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Eine vergessene Sammlung aus der Frühzeit des Deutschen Museums

Dass es im Deutschen Museum eine kleine, aber recht spezielle Sammlung zum japanischen Farbholzschnitt gibt, ist kaum bekannt. Schon lange sind die Stücke nicht mehr in der Ausstellung zu sehen. Die Jahresausstellung 2025 der Bayerischen Staatsbibliothek Farben Japans hat uns inspiriert, die zum Großteil noch aus der Gründungszeit des Deutschen Museums stammenden Exponate jetzt zumindest online wieder zugänglich zu machen.

Japanische Farbholzschnitte aus der Sammlung des Deutschen Museums

Japanischer Farbholzschnitt, Motiv: Schauspieler mit Trommel

Von: Toyohara, Kunichika

Datierung: ca. 1880

Japanischer Farbholzschnitt: Dame in einem Teehaus

Von: Kikukawa, Eizan

Datierung: um 1812

Holzschnitt-Abdruck, Fertiges Bild

Von: Yoshu/Toyohara, Chikanobu

Datierung: 1896

Der Ursprung der Sammlung zum japanischen Farbholzschnitt ist schnell erklärt: Als nach der Museumsgründung 1903 mit den ersten Ausstellungen auch die ersten Abteilungen zur Drucktechnik geplant wurden, in denen der Holzschnitt als älteste Form des Hochdrucks nicht fehlen durfte, waren japanische Farbholzschnitte in München gerade schwer in Mode. Bereits 1885 und 1887 hatte es im Glaspalast im Alten Botanischen Garten zwei größere Japanausstellungen gegeben. 1909 folgte die Großausstellung „Japan und Ostasien in der Kunst“ auf der Theresienhöhe – mit fast 2000 Exponaten die bis dahin umfangreichste Ausstellung ostasiatischer Kunst in Deutschland. Insbesondere die für deutsche Augen damals völlig neuartige Bildsprache der japanischen Farbholzschnitte faszinierte das Publikum und wurde von der Münchner Künstlerszene begeistert rezipiert.

Das Interesse der Gründerväter des Deutschen Museums – die Ausstellung zur Drucktechnik wurde von Arthur Schönberg, dem engsten Mitarbeiter Oskar von Millers, konzipiert – galt allerdings weniger der künstlerischen Qualität der Drucke als dem komplexen handwerklichen Herstellungsprozess. Ein Teil der Schritte ist auf diesem, eigentlich zu einem aus drei Blättern zusammengesetzten größeren Druck gehörenden und durch die frühere Präsentation in der Ausstellung leider stark verblassten Farbholzschnitt von Kitagawa Utamaro (1753-1806) zu sehen:

Die Handwerkerin rechts hat die mit schwarzer Tusche erstellte Vorzeichnung des Künstlers seitenverkehrt auf eine neue Druckplatte geklebt und ist nun dabei, entlang der durchscheinenden Linien mit speziellen Holzschnittmessern die für die folgenden Schritte zentrale Konturenplatte zu schneiden. Eines der Messer wird im Vordergrund gerade auf einem Wetzstein nachgeschärft. Im nächsten Schritt wird von der Konturenplatte für jeden einzelnen Farbton des späteren Drucks ein Abzug auf Papier erstellt, in den anschließend die Umrisse der mit dieser Farbe einzufärbenden Flächen eingezeichnet werden. Hiervon werden im gleichen Verfahren – also seitenverkehrtes Aufkleben der Vorlage, Nachschneiden der Konturen und schließlich Entfernen der nicht druckenden Flächen mit speziellen Hohl- und Flacheisen – die einzelnen Farbdruckplatten geschnitten. Bei aufwändigeren Farbdrucken können das bis zu über zwanzig sein. Mit der Herstellung einer solchen Farbdruckplatte ist die dritte Handwerkerin im Hintergrund beschäftigt. Auf jeder Platte eingeschnittene Anlegemarken stellen sicher, dass sich beim späteren Zusammendruck der einzelnen Platten ein exaktes Druckbild ohne Verschiebungen und Überlappungen ergibt.

Bereits in den 1906 eröffneten provisorischen Ausstellungen des Deutschen Museums im Gebäude des heutigen Museums Fünf Kontinente zeigte man deshalb in der Abteilung „Illustrationsdruck“ eine Serie japanischer Holzdruckplatten: „Die älteste Methode des Farbendrucks, der Farbenholzschnitt, gelangt zur Darstellung durch Serien von Druckplatten europäischer wie japanischer Herkunft, durch deren Übereinanderdruck der Mehrfarbenholzschnitt entsteht“, heißt es im Führer durch die Sammlungen von 1909. Leider gibt es von diesem Teil der damaligen Ausstellung keine bekannten Fotos. Vom Zeitpunkt her können die Exponate aber nur die Druckplatten zu diesem –  durch die Ausstellungsbedingungen in der Vergangenheit leider nur schlecht erhaltenen – Farbholzschnitt von Chikanobu (1838-1912) gewesen sein, die das Museum 1906, vermutlich zusammen mit dem Druck, vom Münchner Kunst- und Antiquitätenhändler Wilhelm Heinhold geschenkt bekommen hat:

Im Gegensatz zum Exemplar des Drucks ist der Erhaltungszustand der beidseitig und zum Teil für mehrere Farben verwendeten Platten auch nach über hundert Jahren ausgezeichnet. An etlichen Stellen sind sogar noch Reste der aufgeklebten Vorzeichnungen zu sehen. Auch die Anlegemarken zur gleichmäßigen Ausrichtung des Papiers sind am unteren Rand und in der unteren rechten Ecke gut erkennbar.

