Direkt zum Seiteninhalt springen

von

In den letzten Jahren entstand in den Werkstätten des Deutschen Museums die Sonderausstellung "Licht und Materie". In akribischer Arbeit wurden Miniaturmodelle von Laserröhren, Wellentischen und Strahlkanonen. gefertigt. Dazu Zeichnungen, historische Fotos und Dokumente, sowie Portraitfiguren berühmter Physiker und Physikerinnen, aber auch von James Bond und Goldfinger. Wie ein abstraktes Thema wie die Physik des Lichts anschaulich für alle begreifbar wird, das sieht man in den "Szenoramen".

2019 entschied das Deutsche Museum, eine neue Sonderausstellung “Licht und Materie” zu bauen. Ein wichtiges Thema: Im Alltag sind Laser, Glasfaser und Kernspintomograph nicht mehr wegzudenken. Aber auch ein schwieriges: Licht als Teilchen und Welle, Doppelspaltexperiment, Planck und Einstein, Quantentheorie. “Das Thema zu veranschaulichen, war eine große Herausforderung”, sagt Eckhard Wallis. Der Physiker, der seine Masterarbeit in experimenteller Quantenoptik an der Ludwig-Maximilians-Universität geschrieben hatte, kam vor fünf Jahren als Volontär ins Deutsche Museum. Dann wurde er kuratorischer Mitarbeiter im Ausstellungsprojekt “Licht und Materie”. In dieser Zeit arbeitete er mit den Bildhauer- und Modellbauer-Werkstätten und vielen anderen Bereichen im Museum für die neue Sonderausstellung zusammen.

Vom Diorama zum Szenorama

“Licht und Materie”: das ist eine Jahrhunderte lange Geschichte von Physikern mit vielen aufwändigen Experimenten und Entdeckungen, komplizierten Theorien und Formeln. “Aber diese Geschichte beinhaltet auch viele spannende, teils auch tragische, Geschichten von Menschen”, sagt Eckhard Wallis. Klassische Dioramen, wie sie im Deutschen Museum seit langem erfolgreich eingesetzt werden, wären diesem komplexen Geschehen nicht gerecht geworden. “Wir haben uns daher ‘Szenoramen’ ausgedacht”, so Wallis. Während ein Diorama eine einzelne Szene in aller Tiefe beleuchtet, kombiniert ein Szenorama Modelle, Exponate, Zeichnungen und Texte, zwei- und dreidimensional, über- und nebeneinander. Es kann ein Stück Physikgeschichte gleich einer Collage darstellen.

Kultur und Technik

Thomas Young und der Doppelspaltversuch

Im 17. Jahrhundert war Licht im Rahmen der Newtonschen Physik ein Strahl von ominösen, kleinsten Körnchen oder “Korpuskeln”. Man konnte es bündeln, damit Fernrohre und Teleskope bauen. Mehr wusste man nicht über das Licht. Dass es eine Welle sein könnte, wie im Wasser, wäre kaum jemandem eingefallen. Der Niederländer Christian Huygens zog jedoch schon sehr früh Analogien zwischen mechanischen Wellen wie bei Wasser und Schall und den Eigenschaften des Lichts. Dann kam Thomas Young. Er war wohlhabender Augenarzt und Gentleman in London und beschäftigte sich gerne mit Physik. Zum Beispiel experimentierte er mit der Ausbreitung von Wellen in Wasser. Um die Wellenmuster besser sichtbar zu machen, projizierte er sie mit Hilfe einer Kerze unter einer wassergefüllten Wellenwanne. Dann erforschte er um das Jahr 1800 das Licht: Mit einem Spiegel an seinem Fensterladen lenkte er das Sonnenlicht in sein Zimmer. Den Strahl ließ er durch zwei in ein Papier geritzte Spalten treten. Das hinterließ nicht nur einen schlichten Schatten an der Wand, sondern Streifen im Schatten – etwas das so gar nicht zur Korpuskeltheorie passte. Durch seine Erfahrung mit Wellen hatte Young eine mögliche Deutung parat: Interferenz! Die Wellen löschten sich an manchen Stellen gegenseitig aus. Dieser erste Doppelspaltversuch, den bis heute viele aus dem Physikunterricht kennen, stützte damit sehr klar die Wellentheorie des Lichts.

