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In "Arthur Schönberg: Ein Ingenieurleben im Schatten Oskar von Millers" würdigt Wilhelm Füßl, langjähriger Archivleiter am Deutschen Museum, den heimlichen Mitbegründer des Museums und engen Mitarbeiter Oskar von Millers. Im Interview erklärt er seine Faszination mit Arthur Schönberg und dessen Bedeutung für das Museum und als Ingenieur.

Wilhelm Füßl hat in seinem Buch über Arthur Schönberg Erstaunliches zu Tage gefördert. Schönberg, ein Cousin des berühmten Komponisten Arnold Schönberg, war neben Oskar von Miller der wichtigste Mitarbeiter des Deutschen Museums in seinen Anfangsjahren. Die Grundlagenarbeiten für das Deutsche Museum, das Bayernwerk und das Walchenseekraftwerk sind fast ebenso ihm zuzuschreiben wie dem Museumsgründer Miller, in dessen Schatten Schönberg stand. Umso tragischer das Leben dieses großen Ingenieurs in der NS-Zeit: Zwangsweise musste er aus dem Ingenieurbüro ausscheiden. Als Jude wurde er 1942 mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert und kam dort ums Leben. In einem Interview erläutert Wilhelm Füßl, was er über Schönberg herausgefunden hat – und warum er sich dem Thema widmet.

"Ich konnte ihn noch nicht wirklich einordnen"

Gerrit Faust (GF): Wie kam es dazu, dass Sie sich mit der Biografie Schönbergs auseinandergesetzt haben?

Wilhelm Füßl (WF): Ich habe 1991 angefangen, zu Schönberg zu recherchieren – aber deshalb, weil ich eine Biografie Oskar von Millers schreiben wollte. Schönberg kommt in dieser Biografie ein paar Mal vor, aber ich konnte ihn noch nicht wirklich einordnen. Damals habe ich angefangen, Informationen über ihn zu sammeln. 

GF: Wann wurde Ihnen klar, dass Sie eine Biografie über ihn schreiben wollen?

WF: Etwa vor zehn Jahren – aber man kommt ja neben der normalen Arbeit nicht dazu. Es war mir früh klar, welch wichtige Rolle er in der Frühzeit des Museums gespielt hat. Arthur Schönberg war von 1903 bis 1933 bei allen Gremiensitzungen des Deutschen Museums anwesend. Es ist aber nie ein einziger Wortbeitrag von ihm vermerkt.

GF: Warum ist das so? 

WF: Er hielt sich immer sehr zurück. Das war nicht nur im Deutschen Museum so, sondern auch im Ingenieurbüro Oskar von Millers, in dem Schönberg angestellt war. Er hat die Pläne für das Walchenseekraftwerk gezeichnet, ebenso die Pläne für das Bayernwerk. Auch hat er für die Planung äußerst aufwändig die Daten des damaligen Stromverbrauchs durch umfangreiche Fragebögen erhoben. Zugeschrieben wurden diese Arbeiten aber Oskar von Miller, der dann freundlicherweise vermerkte: „mit Unterstützung meines Büros“.

GF: Es soll ja häufiger vorkommen, dass Chefs sich die Arbeit ihrer Untergebenen zu eigen machen. 

WF: Ich habe mich gefragt, warum tritt er nie in den Vordergrund? Er war bei Miller nicht nur Mitarbeiter. Er hat zwar als technischer Sekretär angefangen, ist dann Prokurist geworden, auch Mitgesellschafter. Aber er taucht nach wie vor kaum auf. Erst ab 1925 zieht sich Miller immer weiter zurück aus dem Tagesgeschäft und ab da ist Schönberg in den Quellen häufiger belegt. 

GF: Über seine Rolle zu sagen, er sei derjenige, der das Deutsche Museum auf den Weg gebracht hat, während Oskar von Miller nur in der ersten Reihe stand und repräsentierte, wäre auch zu viel gesagt, oder?

WF: Das ist entschieden zu viel gesagt. Aber er hat viele Dinge in der Hand gehabt und ist ein großartiger Organisator gewesen, sehr systematisch, sehr fleißig.

"Es gibt von ihm praktisch keinen Nachlass"

GF: Schönberg wurde schon 1907 und 1908 mit antisemitischen Angriffen überzogen. Warum hat sich Oskar von Miller nicht schützend vor ihn gestellt?

WF: Doch, hat er. Miller hat Schönberg massiv verteidigt, hat sich vor ihn gestellt. Ein Angriff auf seinen Mitarbeiter sei ja auch ein Angriff auf ihn, hat er an das Ministerium geschrieben. Miller macht in dieser Angelegenheit eine sehr gute Figur. Auch die Familie von Miller hat später Schönberg sehr unterstützt und versucht, seine Deportation zu verhindern. 

GF: Es gibt wenige Originaldokumente von ihm, richtig? 

WF: Es gibt von ihm praktisch keinen Nachlass. Nur sieben Dokumente mit elf Blatt. Die einzigen Papiere, die wir hier haben, stammen aus den Unterlagen Oskar von Millers. Bevor er nach Theresienstadt deportiert wurde, hat Schönberg seine wichtigsten Dokumente der Familie von Miller gegeben. Und dort haben diese überlebt. Später ist wohl ein Teil der Dokumente an seine einzige überlebende Tochter gegangen. Die war mit der sogenannten Machtübernahme der Nationalsozialisten sofort nach Paris geflohen. 