Die vollständige Druckplattenserie ist im Deutschen Museum Digital zu sehen.

1907 bekam das Museum von einem deutschen Ingenieur, der in der Tokioter Niederlassung der Siemens-Schuckertwerke arbeitete, noch eine weitere Serie Holzdruckplatten aus Japan. Hier fehlt (heute) allerdings die wichtige Konturenplatte. Auch gibt es in der Sammlung keinen dazu passenden Druck.

Die Herstellung eines Farbholzschnitts von Chikanobu

Anders ist das bei einer dritten Druckplattenserie, die das Museum 1912 in der gleichen, von Emma Kratzer und Thaddäus Ritter von Pohorecki betriebenen Zigarren- und Japanwarenhandlung in der Münchner Türkenstraße 69 erworben hat, die auch die Blaue Reiter-Künstler Franz Marc, August Macke und Wassily Kandinsky frequentierten, um Farbholzschnitte und japanisches Kunsthandwerk zu kaufen: Zusammen mit acht, auch in diesem Fall beidseitig bearbeiteten Druckplatten wurden damals auch 24 Drucke angekauft, die jeden einzelnen Herstellungsschritt des Farbdrucks zeigen. Wie bei der 1906 erworbenen Plattenserie handelt es sich um ein Werk von Yoshu/Toyohara Chikanobu.

Da ein Teil der Farben, z. B. Gelb und Violett, auf den Abzügen komplett verblichen ist (vgl. die Farben auf besser konservierten Exemplaren des gleichen Drucks in anderen Sammlungen) und manche Platten beim Drucken anscheinend mehrfach zum Einsatz kamen, lassen sich die Platten und die einzelnen Druckschritte auf Papier nicht mehr in allen Fällen genau zusammenbringen. Trotzdem lässt sich damit noch immer sehr schön zeigen, wie das Verfahren funktioniert:

Um die Technik des japanischen Farbholzschnitts möglichst komplett zu zeigen, war in der Abteilung „Hochdruck“ bis zum Zweiten Weltkrieg außerdem das vollständige Material- und Werkzeuginventar einer japanischen Holzschnittwerkstatt ausgestellt. Auch dieses ein Kauf bei Kratzer und Pohorecki aus dem Jahr 1912. Hier eine Auswahl aus den insgesamt knapp siebzig Exponaten:

Schnitzwerkzeuge und Schleifgeräte

Grabstichel für Holzschnitt

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Datierung: vor 1912

Hohleisen für Holzschnitt

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Datierung: vor 1912

Stemmeisen für Holzschnitt

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Datierung: vor 1912

Japanischer Holzhammer

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Datierung: vor 1912

Schleifstein, roh

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Datierung: vor 1912

Schleifstein, glatt

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Datierung: vor 1912

Haifischhaut

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Datierung: vor 1912

Rohstoffe und Geräte zur Herstellung von Farben, Bindemitteln und Tuschen

Farbstoff Rotbraun in Glasfläschchen

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Datierung: vor 1912

Farbenreibschale mit Ausguss

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Datierung: vor 1912

Farbenreiber

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Datierung: vor 1912

Reisstärke in Blechdose

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Datierung: vor 1912

Japanischer Tuschestein

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Datierung: vor 1912

Tuschereibstein

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Datierung: vor 1912

Utensilien für den Druck

Farbennapf

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Datierung: vor 1912

Satz gebleichte Baumwollstoffe

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Datierung: vor 1912

Schere für Buchbinder

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Datierung: vor 1912

Auch wenn es sich nur um eine kleine Sammlung handelt und manche Exponate unter der aus heutiger Sicht nicht immer optimalen Behandlung in der Vergangenheit etwas gelitten haben: in ihrer Vollständigkeit zur handwerklich-technischen Seite des japanischen Farbholzschnitts um 1900 herum ist die Sammlung des Deutschen Museums schon etwas Besonderes.

In der heutigen Ausstellung zum Thema Drucktechnik und Kommunikation Bild Schrift Codes kommt der japanische Holzschnitt nicht mehr vor. Dafür ist die komplette Sammlung jetzt unter dem Schlagwort „Japanischer Farbholzschnitt“ im Deutschen Museum Digital zu finden.

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Literatur und Tipps zum Weiterlesen

Autor/in

Bernhard Wörrle

Bernhard Wörrle ist promovierter Ethnologe und leitet seit 2013 das digitale Sammlungsmanagementsystem des Deutschen Museums. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist koloniales Sammlungsgut.

Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Die Ausstellung Historische Luftfahrt auf der Museumsinsel. Sie zeigt und erklärt die tolle Technik, spart aber auch unbequeme Seiten wie die Zwangsarbeit in der Rüstungsproduktion des 'Dritten Reichs' oder den Einsatz der Ju 52 im französischen Algerienkrieg nicht aus. Lohnt sich!

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