Szenorama zur Lichttheorie

Das erste Szenorama in der Sonderausstellung veranschaulicht Newtons Lichttheorie und Christian Huygens frühe Wellengedanken in Text und Grafik. Darunter plaziert wurde ein elegant in Gehrock und Stiefeln gekleidete Thomas Young mit seinen Experimenten. Sein Labor ist bewusst grau modelliert, die Versuchsgeräte farblich hervorgehoben und maßstabsgetreu nachgebaut. Beim Doppelspaltversuch aber gab es ein Problem, wie Bildhauerin Sabine Köhl erklärt: “Aufgrund des sehr kleinen dünnen Pappkärtchens und den feinen Streifen im Wellenmuster hätten wir diese Szene sehr groß bauen müssen, um das entscheidende überhaupt sehen zu können. Wir entschieden uns daher für Auszüge.” So prangt nun unten im Szenorama ein großes rundes Muster sich überlagernder Wellen – das, was Thomas Young als physikalisches Resultat erhielt. Der Physiker selbst steht daneben mit beidseitig erhobenen Händen und nach oben gerichteten Handflächen. “Ich habe ihn so modelliert, um auch seine Unsicherheit auszudrücken”, sagt Sabine Köhl. “Denn er war selbst nicht wirklich sicher, die Wellennatur des Lichts entdeckt zu haben.”

Eine Berliner Straßenlaterne und ein schwarzer Strahler

Doch die Wellennatur wurde von Youngs Nachfolgern bestätigt. Und auch der Teilchenaspekt sollte schließlich, in ganz neuer Form, wiederbelebt werden - im Rahmen der Quantenphysik. Und so springt das zweite Szenorama in das Berlin der 1890er Jahre. Auf einem historischen Foto sieht man das Gebäude der eben gegründeten Physikalisch-Technischen Reichsanstalt PTR (Vorgängerin der heutigen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt). Davor steht dreidimensional modelliert eine historische Straßenlaterne. Die Bildhauerin Elisabeth Straßer modellierte den Kandelaber, die Kolleginnen aus der Modellbauwerkstatt löteten so manche Verzierung hinzu und kümmerten sich mit den Elektronikern um das warme Licht, das im Szenorama wie damals auf die PTR scheint. In der Reichsanstalt vermass man zu jener Zeit die Lichtstärken unterschiedlicher Leuchtquellen - elektrische Lampen machten damals der Gaslampe zunehmend Konkurrenz. In diesem Rahmen experimentierte der Physiker Otto Lummer in den Laboren der PTR ab 1897 mit einem schwarzen Strahler: So nennt man ein Gerät, das so gut wie kein Licht oder Wärme reflektiert, aber durch eine schmale Öffnung selbst Licht ausstrahlt. Dieses ist entsprechend sehr rein, wird also nur von seiner Frequenz, und keiner weiteren Störung wie der Eigenfarbe des Strahlers, beeinflusst. Bei seinen Messungen bestimmte Lummer sehr exakt, wie sich bei einem schwarzen Strahler die Intensität des Lichts auf die verschiedenen Wellenlängen verteilte, und wie diese Verteilung von der Temperatur abhängt. Wenige Jahre später machte sich Max Planck daran, Lummers Messkurven mathematisch zu erklären. Als Rechentrick unterteilte er die Lichtenergie in kleine Portionen, gab diesen Portionen aber noch keine physikalische Bedeutung. Albert Einstein interpretierte sie schließlich 1905 als physikalisch reale “Lichtquanten”. Nun bestand das Licht, wie schon 300 Jahre zuvor postuliert, auch aus Teilchen: Photonen, die jeweils eine minimal kleine Energiestufe tragen. 

