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Erstmals in der Geschichte des Deutschen Museums hatten wir einen Illustrator als „Artist in Residence“ zu Gast auf der Museumsinsel. Zwei Wochen lang hat Lapin jeden Tag von 9 bis 17 Uhr in unseren Ausstellungen verbracht: Meisterwerke der Technik gezeichnet und Menschen im Museum porträtiert. Lapin ist Franzose, lebt in Barcelona und liebt Museen. Er ist Illustrator und Autor vieler Bücher. Seine Bilder werden im Mai 2025 als Buch im Verlag des Deutschen Museums erscheinen – als einer der Höhepunkte zum 100. Geburtstag des Museums. Hier schildert er seine Erfahrungen im Interview mit Annette Lein.

Annette Lein (A): Sie sind im Deutschen Museum als Artist in Residence, als Maler in Residence. Wie sehen Ihre Tage aus?

Lapin (L): Meine Tage sind ziemlich intensiv. Ich beginne meine Arbeit um 9 Uhr morgens mit der Öffnung des Museums und bleibe bis zur Schließung, also bis etwa 17 Uhr. Ich wünschte, das Museum würde öfter länger geöffnet sein, wie zum Beispiel bei der Langen Nacht der Museen. Da habe ich 15 Stunden im Museum verbracht, bis 1 Uhr morgens. Ich habe im Schnitt geschafft zwischen fünf und zehn, manchmal zwölf Seiten zu zeichnen. Ich besuche jede Ausstellung, um zu sehen, was die jeweilige Sammlung am besten repräsentiert. Es sind also zwei Arbeiten in einer. Eine Art Kuratorenarbeit, um zu sehen, was mich am meisten anspricht oder am repräsentativsten ist, und dann das Festhalten der Szene in einer Zeichnung.

A: Welche Art von Exponat im Deutschen Museum hat Sie beim Malen oder Zeichnen besonders interessiert?

L: Ich begeistere mich für Wissenschaft und besonders für Erfindungen und Innovationen, die es nur hier zu sehen gibt. Es hat mich sehr bewegt den Original-Gleiter von Lilienthal in der Werkstatt der Flugwerft Schleißheim zu sehen. Ich bin ein großer Luftfahrtenthusiast und Lilienthal ist der Pionier dieser Disziplin. Den Gleiter zu zeichnen, war etwas Großartiges für mich. Aber jedes Thema hat seinen Reiz. Es ist sehr interessant, wie sich zum Beispiel die Kommunikation oder die Fotografie entwickelt haben. Alle diese Themen erzählen so viele Geschichten. Ich versuche in meiner zeichnerischen Arbeit als „Artist in Residence“ eine Verbindung zu den Objekten und den Geschichten, die sie erzählen, herzustellen.

A: Wie viele Bilder haben Sie gemalt?

L: Etwa einhundert Zeichnungen sind entstanden. Es war ein sehr intensives Projekt. Ich habe im Laufe der Jahre viele Künstleraufenthalte absolviert, und ich mag es, wenn sie sehr intensiv sind, mich dazu zwingen, tief einzutauchen, und mich zum automatischen Zeichnen bringen. Ich muss nicht mehr über die Technik nachdenken. Es ist ein Zustand vom Sein im Machen: Skizzieren ohne Angst, ein Objekt nach dem anderen. Wenn ich zu viel nachdenke, würde ich mich von einem solchen Auftrag gelähmt fühlen. Es ist eine große Verantwortung, ein Buch über ein Museum mit so viel Geschichte und so vielen Objekten erstellen zu müssen. Ich weiß, dass ich nicht alles skizzieren kann, also wird das Buch meine Auswahl sein und auch meine persönliche Sicht auf das Deutsche Museum zeigen. 

A: Ist es richtig, dass Sie etwas sehen, das Sie interessiert, und dann die endgültige Zeichnung machen? Sie skizzieren nicht im Voraus: Sie fangen an und versuchen es nur einmal.

L: Es gibt keine Vorschauskizzen. Aber ich schaue mir das Objekt sehr genau an, bevor ich mit dem Skizzieren beginne, um den richtigen Blickwinkel zu finden. Was könnte die Erzählung hinter der Skizze sein? Manchmal beziehe ich den Raum und die Besuchenden mit ein, ein anderes Mal ist es nur das Objekt, isoliert und ohne jeden Kontext. Ich beginne mit Fineliner, also direkt mit Tinte und Wasserfarben. Es gibt keine Möglichkeit, etwas zu radieren. Ich muss beim ersten Mal genau sein. Das gibt der Zeichnung eine gewisse Frische. Sie sieht lebendig aus. Es ist keine perfekte Zeichnung. Man sieht, dass es eine Zeichnung ist, die in kurzer Zeit entstanden ist.

A: Welche Materialien benutzen Sie?

L: Meine Materialien sind anfangs recht einfach und traditionell. Ich verwende hauptsächlich Fineliner und Wasserfarben. Aber ich verwende auch einige Mischtechniken: Buntstifte oder Gelly Rolls. Was ich an Aquarell und Tinte mag, ist, dass es die gleichen Medien sind, die [William] Turner (1775-1851) oder [Eugène] Delacroix (1798-1863) verwendet haben, wenn sie eine einen Ort oder eine Situation einfingen. Für mich gibt es nichts Effizienteres als diese Materialien, um vor Ort zu arbeiten.