GF: Welche Quellen hatten Sie noch?

WF: Sehr viele! Ich habe Unterlagen aus dem Holocaust-Museum in Los Angeles bekommen, die über die überlebende Tochter Schönbergs dorthin gekommen sind.  Sehr viel Unterstützung hatte ich aus den USA, aus Österreich, England und Frankreich, aber auch aus Jerusalem und aus Tschechien. Und natürlich habe ich die Münchner Archive intensiv nach Hinweisen zu seinem Leben durchforstet.

"Einer der führenden Planungsingenieure in Deutschland"

GF: Was hat Schönberg im Deutschen Museum konkret getan?

WF: Er hat die bis heute gültige Fachgebietseinteilung für die Objektsammlungen entworfen, er hat die erste Ausstellung zur Reproduktionstechnik konzipiert, zu der auch die Fotografie gehörte. Er hat die Jahresberichte, die Denkschriften zur Gründung eines Deutschen Museums und zum Bau des Bibliotheksgebäudes sowie das Buch “Chronik des Deutschen Museums” verfasst und er hat für Miller viele Reden geschrieben – und alles war sprachlich exzellent. Schönberg formuliert sehr präzise – es gibt in seinen Texten nichts Überflüssiges. Deshalb war er wohl auch so etwas wie der Pressesprecher des Museums. 

GF: Warum war Ihnen diese Biografie so wichtig?

WF: Ich wollte an seinem Beispiel den Typus eines Akteurs der zweiten Reihe thematisieren – die sind ja in der Forschung oder in der biografischen Literatur bisher unzureichend thematisiert. Es gibt kaum Studien zu solchen Personen, obwohl sie die eigentliche Arbeit gemacht haben und, wie man an Schönberg sieht, einen großen Einfluss hatten – und auch deswegen angegriffen wurden ob ihres Einflusses. Ich will ihn aber auch darstellen als den planenden Ingenieur. So beschreibt er sich in seinem Buch “Die Landes-Elektrizitätswerke” - dort fällt immer wieder dieser Begriff des “planenden Ingenieurs”. Und er war einer der führenden Planungsingenieure in Deutschland.

"Ein bewegendes Dokument"

GF: Hat er letztlich mehr für das Deutsche Museum gearbeitet als für die technischen Projekte?

WF: Nein, das kann man so nicht sagen. Er hat fürs Deutsche Museum quasi ehrenamtlich gearbeitet – genauso wie Oskar von Miller. Es gab zwar eine Entschädigung, aber die war läppisch. Nach den antisemitischen Angriffen 1907/1908 hat er sich etwas aus dem Museum zurückgezogen, wollte eigentlich ganz dem Museum den Rücken kehren oder aber eine feste Stelle im Museum bekommen und aus dem Ingenieurbüro ausscheiden – das wollte aber von Miller nicht. Miller wusste, was er an ihm hat. Er hat ihn immer für alles Mögliche herangezogen im Museum. Wenn Miller auf Reisen war, und er war viel auf Reisen, war Schönberg sein Stellvertreter im Deutschen Museum.

GF: Was ist das letzte Zeugnis von ihm? 

WF: Ein Brief, den er wohl einem Mitinsassen in Theresienstadt diktiert hat. Darin beschreibt Schönberg das Sterben seiner Frau am gemeinsamen Hochzeitstag, den 23. Dezember 1942, – und dass er ihr am Sterbebett noch ein Gedicht mit den Erinnerungen an frühere, glücklichere Hochzeitstage vorgetragen hat. Ein bewegendes Dokument.

Das Buch

Wilhelm Füßl: Arthur Schönberg (1874–1943). Ein Ingenieurleben im Schatten Oskar von Millers

München: Deutsches Museum Verlag, 2024

29,90 €, 272 S., 55 Abb., Hardcover mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-948808-27-3

Download des Covers

Das Buch ist im Deutschen Museum Shop vor Ort und online erhälltich. Sie können es auch bei der Buchhandlung Ihres Vertrauens direkt bestellen.

Das Buch auf unseren Verlagsseiten mit Leseprobe und Bestellmöglichkeit

Mehr zum Autor

Dr. Wilhelm Füßl ist Historiker und war nach verschiedenen beruflichen Stationen im In- und Ausland von 1992 bis 2021 Leiter des Archivs des Deutschen Museums. Sein Forschungsinteresse gilt der Geschichte technischer Sammlungen und den Wechselwirkungen von Biografien und Technik- bzw. Wissenschaftsgeschichte. Er publizierte u.a. 2005 das Werk “Oskar von Miller (1855-1934). Eine Biographie.” Sein letztes Werk ist das reich bebilderte Buch "Schatzkammer für Technik und Wissenschaft. Das Archiv des Deutschen Museums." (2022).

Autor/in

Gerrit Faust

Gerrit Faust leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Museums. Als gelernter Journalist hat er von vielem ein bisschen, aber von nichts so richtig Ahnung.

Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Unbedingt in die Raumfahrt – schließlich träumt er immer noch von einer Astronautenkarriere. Anschließend einen Einkehrschwung in die „Frau im Mond“. Und dann noch in zwei großartig gestaltete Ausstellungen – die „Musikinstrumente“ und die „Gesundheit“.

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