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Nürnberg, ein Samstag Mitte Mai, Kulturbegeisterte und Technikaffine warten gespannt auf die Ergebnisse des Kultur-Hackathons Coding da Vinci Süd 2019 in der Tafelhalle.

Seit der Kick-off-Veranstaltung von Coding da Vinci Süd (siehe Blogbeitrag "Deutsches Museum lässt sich hacken" vom 12. April) haben die Hacker*innen intensiv an den frei verfügbaren Datensätze aus 30 Kulturinstitutionen aus Bayern und Baden-Württemberg gearbeitet. Ob „lauter langweilige Sachen“ aus dem Stadtmuseum Tübingen oder Luftangriffspläne des Stadtarchivs Stuttgart - die Bandbreite war riesig. Das Deutsche Museum fungierte nicht nur als Mitorganisator des Kulturhackathons, sondern steuerte als Datengeber auch Porträtdarstellungen aus fünf Jahrhunderten sowie Notenrollen für selbstspielende Klaviere bei.

Kurz zur Erinnerung: Ein Hackathon ist eine Wortschöpfung aus „hacken“, was in etwa „einfallsreiche Experimentierfreudigkeit“ bedeutet, und „Marathon“. Coding da Vinci bietet so den meist getrennten Welten von kreativer Technologieentwicklung einerseits und institutioneller Kulturbewahrung andererseits, die Möglichkeit, zusammenzuarbeiten. 18 Projekte waren bis zum Ende noch dabei, zum Beispiel das bei Twitter und auf Instagram präsente Projekt „Wie geht’s Dir, Europa?“ (#wiegehtsdireuropa)). Ausgewähltes Bildmaterial der Fotosammlung Willy Pragher (1908–1992) aus dem Landesarchiv Baden-Württemberg wurde gepimpt – farblich verändert und mit passenden Hashtags versehen, wie #EUPhorie, #EUroparockt oder #Europabewegtdich. Damit soll zur Stimmabgabe bei der Europawahl am 26. Mai motiviert werden.

Drei Projekte nutzten die Porträts des Deutschen Museums und blieben bis zum Ziellauf im Rennen. Bei der „GastroGrantler-App“ schlüpft man in die Rolle einer historischen Persönlichkeit und erkundet alte Gasthäuser und Speisekarten Münchens. Man gibt seinen „süßen Senf“ zu den ehemals hippsten Münchner Wirtshaus-Locations ab, seine eigene „Monacensur“ also. Im „Schmausoleum“ kann man mit seiner „Kraut-Soßing-Philosophie“ vom „einfachen Alt-Münchner Gastrograntler“ über den „versierten Brater-Berater“ zum „ultimativen Beisel-Advisel“ aufsteigen, indem man die Speisekarten transkribiert und annotiert. Neben einer kulinarischen Reise ist mit dem „Kaiserpanorama VR+“ auch eine visuelle Reise möglich geworden. Hierfür wurden die Datensätze mehrerer Kulturinstitutionen genutzt, um die Museumsbesucher*innen von Panoramagemälden und Dioramen hin zu stereoskopischen Bilderserien und schließlich zum immersiven Erlebnis im VR mitzunehmen, also bis zum „Eintauchen“ in die Virtuelle Realität.

Auf Abenteuerreise geht man beim „Femtett Adventure Game“. Genutzt wurde hierfür das Quartett berühmter Frauen aus dem Spar-Archiv des Deutschen Spielearchivs Nürnberg, das mit den Porträts des Bestands aus dem Deutschen Museum sowie Datensätzen der Universitätsbibliothek Erlangen ergänzt wurde. Entstanden ist ein Point-and-Click Adventure, bei dem Rätsel zu lösen sind und Objekte gesammelt werden. Das Spiel kann bereits online gespielt werden: Femtett. Nach und nach erschließen sich die Geschichten der Frauen anderer Epochen, deren Porträts und Schriften die Zeit überdauert haben.

