Direkt zum Seiteninhalt springen

von

Von Fabienne Huguenin
Hackathon – was ist das eigentlich?
Das Kofferwort setzt sich zusammen aus „Hacken“, das wohl am besten mit „einfallsreicher Experimentierfreudigkeit“ umschrieben werden kann, und „Marathon“. Ein Hackathon ist ein Programmiermarathon, bei dem zum Beispiel Apps, Websites, VR/AR-Umsetzungen, interaktive Installationen, Datenvisualisierungen oder anderes entwickelt werden.
Beim Auftakt zum Kultur-Hackathon Coding da Vinci Süd 2019 am vergangenen Wochenende (6./7. April) trafen sich Programmierer*innen und andere Technikbegeisterte mit Vertreter*innen von Kulturinstitutionen aus Bayern und Baden-Württemberg in der Stadtbibliothek München am Gasteig. 30 Kultur- und Wissensinstitutionen sowie 140 Teilnehmer*innen hatten sich angemeldet, darunter auch eine internationale Gruppe. Denn dank der Einladung durch den Mitveranstalter Goethe-Institut kamen auch 15 Kulturschaffende, Coder*innen und Hacker*innen aus Brasilien, der Elfenbeinküste, Indonesien, dem Senegal, Südafrika und Tansania. Die jüngste Hackerin war etwa zehn Jahre alt, der älteste um die 60. Und alle extrem kulturbegeistert!
Coding da Vinci, 2014 in Berlin gegründet, zielt darauf ab, Kulturinstitutionen die Potenziale der Digitalisierung aufzuzeigen und sie dafür zu begeistern, ihre Inhalte im Netz verfügbar zu machen. Objekte, Karten, Blätter und Bilder sollen entstaubt und zu neuem Leben erweckt werden. Dabei geben die Kulturinstitutionen bewusst einen Teil der Deutungshoheit ab, während eine kreative Gruppe unserer Gesellschaft eigene Fragen an die Werke stellt, um sie digital erfahrbar zu machen. Hacker*innen und Kultureinrichtungen gestalten somit gemeinsam den Zugang zu unserem digitalen Kulturerbe.

Die Präsentation der Datensätze wurde von Michael Schrenk in beeindruckendem Tempo in eine Live-Illustration umgesetzt.

Wir arbeiten mit Köpfchen!

Um ihre digitalisierten Schätze vorzustellen hatten die jeweiligen Datengeber*innen bei der „One Minute Madness“ im Gasteig exakt 60 Sekunden Zeit. Kurz und knusprig also! Anhand der „Münchner Speisekarten“ servierte die Monacensia im Hildebrandhaus erste Appetithäppchen, wie Herz am Rost, illustrierte Gurke und klare Schildkrötensuppe. Das Museum für Kommunikation Nürnberg betonte, dass die internationalen Postbeutel keinesfalls als -säcke bezeichnet werden sollten. Und mit der Zoologischen Sammlung der Universitätsbibliothek FAU Erlangen-Nürnberg ging es in die Wildnis. In einer zweiten Runde hatten die Datengeber*innen etwas mehr Zeit – in sieben Minuten wurden die Datensätze noch mal vertiefend präsentiert und Fragen der Hacker*innen beantwortet.

Das Deutsche Museum hatte gleich zwei Datensätze unterm Arm: die Notenrollen für selbstspielende Klaviere sowie „Porträts aus fünf Jahrhunderten“. Schon beim Hackathon 2015 in Berlin waren die Notenrollen (Projektseite: "Deutsches Museum Digital – Notenrollen") der Renner und wurden damals gleich von mehreren Teams kreativ bearbeitet. Eines nutzte die Perforationen der Notenrollen für eine Strickmaschine, um Schals zu stricken. Ein anderes Team kreierte die App „Midiola“, um die Notenrollen in Echtzeit abzutasten und eine digitale Tonsynthese zu erzeugen. Diese App gewann damals den Preis für „Best Design“.

Neu hinzu kamen diesmal rund 7000 Porträts inklusive umfangreicher Metadaten aus dem Verbundprojekt „DigiPortA“ (Projektseite: "Das digitale Porträtarchiv DigiPortA"). Bereitgestellt werden die frei verfügbaren Datensätze (Lizenz CC-BY-SA 4.0) unseres rund 12.500 Porträts umfassenden Bestands aus dem Archiv. Mit dem Chemiker Oscar Loew und seiner Punkfrisur, aufgenommen hundert Jahre vor der Punkbewegung, und der Ballonfahrerin und Pionierin der Lüfte, Sophie Blanchard, konnten wir großes Interesse wecken. In den nächsten sechs Wochen werden sich die Hacker*innen ihre Köpfe über unsere Köpfchen zerbrechen und sich neue, kreative Anwendungen überlegen!

Die zweite Präsentationsrunde vertiefte die Thematik und bot die Möglichkeit für Rückfragen der Hacker*innen.