Szenoramen sind Teamwork

Im zweiten Szenorama, unter der Straßenlaterne, stehen die Protagonisten: Lummer als Figur in seinem Labor, neben ihm das kleine Schwarzkörper-Gerät, das die Modellbau-Abteilung des Deutschen Museums millimetergenau nach historischen Plänen aus Berlin fertigte. Und ganz unten eine Originalschrift von Max Planck nebst seiner berühmten Formel E = h ⋅ f (h ist das Wirkungsquantum, f die Frequenz, E die Energie der Strahlung). Doch das ist nicht alles: “In jedem Szenorama findet sich ein original erhaltenes Exponat”, erklärt Eckhard Wallis. An dieser Station befindet sich neben der modellierten Straßenlaterne eine über 100 Jahre alte, original erhaltene Kohlefaden-Glühlampe, so wie sie einst vor dem Labor Otto Lummers geleuchtet haben könnte. Die Exponate wurden von den Restauratoren des Deutschen Museums aus dem Depot geholt und für die Ausstellung wieder auf Hochglanz gebracht. Bei den Szenoramen der neuen Sonderausstellung sind also viele Abteilungen und Menschen des Deutschen Museums beteiligt: Neben den Bildhauerinnen und Mitarbeitern aus dem Modellbau, Elektronik und Restaurierung auch die Schreiner und Malerinnen für die Gehäuse, die Setzerei, Druckerei und Buchbinderei für die Texte.

Krieg und Popkultur in der Quantenphysik

Ein weiteres Szenorama zeigt die Zeit des Zweiten Weltkriegs: Im Labor des Massachusetts Institute of Technology (MIT) feilte man Tag und Nacht an immer besseren Radargeräten. Längst war das elektromagnetische Spektrum, diesseits und jenseits des sichtbaren Lichts, den Physikern und Ingenieuren bekannt. Langwelligere Mikrowellen gehörten im Radarbereich zu einer der wichtigsten technischen Anwendungen, vor allem in Kriegszeiten. Im Szenorama ist das MIT-Lab ein Papiertheater, die Radarschüssel ist ein 1:8-Modell und das Display eines damaligen Radargeräts wird simuliert. “Der Krieg hat die Forschung in diesem Bereich ungemein beschleunigt”, gibt Eckhard Wallis zu bedenken. 

15 Jahre nach Ende des Kriegs entwickelt der amerikanische Physiker Theodore Maiman den ersten Laser. Für dieses Szenorama zeigt Sabine Köhl aus der Bildhauer-Werkstatt Mister Maiman in Anzug und Krawatte. Neben ihm seine Versuchsgeräte: Vor allem die wendelförmige Blitzlampe, die einen Rubinstab beleuchtete. Und der emittierte bekanntlich scharfe Lichtpulse, die ersten Laserstrahlen. Ohne Quantenphysik hätte das nicht funktioniert.

James Bond und die Laserkanone

Weiter unten im Szenorama entführt Sabine Köhl den Betrachter in die Pop- und Unterhaltungskultur. Denn von Maimans Lasererfindung machte ein Fotograf ein übertriebenes Bild: Dafür sollte der Erfinder eine größere Wendel zur Lichterzeugung zur Hand nehmen, als im Versuch eigentlich eingesetzt worden war. Das Foto ging um die Welt. Bald waren Laserkanonen mit großen, glänzend geschwungenen Lichtwendeln in Comics und Science-Fiction-Filmen nicht mehr wegzudenken. Im Kinostreifen Goldfinger (1964) will Goldfinger (Gert Fröbe) seinen Kontrahenten James Bond (Sean Connery) mit einer mächtigen Laserkanone zersägen. Auch diese beiden, den Schurken und berühmten Helden, hat Sabine Köhl für das Szenorama nachgebaut. Seinen kommerziellen Siegeszug trat der Laser allerdings nicht mit blitzenden leistungsstarken Kanonen, sondern klein, friedlich und unterhaltsam in CD-Laufwerken und Glasfaserkabeln an. 

Eine Wolke voller Formeln

Ins Szenorama “Gedankenexperimente” hat Bildhauerin Sibylle Kobus eine große Wolke in die Mitte gehängt. Sie ist übersät mit Formeln. Manch eine ist vielleicht bekannt, viele sehen kompliziert und wie aus einer anderen Welt aus. Entsprungen sind vielen den Köpfen bekannter Physiker wie Albert Einstein und Niels Bohr. Diese beiden setzte Sibylle Kobus unter ihre Formelwolke. Bekanntlich waren die Herren in der Quantenphysik sehr uneins und doch trug ihre Debatte maßgeblich dazu bei, die besonderen Eigenschaften der Quantenwelt besser zu verstehen. Wie etwa die geisterhaft anmutende Quantenverschränkung: Miteinander verschränkte Teilchen können, auch wenn sie weit voneinander entfernt sind, physikalisch nicht als einzelne Teilchen beschrieben werden, sondern nur als Gesamtsystem. 

