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Der polnische Biologe Rudolf Weigl (1883-1957) entwickelte einen Impfstoff gegen das tödliche Fleckfieber, der im Laufe der Geschichte gleich auf doppelte Weise Leben retten konnte. Die Impfung konnte zwar keine Infektion verhindern, aber schützte vor schweren Krankheitsverläufen. Aber als im Zweiten Weltkrieg Rudolf Weigl nach der Besetzung Polens den Impfstoff für das deutsche Oberheereskommando herstellen musste, konnte er durch die besondere Art der Herstellung des Impfstoffs auch viele verfolgte Polen, Dissidenten und Juden vor dem Tod retten. Dies ist die Geschichte eines besonderen Impfstoffes und des Mannes, der ihn entwickelte.

Fleckfieber (früher auch Kriegspest genannt) ist eine lebensgefährliche Infektionskrankheit, ausgelöst durch das Bakterium Rickettsia prowazeckii. Verantwortlich für die Übertragung sind Kleiderläuse, die Infektion erfolgt allerdings nicht beim Biss der Laus. Die Bakterien finden sich im Läusekot, der meist beim Kratzen in die offene Bisswunde und damit in den Körper gelangt.

Fleckfieber war vor allem in Kriegszeiten gefürchtet – in dicht gedrängten und unhygienischen Bedingungen wie in Flüchtlingslagern und Schützengräben, konnte es sich schnell ausbreiten und zu hohen Todesraten führen. Es wird vermutet, dass z.B. bei Napoleons gescheitertem Feldzug gegen Russland im Jahre 1812 mehr als ein Drittel der Soldaten an Fleckfieber erkrankte und an den Folgen starb. Die Betroffenen bekamen zunächst plötzlich hohes Fieber, litten unter Schüttelfrost und starken Kopf- und Gliederschmerzen und einige Tage nach Beginn des Fiebers bildete sich der namensgebende Ausschlag. Vom Rumpf aus breiteten sich rötliche Flecken über den ganzen Körper aus, die später größer und bläulich-purpurn wurden.

Der Impfstoff

Rudolf Weigl (1883-1957) begann im Ersten Weltkrieg für die österreichisch-ungarische Armee an Fleckfieber zu forschen und führte seine Arbeit später als Professor für Biologie an der Universität in Lemberg im damaligen Polen weiter (heute heißt Lemberg Lwiw und liegt im Westen der Ukraine).

Das Ergebnis seiner Forschungsarbeit war ein Fleckfieber-Impfstoff, der nach den drei benötigten Impfdosen mindestens ein Jahr lang vor schweren Krankheitsverläufen schützte. Im Gegensatz zu anderen Forschungsgruppen gewann Weigl seinen Impfstoff aus infizierten Läusedärmen. Da Rickketsien nur einen reduzierten Stoffwechsel besitzen, können diese nicht auf Nährböden vermehrt werden, sondern nur in lebenden Zellen.

Die Laus: Ohne sie geht es nicht

Das komplexe Herstellungsverfahren begann damit, dass zuerst gesunde Kleiderläuse gezüchtet werden mussten. Gesunde Menschen mussten dabei als sogenannte »Läusefütterer« dienen. Ihnen wurden Läuse aufgesetzt, die sich dann von ihrem Blut ernährte. Damit die Läuse nicht entkamen fand diese Fütterung in mit Gaze bespannten Käfigen statt. Nach zwei Wochen wurden dann jeder einzelnen Laus mit einer feinen Kapillare durch das Rektum Rikketsien in den Darm injiziert. Die so infizierten Läuse mussten nun weiter gefüttert werden, zweimal am Tag für jeweils mindestens eine Stunde. Etwa eine Woche später wurden die Läuse mittels Phenollösung getötet und ihnen vorsichtig der Darm entnommen. Die gewonnenen Läusedärme voller Rikketsien wurden zerrieben und in einer leicht phenolhaltigen Salzlösung gelöst.

Nachdem zuerst 350 Läusedärme für die aus drei Impfungen bestehende Immunisierung notwendig waren, sank diese Zahl durch optimierte Verfahren immer weiter. In der Zeit, als die Ampullen für dieses Exponat abgefüllt wurden, wurden 17 Därme für die erste Ampulle verarbeitet, 33 für die zweite und 50 für die dritte Ampulle, die die Immunisierung abschloss. 