Teambuilding mit bunten Luftballons

Noch am selben Tag präsentierten die ersten 19 Teams aus Programmierer*innen, Kulturschaffenden, Designer*innen etc. ihre Ideenskizzen. Als gut sichtbares Kennzeichen erhielten die Teams Luftballons unterschiedlicher Farbe und Form, die über den Köpfen der Teilnehmer*innen schwebten. Norbert mit dem goldenen Stern schlug eine Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Tübingen vor, das ganz bewusst den etwas provokanten Titel „Lauter langweilige Sachen“ gewählt hatte. Raisha aus Indonesien, mit violettem Herz, wird sich des fränkischen Wörterbuchs annehmen und suchte hierfür Franken zur Unterstützung.
Auch diesmal weckten die Notenrollen wieder Interesse – ein Programmierer aus Indonesien möchte die Notenrollen visualisieren. Und für die Porträts interessierten sich gleich drei Teams: Die Hacker*innen mit dem grünen runden Ballon widmen sich den Speisekarten der Monacensia, die durch unsere Porträts mit Leben gefüllt werden sollen. Mit Tripadviswurst, so der Arbeitstitel, kann man vielleicht bald die historischen Speisekarten der (ehemals) hippsten Münchner Wirtshäuser ab 1855 erkunden. Eine Idee vom Besitzer des hellrosa Ballons in Kreisform wurde zum Verschenken angeboten: der Abgleich des eigenen Gesichts mit unseren Porträts. Und das Projekt „Femtett“, gekennzeichnet mit dem runden blauen Ballon, möchte das Quartett „Berühmte Frauen“ aus dem Spear-Archiv des Deutschen Spielearchivs Nürnberg durch weitere Viererpaare von Wissenschaftlerinnen, Pilotinnen, Erfinderinnen und Co. aus unserer Sammlung erweitern. Dabei ist zusätzlich eine Verlinkung der Personen zu Wikidata vorgesehen. Wir freuen uns schon auf die spielerische Web-Anwendung mit informativem Charakter und sind gespannt, welche Teams am 18. Mai in der Tafelhalle in Nürnberg zu Siegern gekürt werden!

Ausschnitt aus der Live-Illustration mit dem Bild zum Team „Femtett“, das ein Spiel u.a. mit unseren Porträts erstellen möchte (Illustration: Michael Schrenk, www.liveillustration.de).

Zum "Hackdash – Coding da Vinci Süd" mit den Projektskizzen.

Wissenswertes:

  • Informationen zu Coding da Vinci Süd 2019: https://codingdavinci.de/events/sued/
  • Coding da Vinci – Der Kultur-Hackathon wird von der Kulturstiftung des Bundes gefördert als gemeinsames Projekt der Deutschen Digitalen Bibliothek, des Forschungs- und Kompetenzzentrums Digitalisierung Berlin (digiS), der Open Knowledge Foundation Deutschland und Wikimedia Deutschland.
  • Die Kick-Off-Veranstaltung vom Samstag, 6. April, wurde live übertragen auf Twitch.tv – von anfangs 1000 Zuschauer*innen stieg die Zahl später auf 5000 an! Noch für zwei Wochen stehen die Clips und Videos online unter: twitch.tv/c0dingdav1nc1
  • Zwei unserer Chemiker-Porträts sind prominent platziert im Artikel „Hackerangriff erwünscht“ von Jürgen Moises am 7. April 2019 in der SZ: https://www.sueddeutsche.de/kultur/experiment-hackerangriff-erwuenscht-1.4399464 [letzter Zugriff: 9.4.2019].

Fabienne Huguenin ist Kunsthistorikerin und hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Gattung des Porträts beschäftigt, ob hässlich oder schön, als Fotografie, Druckgrafik oder Gemälde, im analogen und digitalen Raum. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Deutsches Museum Digital.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum:
Der Ingenieur Wilhelm Bauer (1822–1875) setzte für seine Tauchexperimente neben „unterseeischen Kameelen“ – das waren mit Luft gefüllte Ballons zum Heben von Lasten unter Wasser – auch behäbig wirkende Helmtauchausrüstungen ein. Eine Fotografie auf der Startseite von DigiPortA ("Das digitale Porträtarchiv DigiPortA") zeigt den kaiserlichen Submarine-Ingenieur vermutlich 1863 anlässlich der Hebung des im Bodensee gesunkenen Dampfers „Ludwig“ neben einem Taucher, der eine solche Montur trägt. In unserer Abteilung Meeresforschung sind solche Ausrüstungen ausgestellt und führen uns den Mut vor Augen, den die damaligen Träger aufbrachten.

Autor/in

Fabienne Huguenin

Fabienne Huguenin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Projekt DigiPortA. Portätmalerei ist einer der Forschungsschwerpunkte der Kunsthistorikerin. Das Thema ihrer Promotion lautet "Hässlichkeit im Portrait – Eine Paradoxie der Renaissancemalerei".

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: In der Abteilung Meeresforschung fasziniert das minutiös gearbeitete Diorama eines Labors auf dem Forschungsschiff „Challenger“ (Expedition 1872–1876). Gleich daneben sind zum Teil behäbig wirkende Helmtaucherausrüstungen und Panzertauchanzüge zu sehen, die an frühere Tauchexperimente erinnern, wie sie auch der Ingenieur Wilhelm Bauer (1822–1875) durchführte: Eine Fotografie auf der Startseite von DigiPortA zeigt den kaiserlichen Submarine-Ingenieur vermutlich im Jahr 1863 anlässlich der Hebung des im Bodensee gesunkenen Dampfers „Ludwig“.