
Tatjana Dietl
Tatjana Dietl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Luftfahrt und arbeitet derzeit an der Neugestaltung der Ausstellung „Historische Luftfahrt bis 1918“.
von Tatjana Dietl
Der Entwurf der „Taube“ stammt vom österreichischen Textilfabrikanten und Flugzeugkonstrukteur Igo Etrich. Die Tragflächenform geht auf einen kürbisartigen Palmensamen (Zanonia macrocarpa) zurück, der ein äußerst stabiles Flugverhalten aufweist.
Die Berliner Firma „Rumpler-Luftfahrzeugbau GmbH“ unter der Leitung von Edmund Rumpler erhielt im Juni 1910 die Nachbaurechte für Deutschland. Etrichs Bemühungen um ein Patent in Deutschland scheiterten jedoch 1911, weil die besondere Tragflächenform auf den Erkenntnissen des deutschen Zoologen und Physikers Professor Friedrich Ahlborn basierte.
Dies führte letztendlich dazu, dass die Maschine in Deutschland von einer Vielzahl von Firmen (u.a. Gotha, Jatho und Albatros) in verschiedensten Formen nachgebaut und verkauft wurde. Edmund Rumpler verzichtete bereits im Frühjahr 1911 auf die Lizenzzahlungen sowie auf die mündlich vereinbarte Kennzeichnung der Flugzeuge mit der Rumpfaufschrift „Etrich-Rumpler“. Die Streitigkeiten mit Etrich begannen.
Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten verschoben sich die Gewichte in der öffentlichen Auseinandersetzung zwischen Edmund Rumpler und Igo Etrich um die Entstehungsgeschichte der „Taube“.
Edmund Rumpler wurde aufgrund seiner „jüdischen“ Herkunft verleugnet und mit seiner Familie kontinuierlich aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen. Zu dieser antisemitischen Diskriminierung sowie der nationalsozialistischen Ausgrenzung Rumplers aus der deutschen Luftfahrtgeschichte trug auch das Deutsche Museum mit bei.
So wurde in der Luftfahrtausstellung ab 1940 der Name Rumpler und die damit verbundenen Leistungen in der Luftfahrt- und Automobiltechnik gezielt entfernt: Die originale Rumpfbeschriftung der „Taube“ wurde durch die kuriose Beschriftung „Etrich Berlin“ ersetzt. Ebenso verschwand der Name aus der dazugehörigen Objektbeschriftung und aus den Texten des Ausstellungsführers. Er wurde historisch unkorrekt durch „Etrich“ ersetzt. Igo Etrich war jedoch weder in Berlin wohnhaft gewesen, noch hatte er dort Produktionsstätten besessen. Seine „Tauben“ hatten lediglich die Aufschrift „Etrich“ ohne einen zusätzlichen Ortsnamen getragen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann ab 1953 am Deutschen Museum die Restaurierung der „Taube“. Mit der Wiedereröffnung der Abteilung Luftfahrt im Mai 1958 kehrte die Maschine neben anderen restaurierten Flugzeugen, wie „Wright Model A“ und „Grade-Eindecker“, an ihren Platz unter der Hallendecke zurück. Auf dem Exponat-Schild trug sie zunächst erneut die unkorrekte Bezeichnung „Etrich Taube 1910“, welche um 1980 in „Rumpler Taube 1910“ geändert wurde. Nach gründlicher Recherche legten sich die Kuratoren zur Eröffnung der neuen Ausstellung in der Luft- und Raumfahrthalle des Deutschen Museums im Mai 1984 auf die Bezeichnung „Etrich-Rumpler Taube 1910“ fest, die bis heute für die „Taube“ des Deutschen Museums ihre Gültigkeit hat.
Durch die Neubespannung nach der Restaurierung präsentierte sich das Flugzeug den Besuchern ohne jegliche Aufschrift in einem neutralen und entpolitisierten Gewand. Auch die beiden Karikaturen des Kunstmalers Emil Kneiß wurden nicht wieder erneuert.
Das Deutsche Museum war noch nicht bereit sich seiner Vergangenheit zu stellen: „Eine Bereitschaft der Museumsverantwortlichen zur Wiedergutmachung der nationalsozialistischen Ausgrenzung Rumplers, an der sich letztlich auch das Deutsche Museum beteiligt hatte, und der Entrechtung Rumplers und seiner Familie ist in dieser Phase nicht zu erkennen.“ (Holzer, Hans und Trischler, Helmut: Zuschreibung, Umdeutung, Ausgrenzung: Rumpler, Etrich und das Taube-Flugzeug des Deutschen Museums, in: (2), S. 449-472)
Wie zahlreiche andere Objekte, war auch die „Taube“ des Deutschen Museums nach dem Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Nach ihrer Restaurierung präsentierte sie sich in der Zeit von 1958 bis 1992 ohne jegliche Rumpf-Bemalung.
Erst seit Anfang der 1990er Jahre entwickelte sich am Deutschen Museum das Bewusstsein für die historische Aufladung zahlreicher Exponate. Als Leitziel der Restaurierung und Konservierung gilt die Wiederherstellung und Erhaltung der ursprünglichen Verwendungszusammenhänge von historischen Exponaten. Auf dieser Grundlage wurde die „Taube“ im Februar 1992 von den Werkstätten des Museums wieder mit der ursprünglichen Beschriftung „Rumpler Berlin“ sowie mit den beiden Karikaturen versehen.
Auch nach dem Umbau der „Alten Luftfahrthalle“ im zweiten Realisierungsabschnitt der Umbaumaßnahmen soll die Etrich-Rumpler Taube wieder einen zentralen Platz in der Ausstellung erhalten. Die „Taube“ ist ein bedeutender Schatz der Luftfahrtsammlung: Sie spielte in der Geschichte des frühen Motorflugs in Deutschland eine wichtige Rolle. Anhand der Objektgeschichte lassen sich einerseits technische Erfolge aufzeigen, andererseits steht das Exponat für die ausgrenzende und diskriminierende Museumspolitik im Nationalsozialismus. Dieses Flugzeug ist damit untrennbar mit der Geschichte des Deutschen Museum verbunden.