Das Institut für Fleckfieber-Forschung

Als 1942 die deutsche Wehrmacht in Lemberg einmarschierte, erklärte sich Rudolf Weigl angesichts der zunehmenden Gefahr für sein eigenes Leben bereit, unter den deutschen Besetzern weiter zu arbeiten. Sein Labor in Lemberg wurde zur Zweigstelle des Instituts für Fleckfieber- und Virusforschung des Oberkommandos des Heeres in Krakau und die Produktion des begehrten Fleckfieber-Impfstoffes ausgeweitet. Denn der Fleckfieber-Impfstoff nach Weigl sollte jetzt die deutschen Soldaten vor dem gefürchteten Fleckfieber in Osteuropa und Russland schützen.

In dieser Zeit erhielt Weigl auch das Angebot als sogenannter Volksdeutscher anerkannt zu werden und ein eigenes Institut in Berlin zu erhalten. Weigl war als Deutschmährer in Österreich-Ungarn geboren worden, hatte sich aber nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geprägt durch seinen Stiefvater dazu entschlossen die polnische Staatsbürgerschaft anzunehmen und in Polen zu leben. Weigl lehnte das Angebot der mit den Worten »Man wählt seine Nationalität nur einmal im Leben« ab und verzichtete damit auch auf viele Vorteile und Erleichterungen, die damit verbunden gewesen wären.

Rudolf Weigl gelang es in Folge aber nicht nur immer wieder heimlich Impfstoff für die Ghettos in Lemberg und Warschau abzuzweigen, sondern er konnte auch vielen Menschen (darunter polnische Hochschulprofessoren, Untergrundkämpfer und jüdische Mitbürgern) das Leben retten, in dem ihre gefährliche Arbeit als »Läusefütterer« als »kriegswichtig« einstufen lassen konnte. Sein Assistent formulierte es später so – »Jeder, der gerettet werden musste, wurde zum Läusefütterer«. Genaue Zahlen wurden nie erfasst, aber es dürften nach Schätzungen etwa 3.000 Menschen gewesen sein, die den begehrten Ausweis, den man für das Füttern der Läusen im Institut bekam, erhielten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor der Fleckfieber-Impfstoff nach Weigl aufgrund der breiteren Verwendung von DDT und der Behandlungsmöglichkeit mit Antibiotika schnell an Bedeutung. Aber auch Rudolf Weigl und seine Taten gerieten in Vergessenheit.

Nach dem Krieg vergessen

Die Geschichte wiederholte sich, denn als Lemberg schließlich in sowjetischer Hand war, erhielt Weigl das Angebot seinen Impfstoff in Moskau in einem eigenen Labor zu produzieren. Wieder einmal lehnte er ab und forschte und arbeitete stattdessen in Krakau weiter. Aber unter widrigen Bedingungen – Weigl wurde der Kollaboration mit den Nazis bezichtigt und verlor mehr und mehr an Unterstützung. 1957 starb Rudolf Weigl in Zakopane und seine wissenschaftliche Leistung und Taten gerieten zunehmend in Vergessenheit.

Erst Ende des 20. Jhds. änderte sich dies allmählich und am 29. Januar 2003 wurde Rudolf Weigl von der internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern anerkannt. Obwohl Rudolf Weigl mehrfach für den Nobelpreis nominiert war, blieb ihm diese Ehrung verwehrt.

Literatur:
»Fantastic Laboratory of Dr. Weigl: How Two Brave Scientists Battled Typhus and Sabotaged the Nazis«, Arthur Allen, Norton & Company, ISBN 978-0393351040

Die Geschichte als Podcast hören

Hören Sie in unserem Podcast, wie Rudolf Weigl den Impfstoff gegen Fleckfieber mit einem neuartigen Verfahren entwickelt und welche mutigen Entscheidungen er dabei getroffen hat. Erfahren Sie, wie dieses weltweit einzige Exemplar in die Sammlung des Museums gekommen ist. Unsere Host Lisa-Sophie Scheurell trifft Florian Breitsameter, der ihr zu allen Fragen rund um das Thema Rede und Antwort steht.

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Autor/in

Florian Breitsameter

Dr. Florian Breitsameter hat Chemie studiert und ist Kurator für Pharmazie und Medizintechnik am Deutschen Museum. Er entwickelte die Ausstellung »Gesundheit« und forscht u.a. zu Holzstandgefäßen in deutschen Apotheken und der Geschichte der Sulfonamide.

Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Die Historische Apotheke in der Ausstellung Gesundheit mit wunderschönen und wertvollen Apothekengefäßen, die u.a. Asseln, Rocheneier, getrocknete Kröten und Unicornum verum – echtes Einhorn – enthalten!