Und wer hat nun das Rennen gemacht? Wer erhielt die vier Preise, die die Jury vergab, und wer war der vom Publikum gewählte „everybody’s darling“?

Bei der schwungvollen Präsentation der „Schmankerl Time Machine“ wurde bereits deutlich, weshalb der Preis „most technical“ verdient war: Die alten Speisekarten der Monacensia bieten einen Streifzug durch die traditionsreiche Münchner Wirtshausgeschichte der vergangenen 150 Jahre und können nun sowohl nach Jahren als auch nach Kartentyp (Mittags- oder Abendkarte beispielsweise) sortiert werden. Es lassen sich ganze Menüs zusammenstellen, wobei auch das Budget berücksichtigt werden kann. Die Verknüpfung der aufgefundenen Gerichte zur Rezeptdatenbank des Webportals Chefkoch.de bietet dabei ein zusätzliches Schmankerl. Außerdem werden besonders exquisite Speisen algorithmisch auffindbar gemacht, so wie beispielsweise „Hirn mit Ei“ oder „Pain de Gênes“.

Als „most useful“ wurde das Projekt „Linked Stage Graph“ prämiert. Es strukturiert und visualisiert die Aufführungsdaten und Fotografien des Stuttgarter Staatstheaters. Dabei werden die Schwarz-Weiß-Fotos, die spannende Momente auf und hinter der Bühne zeigen, mit Wissensgraphen wie Wikidata und GND verknüpft.

Bei „cover.boutique“ ging es um einen kreativen Umgang mit historischen Kulturschätzen und den schöpferischen Umgang mit Werken der Vergangenheit. Cover.boutique stellt ein Werkzeug bereit, um mit einer transparenten Silikonhülle das eigene Smartphone mit Collagen aus den Digitalisaten der Datengeber zu verschönern. Gleich mal selbst ausprobieren: https://cover.boutique. Hierfür gab es natürlich den verdienten Preis „best design“.

Gleich zwei Preise holte das Team „162 ways to die“, sie waren „everybody’s darling“ und sorgten bei ihrer Präsentation für viele Lacher, womit sie sich auch als „funniest hack“ qualifizierten. Die interaktive Installation setzt die Abbildungen der Jesuitentafeln aus dem Stadtmuseum Landsberg am Lech zu dezent animierten Geschichten um. Eine mit RFID-Chip versehene Holzfigur, die jeweils für einen der Jesuiten steht, wird auf ein Holzpodest platziert. Am Ende der Erzählung sorgt ein im Podest verborgener Elektromagnet dann für einen kleinen Magic-Moment, wenn vom Ableben des Jesuiten die Rede ist. Der Preis, vom Deutschen Museum gesponsert, bietet einen Workshop im VRlab mit Spritztour im Lunar Rover über den und Besuch bei Otto Lilienthal. Wir freuen uns auf den Besuch und auf den Austausch im Deutschen Museum!

Autor/in

Fabienne Huguenin

Fabienne Huguenin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Projekt DigiPortA. Portätmalerei ist einer der Forschungsschwerpunkte der Kunsthistorikerin. Das Thema ihrer Promotion lautet "Hässlichkeit im Portrait – Eine Paradoxie der Renaissancemalerei".

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: In der Abteilung Meeresforschung fasziniert das minutiös gearbeitete Diorama eines Labors auf dem Forschungsschiff „Challenger“ (Expedition 1872–1876). Gleich daneben sind zum Teil behäbig wirkende Helmtaucherausrüstungen und Panzertauchanzüge zu sehen, die an frühere Tauchexperimente erinnern, wie sie auch der Ingenieur Wilhelm Bauer (1822–1875) durchführte: Eine Fotografie auf der Startseite von DigiPortA zeigt den kaiserlichen Submarine-Ingenieur vermutlich im Jahr 1863 anlässlich der Hebung des im Bodensee gesunkenen Dampfers „Ludwig“.