Erstmals beschrieben wurde diese vermeintlich “spukhafte Fernwirkung” in einem Gedankenexperiment von Einstein, Podolsky und Rosen. Für die experimentelle Untersuchung dieses Phänomens  erhielten Alain Aspect, John Clauser und Anton Zeilinger im Jahre 2022 den Physik-Nobelpreis. Die drei Physiker zeigt Sibylle Kobus in ihrem Szenaroma. Chien-Shiung Wu hat sie dabei nicht vergessen. Die chinesisch-amerikanische Physikerin erzeugte schon in den fünfziger Jahren erstmals verschränkte Photonen, wenn auch eher am Rande. Bekannt wurde sie für bahnbrechende Forschung zur Parität von Elementarteilchen. Einen Nobelpreis erhielt sie allerdings nie dafür. 

Frauen in der Physik

Wie in vielen anderen Bereichen, fristen Frauen in der Physik lange ein Schattendasein. Dabei waren sie oft mindestens ebenso schlau wie die Männer. Im letzten Szenorama hat Elisabeth Straßer die Rolle von Alice Golsen hervorgehoben. Die 1889 in Wiesenbaden geborene Jüdin besuchte das erste Mädchengymnasium Deutschlands bis zum Abitur und studierte anschließend Physik und Mathematik auf Lehramt. Neben dem Schuldienst ließ die Wissenschaft sie nicht los, und sie begann 1920 eine Doktorarbeit an der Universität Frankfurt. 

Ihr Professor Walter Gerlach betraute sie mit einer schwierigen Aufgabe: den Strahlungsdruck genau zu messen. Golsen macht sich selbstbewusst und voller Eifer, meist nachts und in ihrer Freizeit, daran. Vor einer Tafel erklärt sie ihre Versuchsanordnung. Gerlach staunt, doch Golsen hat Erfolg und misst präzise. Das alles hat Elisabeth Straßer in diesem Szenorama veranschaulicht. Heute wird der Strahlungsdruck praktisch genutzt um Atome abzubremsen und einzufangen. Alice Golsen konnte das leider nicht mehr erleben. Als Jüdin musste sie 1939 aus ihrer deutschen Heimat fliehen. 1940 beging sie in Großbritannien Selbstmord.

“Licht und Materie” - das ist eine wechselvolle Geschichte menschlicher Schicksale, großartiger Entdeckungen, intensiver Dispute. In sechs großen Szenoramen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstätten im Deutschen Museum diese Geschichte meisterhaft dargestellt. An mehr als 20 weiteren interaktiven Stationen und zahlreichen Exponaten in der neuen Sonderausstellung kann man das Thema vertiefend für sich entdecken. Eckhard Wallis freut sich, dass die spannende Reise vom Licht bis zur Quantenphysik im Deutschen Museum nun fertig ist. Und sie wird bleiben: bis Ende 2025 als Sonderausstellung und voraussichtlich ab 2028 auch als Dauerausstellung.

Autor/in

Christian Rauch

Christian Rauch hat Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität München studiert. Nachdem er zehn Jahre in der Mobilfunkindustrie arbeitete, ist er seit 2010 als freier Journalist in den Themenbereichen Wissenschaft und Technik, sowie Kultur und Tourismus tätig. Er hat mehrere Reise- und Bergbücher geschrieben.
Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum:
Die Raumfahrt-Ausstellung ganz oben! Durch die helle Luftfahrthalle geht es weit hinauf in die dunklen Räume. Dort kann man als erstes am Globus unsere und andere Welten erkunden und im „Atmosphären-Fahrstuhl“ realisieren, wie interessant und kostbar unsere irdische Luftfülle ist, die uns mit Leben versorgt. Und dann zeigen viele Exponate, mit welchen Wunderwerken der Technik wir diese schützende Hülle verlassen haben – bis zum Mond.

Weitere Blogbeiträge aus der Kultur und Technik