A: Wie wird das Buch aussehen?

L: Das Buch wird im Format wie mein ursprüngliches Skizzenbuch erscheinen und fast wie ein Faksimile aussehen. Ich werde allerdings die Reihenfolge der Seiten ändern, damit eine Geschichte daraus wird. Ich arbeite für die Adaption vom Skizzenbuch zum fertigen Werk eng mit dem Verlag des Deutschen Museum zusammen. Das Buch wird dann wie ein Spaziergang oder eine Wanderung im Museum sein. Beim Lesen werden Sie das Gefühl haben, die Seiten meines ursprünglichen Skizzenbuchs umzublättern.

A: Was mögen Sie an Museen?

L: Ich habe eine Art von Sucht nach Museen. Ich könnte nicht an einen Ort reisen, ohne dort ein Museum zu besuchen. Ein Museum ist sehr dicht, es ist konzentriert. Es ist ein Teil der Geschichte. Ich lerne jeden Tag dazu, wenn ich ein Museum besuche und natürlich besonders, wenn ich so tief in ein Museum eintauchen kann, wie bei der Zusammenarbeit mit dem Deutschen Museum. Neugierig zu sein, vor einem Objekt stehen zu bleiben, von dem man sich vielleicht zunächst nicht angesprochen fühlt, aber dann sieht man es und merkt, dass es in der damaligen Zeit wichtig war: zum Beispiel die „Hundehütte“ [siehe (1) am Ende des Beitrags]. Das ist kein Objekt, an das ich vor dem Skizzieren gedacht hätte. Aber sie ist super niedlich und erzählt etwas über den ersten Betonbau in Deutschland. Wie viele Betonbauten haben wir denn heute? Es ist verrückt. Und diese winzige „Hundehütte“ stand am Anfang.

A: Gab es ein Objekt, das besonders herausfordernd, seltsam oder schwierig für Sie war?

L: Das ist eine schwierige Frage, denn viele Objekte waren schwierig zu zeichnen. Mir kommt gerade das Foucaultsche Pendel in den Sinn, weil es so unkompliziert ist, dass ich mich nicht in Details verlieren konnte, und auch, weil es in Bewegung ist. Ich liebe die Einfachheit dieser Erfahrung. Die Idee dahinter ist so klug. Man hat einen Weg gefunden, durch so ein einfaches Experiment, das alle verstehen können, zu beweisen, dass sich die Erde dreht. Das war eines der schwierigsten, aber auch schlichtesten Objekte, und es war gleichzeitig interessant.

A: Vielen Dank für das Interview und vor allem Danke für die wunderschönen Zeichnungen. Ich freue mich schon sehr auf das Erscheinen des Buchs.

L: Vielen Dank an das Team des Deutschen Museums, ich wurde vor Ort in meiner Arbeit toll unterstützt. Und natürlich vielen Dank an den Verlag des Deutschen Museums für die gute Zusammenarbeit. Mir hat es so gut gefallen, dass ich vielleicht zum 100jährigen Jubiläum im Mai 2025 zum Erscheinen des Buchs wieder nach München komme. Ich habe schon wieder etwas Sehnsucht nach den Meisterwerken der Technik.

(1) Lapin bezieht sich auf die „Hundehütte aus Monier-Beton“, Inv. Nr. 66126, https://digital.deutsches-museum.de/de/digital-catalogue/collection-object/66126/#1, Ausstellung „Brücken und Wasserbau“. Die Hundehütte (1884) des Bauunternehmers und Betonbau-Pioniers Conrad Freytag war das erste Bauwerk aus Eisenbeton in Deutschland.

Mehr zu Lapin

Lapin (1981) ist ein in Barcelona lebender französischer Künstler. Er bezeichnet sich selbst als „mobilen Illustrator“ und hält sein Leben in Zeichnungen fest: In den letzten 20 Jahren hat er mehr als 220 Skizzenbücher gefüllt und 48 Bücher veröffentlicht. Er ist seit den Anfängen der Urban Sketchers Community dabei und wurde 2019 zum offiziellen Luft- und Raumfahrtzeichner der französischen Armee ernannt.
Lapin skizziert auf alten Geschäftsbüchern, die er auf Flohmärkten findet. Er reist mit leichtem Gepäck und braucht nicht viel mehr als ein Skizzenbuch, einen Filzstift, Aquarellfarben und seinen Klapphocker. Die Straße ist sein Atelier.

Autor/in

Annette Lein

Annette Lein leitet die Internetredaktion. Gemeinsam mit ihrem Team ist sie für die Webseite und die Deutsches Museum App verantwortlich. Im Blog erzählt sie gerne von den Geschichten und Persönlichkeiten rund um das Deutsche Museum.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Die Ausstellung Bild Schrift Codes lädt ein, sich mit dem Thema Kommunikation zu beschäftigen und dabei Rätsel zu entschlüsseln, Schrifttypen kennenzulernen oder am Bücherregal zu schmökern.

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