt zum Seiteninhalt springen

von ,

Objekte lassen Geschichte greifbar werden. Aber längst nicht nur historische Ereignisse und Entwicklungen werden durch sie plastisch. Auch abstrakte mathematische Konzepte gewinnen an Kontur. Ein mehrtägiges Seminar am Deutschen Museum unter dem Titel "Historische Objekte der Mathematik: Zeitgenössische Instrumente der Didaktik" machte sich diesen doppelten Wert von Objekten zu Nutzen.

Seminar am Deutschen Museum

In den Pfingstferien reisten zehn Lehramtsstudierende der Universität Bonn nach München, um in einem mehrtägigen Seminar historische Objekte aus der Sammlung “Mathematische Instrumente und Analogrechner” des Deutschen Museums zu erforschen. Organisiert wurde die Exkursion von der Kuratorin der Sammlung, Katja Rasch, und Hannes Junker vom Mathematischen Institut der Universität Bonn. 

Mathematische Objekte

Neben Zeichengeräten wie einem Perspektographen aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert und einem Ellipsograph der Firma Gebrüder Haff umfasste die Liste der untersuchten Objekte auch Rechen- und Messinstrumente wie einen Masterfolgsprüfer für die Schweinezucht (Inventarnr. 2004-1480 und 2004-1481), ein Polarplanimeter (Gebr. Haff; Inventarnr. 30815) und eine Rechenwalze des US-amerikanischen Ingenieurs Edwin Thacher (Inventarnr. 1988-277).

Daneben finden sich in der Liste mehrere Geräte der Firma Ott aus Kempten, die seit ihrer Gründung 1873 mathematische Instrumente für verschiedene Zwecke produzierte: Derivimeter werden zur Messung von Steigungswinkeln an Kurven genutzt (Inventarnr. 1988-193); mit Pantographen können Zeichnungen vergrößert oder verkleinert werden. Mit Abstand die größten Objekte waren zwei Harmonische Analysatoren (Inventarnr. 2023-343 und 2023-344) des bayerischen Herstellers. Die mechanischen Instrumente fanden über Jahrzehnte bei der Analyse von periodischen Phänomenen, also von Ereignissen, die sich nach bestimmten zeitlichen Abständen wiederholen, Verwendung. Dokumente aus dem Archiv der Firma Ott, das vor über 15 Jahren ans Deutsche Museum kam, zeigen das harmonische Analysatoren in den unterschiedlichsten Bereichen an Hochschulen, Forschungsanstalten und Industriewerken eingesetzt wurden. 

Zu den Objekten, die Studierende im Seminar untersuchten, gehört auch ein Holzkasten mit 80 kubischen Holzformen (Inventarnr. 2004-135). Zusammengestellt in Serien zeigen sie, wie durch Schnitte neue Formen aus einem Holzwürfel entstehen. Kurt Schiffler, Gründer des Spielzeug- und Kindermöbelherstellers Dusyma, ließ sich bei der Konstruktion dieser “Entwicklungsreihen” durch Ideen des Pädagogen Friedrich Fröbel inspirieren. 

Abstrakte Konzepte in handfester Anwendung: Lernen an historischen Objekten

In dem Seminar vertieften sich die angehenden Lehrer, die während des Aufenthalts am Kerschensteiner Kolleg untergebracht waren, in die Geschichte dieser Objekte. Der Recherchefokus lag dabei auf der mathematischen Funktionsweise und dem historischen Verwendungszweck. 

Die intensive Beschäftigung mit den Objekten eröffnete den Studierenden neue Perspektiven auf die Mathematik. Hinter den mathematischen Instrumenten verbergen sich Konzepte, die im Studium häufig ohne Bezug zur Anwendung behandelt werden: Das Polarplanimeter misst den Inhalt einer umrandeten Fläche, der Ellipsograph konstruiert eine Ellipse, während der Harmonische Analysator die Berechnung der Fourierkoeffizienten mechanisch auf die Integration von Flächen zurückführt. Der Pantograph nutzt die Ähnlichkeit von Dreiecken für die Skalierung von Zeichnungen, die sich mit dem Perspektographen mit den Gesetzen der Zentralprojektion erzeugen lassen. An der Rechenscheibe wiederum lassen sich die Vorzüge des Logarithmus studieren.

Das Seminar gab den Studierenden auch Einblicke in die Geschichte der mathematischen Praxis. Nicht wenige Konzepte, die heute zum Wissensbestand der Mathematik zählen, entstanden im Umfeld konkreter Problem- und Fragestellung. In den mathematischen Vorlesungen werden praktische Anwendungen häufig nur am Rande erwähnt. Die Instrumente geben indessen einen lebendigen Eindruck davon, wie mathematische Ideen die Arbeit und das Leben der Menschen im Laufe der Zeit prägten. 

Während ihres Aufenthalts am Museum machten sich die Bonner Studierenden auch Gedanken dazu, wie ihre Objekte in der Zukunft präsentiert werden könnten. Eine Führung durch die Ausstellung gab den Teilnehmern Ideen, wie sich die Funktionsweise und der Verwendungszweck von Instrumenten einem breiten Publikum mit wenigen Worten vermitteln lässt. Für die angehenden Lehrer, die mit didaktischen Überlegungen vertraut sind, jedoch bislang nur wenig Berührung mit der Vermittlungsarbeit am Museum hatten, hielt das Seminar auch in dieser Hinsicht neue Anregungen bereit. 

Wissensgewinn auf beiden Seiten: Wertvolle Informationen und neue Perspektiven

Doch nicht nur die Studierenden profitierten von dem Seminar am Deutschen Museum. Ihre Recherchen gaben Aufschluss über die Hintergründe der Sammlungsobjekte. Das Seminar lieferte neue Informationen zu Konstrukteuren und Herstellern, zu Produktionszeiträumen, Seriennummern und Typenbezeichnungen, aber auch neue Erkenntnisse zur historischen Verwendung der Instrumente. Die Ergebnisse helfen bei der Erschließung der umfangreichen Sammlung „Mathematischer Instrumente und Analogrechner“ des Museums, die nach und nach über Fotografien und Objektbeschreibungen der Öffentlichkeit auf Deutsches Museum Digital zugänglich gemacht wird. 

Zwar wird es noch viele Seminare brauchen, um den gesamten Bestand zu erschließen - immerhin umfasst alleine die mathematische Sammlung mehr als 5000 Gegenstände. Aber das kümmert die Studierenden aus Bonn wenig: Für sie haben sich durch die Exkursion ans Deutsche Museum längst neue Perspektiven auf die Mathematik ergeben.

Autor/in

Hannes Junker

Hannes Junker arbeitet an der Universität Bonn zur Geschichte der mathematischen Praxis um 1900. Im Jahr 2023 war er als Scholar in Residence mit dem Projekt “Mathematik in der Berufspraxis: Untersuchung von Spezialrechenschiebern der Jahre 1871–1945” am Deutschen Museum. 

Katja Rasch

Katja Rasch ist Kuratorin für Mathematik und betreut die Sammlung mathematischer Instrumente und analoger Rechengeräte des Deutschen Museums. Sie arbeitet derzeit an der digitalen Erschließung der Sammlung mathematischer Modelle. Die Mathematikerin ist seit 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Museum tätig.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Besuchen Sie die Mitmach- und Medienstationen in der neuen Dauerausstellung Mathematik – mitmachen, knobeln und mathematische Zusammenhänge selbst erfahren.

Das könnte Sie auch interessieren: