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Forschen am Deutschen Museum?

Als ich gerade dabei war, den Werkkatalog zum Münchner Architekten Emanuel von Seidl (1856-1919) zu erstellen, galt es auch die Baugeschichte des Deutschen Museums in München zu erforschen.

Die Frage für mich stellte sich, ob und wie er die Pläne seines Bruders Gabriel von Seidl nach dessen Tod im April 1913 realisiert hatte, welche Gebäudeteile des Deutschen Museums von Emanuel von Seidl stammten und ob er eigene Planungen für das Museum entwickelt und ausgeführt hatte?

Ich bewarb mich für das „Scholar-in-Residence“-Programm am Forschungsinstitut für Naturwissenschaft und Technik am Deutschen Museum in München.

Als erfolgreiche Stipendiatin durfte ich das umfangreiche Material des hauseigenen Archivs sichten: Originale Baupläne (im Maßstab 1:100, eine Dimension, die ich nur mit Unterstützung des damaligen Archivleiters Dr. Wilhelm Füßl auf- und umblättern konnte), zahllose Schachteln mit Rechnungen, Briefen, Verträgen, historischen Fotografien, die allesamt von der Baugeschichte eines der größten Technikmuseen weltweit erzählten und mich in eine Zeitreise einschleusten: Bei Archivrecherchen vergeht der Tag blitzschnell. Unterstützt wurde ich von Dr. Matthias Röschner und dem gesamten Archivteam, die die relevanten Unterlagen für mich bereitlegten, einscannten und verfügbar machten.

In der Bibliothek konnte ich aus den zeitgenössischen Bauzeitschriften und seltenen Büchern den roten Faden ziehen, der mir noch fehlte, um einerseits meine Dissertation, andererseits die Baugeschichte des Deutschen Museums zu beenden.

Spaziergänge an der Isar, Gespräche mit internationalen StipendiantInnen über ihre Forschungsgebiete, ein Kaffee im Cafe Exponat, ein Mittagessen mit Blick über die Isarauen in der „Frau im Mond“, eine offene Atmosphäre mit „open mind“, viel Unterstützung in allen Bereichen durch Andrea Walther MA und Dipl. Betriebswirtin Daria Schumann wie auch durch den Leiter des Forschungsinstitutes, Prof. Helmut Tischler, waren die beste Bedingung, um meine Dissertation in einer freudvollen Umgebung erfolgreich abzuschließen.

Der Sammlungsbau wurde 1906 bis 1925 errichtet:

Der viergeschossige, hallenartige Saalbau mit vier Gebäudeflügeln liegt rund um einen Innenhof angeordnet. Die nach innen versetzten Walmdächer umfassen, mit einem tiefer gesetzten Fußwalmdach, den annähernd quadratischen Gebäudegrundriss. Ein Turm an der Längsfront im Nordwesten, im Nordosten zwei Sternwartekuppeln und eine mittige Astronomieterrasse garantieren die Silhouette- und Fernwirkung des Hauses.

Die Architektur liegt im Spannungsfeld zwischem dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts modernsten Baustoff Beton, und der traditionellen Formensprache des Historismus. Das Deutsche Museum in München ist einer der größten Eisenbetonbauten Europas seiner Zeit.

Das Deutsche Museum in München liegt unweit der Innenstadt und zeichnet sich durch eine exponierte Lage auf einer Insel in der Isar aus. Der Museumskomplex besteht aus vier Gebäudegruppen unterschiedlicher, baulicher Epochen:

Architekt des Sammlungsbaus ist Gabriel von Seidl (1848 – 1913). Nach seinem Tod führte Emanuel von Seidl (1856-1919) die Pläne seines Bruders aus und bestimmte die Innenausstattung. Eigene Projektskizzen zum Bibliotheksgebäude folgten.

Nach dem Tod Emanuel von Seidls im Winter 1919 übernahm Architekt Oswald Bieber (1874- 1955) gemeinsam mit Theo Schäffer, einem Schüler und engem Mitarbeiter aus dem Büro Emanuel von Seidls, die weitere Bauleitung des Großprojektes.

Von 1928 bis 1932 bzw. 1935 wurde das Bibliotheks- und Kongressgebäude errichtet: Der zweckorientierte, viergeschossige Funktionsbau der Bibliothek auf rechteckigem Grundriss ist ebenfalls, wie auch der freistehende Kongressbau, ein Stahlbetonkonstrukt. Das Gebäude im Stil des Funktionalismus wurde nach Plänen von German Bestelmeyer (1874-1942) unter der Bauleitung Karl Bässlers (1888-1973) errichtet.

Der Hallenbau, 1936 für Automobile im Südwesten anstelle des ursprünglichen Portikus errichtet, ist eine Zutat von Architekt Karl Bässler und wurde in den 1970-iger Jahren durch die Halle für Luft- und Raumfahrt durch den Architekten Sep Ruf ersetzt.

Die Grundformen und ersten Entwürfe des Musemsbaus entlehnten ihre klaren Formen der römischen Antike, der Grundriss des zentralen Sammlungsbaus entsprach dem Prinzip eines antiken Tempels mit einer Halle (entspricht der Cella im Tempel) auf Säulenstellungen, einem umlaufenden Peristyl und einer Vorhalle.

Der Säulenumgang mit den Großobjekten im Erdgeschoss und die Hallenartige Konstruktion im Zentrum wie auch das Säulenvestibül im Eingangsbereich basierten auf diesem Grundgedanken. Durch den Antikenbezug entstand auch die Grunddisposition des gesamten Gebäudes. Der geistige Anspruch, der an das Gebäude gestellt wurde, materialisierte sich im Grundriss und an den Fassaden: Die Apotheose, die Sakralisierung von Kunst und Architektur, der göttliche Aspekt in Naturwissenschaft und Technik, drückte sich im gesamten Gebäude aus.

Diese Idee dürfte auch der ausschlaggebende Grund gewesen sein, warum Gabriel von Seidl den Wettbewerb gewann.

Beim Reichsfrühstück nach der Eröffnung des Museums 1925 verglich ein Festredner das Deutsche Museum mit einem Tempel, in welchem „dankbar und fromm die bedeutendsten Gelehrten und Techniker ihre Apparate, Instrumente und Maschinen, Werkzeuge und Resultate ihrer Forschungen darbringen und so dem Gedanken Ausdruck geben: Ex ingenio instrumentum ex instrumenteo ingenium.“ (Aus dem Geist entsteht das Werkzeug, aus dem Werkzeug der Geist).

Nach dem frühen Tod Gabriel von Seidls im April 1913 übernahm sein jüngerer Bruder Emanuel die Bauoberleitung und die gesamte Innenausstattung für das Deutsche Museum.

Wiederholt war Oskar von Miller im Zeitraum von 1913 bis 1919 auf dem Landsitz seines Freundes und Oberbauleiters Emanuel von Seidl zu Gast in Murnau. Berufliches, Geselligkeit und Privates wurden in Murnau vernetzt: Teegesellschaften abgehalten, ein Museum in Murnau6 geplant und der Fortschritt des Bibliotheksgebäudes vom Deutschen Museum in München besprochen.

Die gesamte Baukommission des Museums wurde nach Murnau eingeladen: Oskar von Miller, Bauamtmann Dr. Bosch, die Architekten Theobald Schäffer, Philipp Gelius, der Abteilungsleiter Dr. Franz Fuchs und andere.

Seidl sah den Bibliotheksbau des Deutschen Museums als seine Lebensaufgabe an. Am Weihnachtstag des Jahres 1917 schrieb er an Oskar von Miller:

„Lieber Freund!

Mit Beginn des Baues des Bibliotheksgebäudes drängt es mich, dir zu danken, daß du mir eine so bedeutungsvolle Lebensaufgabe überwiesen hast, daß ich dabei deine Absichten getroffen habe, freut mich besonders. Das Werk soll in meiner Eigenschaft als Architekt des deutschen Museums – so Gott will – mein künstlerisches Vermächtnis bedeuten. Ich hoffe, daß ich dir und mir damit Ehre mache. Mit besten Grüßen Emanuel“

Bibliotheksbau Projekt 1918: Emanuel von Seidl

Nachdem die Kräfte in den Kriegsjahren für den Innenausbau des zentralen Sammlungsbaus, wie von Gabriel von Seidl gewünscht, gebündelt worden waren und vor allem der Ausstattung des Ehrensaals gewidmet wurden, entwarft Emanuel von Seidl Ende des Jahres 1917 einen großzügigen Repräsentationsbau für die Bibliothek. Im März 1918 lag der gesamte Plansatz zum Bau eines Bibliotheksgebäudes vor. Mit einem umfassenden Raumangebot, welches Forschern, Wissenschaftlern, Studierenden, Besuchern aus dem Museumsbau und „allen Kreisen der Bevölkerung“ zur Verfügung stehen sollte, entstand das Projekt zu einem repräsentativen, neuen Bibliotheksbau, welcher dem Sammlungsbau nicht mehr als Ergänzung, sondern selbständig gegenüber stand.

Das Bauprogramm enthielt ein Platzangebot für die bereits 50 000 Bände an Werken der Naturwissenschaft und Technik zählende Bibliothek, für „mehrere in Aussicht stehende Stiftungen“, Vortrags- , Lehr- und Versammlungssäle. Ein großer Kongress-Saal, welcher über alle Geschosse ging, bildete im ersten Obergeschoß das Herzstück des Gebäudes, ergänzt von Magazinen und Lagerräumen für Lichtbilder, Filme und Phonogrammdarstellungen, Bücher, für die umfangreiche Plan- und Patenschriftensammlung von Maschinen und technischen Geräten, Depots für Exponate, Büros und Werkstätten sowie Räumen für Versuchsanordnungen.

Zwei Grundfunktionen waren unter einem Dach vereint: Die Sammlungs- und Bewahrungsfunktion (Bücher und Pläne) und die Funktion eines Versammlungs- und Begegnungsortes (Bibliothek, Kongress und Vortragsssäle). Durch den Kongress-Saal war die Museumssatzung aus dem Jahr 1903 sogar mehr als erfüllt: Gefordert war neben dem Sammlungsbau ein Archiv für wissenschaftliche und technische Urkunden und eine technisch-wissenschaftliche Bibliothek.

Auf dem nordöstlichen Areal der ehemaligen Kohleninsel und in Anbindung an das bereits in der Fertigstellung begriffene Ausstellungsgebäude (Richtfest 1911) seines Bruders Gabriel, projektierte Emanuel von Seidl seinen Bibliotheks- und Kongressbau. Die Grundform des Hauses passte sich der nach Nordost verjüngenden Isarinsel an.

Das Projekt für den Bibliotheksbau von Emanuel von Seidl wurde nicht ausgeführt. Dies mag drei Gründe gehabt haben: Einer war der Bau eines der größten Wasserkraftwerkes Deutschlands, dem Walchenseekraftwerk zwischen den oberbayerischen Seen Walchensee bei Wallgau und dem Kochelsee in Kochel am See von 1918 bis 1924, welches Oskar von Miller mit seinem „Ingenieurbüro Oskar von Miller“ leitete und welches wohl alle seine Kräfte in Anspruch nahm.

Der zweite Grund waren die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges, welche für den Bau des Deutschen Museums Mangel an Arbeitskräften, Mangel an Baustoffen, erschwerte Transportbedingungen, das Zurücknehmen von größeren Stiftungen und Spenden, und ähnliches bedeutete.

Der dritte Grund war der frühe Tod des Architekten und Bauleiters Emanuel von Seidl am 25. Dezember 1919.

Nach seinem Tod und der Jahre später erfolgten Eröffnung des Museumsgebäudes am 7. Mai 1925 war das für den Bibliotheksbau vorgesehene Gelände, welches als Lagerplatz für Baumaterial für den Ausstellungsbau gedient hatte, frei geworden. Durch diverse Spenden und finanzielle Beiträge aus der Industrie sowie einer Million Mark von der Stadt München war das Startkapital für einen Baubeginn vorhanden. In der Ausschusssitzung im Mai 1927 sagte Oskar von Miller: „ Es handelt sich also nur um den Entschluss, an die Ausführung des Bibliotheksbaus wirklich heranzugehen. Wenn man zu diesem Entschluss kommt, dann muss man zuerst Pläne haben. Wir hatten allerdings bereits vor Jahren Pläne von Gabriel und Emanuel von Seidl. Ihre Ausführung ist aber für die jetzige Zeit zu teuer.“

Nach Durchführung eines Wettbewerbes wurde der Architekt German Bestelmeyer (1874 bis 1942), Professor an der Technischen Hochschule in München und gleichzeitig Präsident der Akademie der Bildenden Künste, mit dem Bau eines Bibliotheks- und Kongressgebäudes beauftragt, obwohl er lediglich den vierten Platz beim Wettbewerb erreicht hatte.

Mit seinem Schüler Karl Bäßler (1888 -1973) erarbeitete Bestelmeyer die Pläne eines sachlichen Funktionsbaus, welcher keinen Bezug zum bereits bestehenden Museumsgebäude aufnehmen konnte oder wollte.

Grundsteinlegung für das neue Gebäude war am 4. September 1928. Bereits am 6. Mai 1930 konnte das Richtfest des Stahlgerüstbaus gefeiert werden. Am 7. Mai 1932 waren die Bibliothek und das Kongressgebäude endgültig Realität geworden und wurden eröffnet.

Autor/in

Foto Katharina Drexler

Katharina Drexler

Katharina Drexler hat Kunstgeschichte in Wien studiert und für ihre Dissertation am Institut für Baukunstgeschichte der Universität Innsbruck das Gesamtwerk des Münchner Architekten Emanuel von Seidl aufgearbeitet. Zum einhundertsten Todesjahr des Architekten im Jahr 2019 hat sie eine Sonderausstellung im Schlossmuseum in Murnau kuratiert.

Als Gastwissenschaftlerin am Forschungsinstitut des Deutschen Museums hat sie über Reformarchitektur geforscht und ihre Dissertation beendet.

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