Es ist anzunehmen, dass die Sonnenuhr nicht neben Millers Schreibtisch stand, auch wenn sie der erste verzeichnete Objekteingang war. Ältere Objekte, die nicht als „Meisterwerke“ erachtet werden, hatten gemäß Millers „Museums-Programm“ im Bericht über die erste Ausschusssitzung [...][2] im Jahr 1904 die Funktion von „Zwischengliedern“: „Außer den Originalen und Nachbildungen der deutschen und ausländischen Hauptmeisterwerke, die gleichsam das Fundament oder den Beginn ganzer Entwicklungsreihen darstellen, und die im Museum auch besonders hervorgehoben werden sollen, müssen aber auch die einzelnen Zwischenglieder in unserem Museum vertreten sein, wenn die Entwicklung der Naturwissenschaft und der Technik, die von einer wichtigen Stufe zur andern nicht sprungweise, sondern nur allmählich erfolgte, gründlich dargestellt werden soll. […] Durch diese zwischen den epochemachenden Meisterwerken stehenden Entwicklungsstufen wird der mühsame Weg gekennzeichnet, welcher zur Erringung des heutigen hohen Standes der Wissenschaft und Technik zu durchlaufen war.“ Wichtig ist Miller außer der Illustrierung eines teleologischen Narrativs aber auch die populäre Vermittlung von Technik: das „Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik“ soll „nicht allein für Gelehrte und Ingenieure“ als „eine Stätte der Anregung und Belehrung“ fungieren – bis heute ein wichtiges Credo. Die Auswahl der zukünftigen Objektbestände erfolgt systematisch anhand von Listen, die die „maßgebendsten Autoritäten“ verschiedener Fachgebiete nach Relevanz erstellen.
Für die Besucher werden im November 1906 Räume im Alten Nationalmuseum an der Maximilianstraße (heute: Museum Fünf Kontinente) eröffnet, wo das Museum seine Objekte in ersten Ausstellungen provisorisch zeigen kann. Es ist denkbar, dass die Uhr gemäß der Einteilung der Sammlungen in 36 Gruppen in diesen „Provisorischen Sammlungen“ (vgl. den Bericht über die erste Ausschusssitzung […] von 1904) dann im ersten Stock in der Ausstellung „Astronomie“ gezeigt wird.
Bis es endlich soweit ist, fristet der erste verzeichnete Objekteingang des Deutschen Museums ein bisher unbekanntes Dasein und steht vielleicht ganz profan in einer Vitrine oder einem Schrank, bis die gesammelten Objekte ab 1905 im Alten Nationalmuseum aufgestellt werden. Heute wird das digitale Abbild der Inv.-Nr. 2200 mit weiteren Angaben in unserem Portal Deutsches Museum Digital präsentiert. Vergleichbare würfelförmige Tischsonnenuhren von Beringer und Seyfried können online als Digitalisate studiert werden, zum Beispiel in der digitalen Sammlung des Museum of the History of Science in Oxford und des Museo Galileo in Florenz. Von Beringer besitzt das Deutsche Museum auch eine hölzerne Klappsonnenuhr mit aufgeleimten Papierskalen (Inv.-Nr. 22941).
Die Digitalisierung musealer Objektbestände ist eine Chance, sich solche auf den ersten Blick eher unscheinbaren Objekte mit heutigen technischen Möglichkeiten genauer anzusehen, sie mit anderen Objekten zu vergleichen und ihre Herstellungsgeschichte nicht zuletzt mit der Gründungsgeschichte von Museen zu verknüpfen. Denn in einer Welt voller Dinge konnten und können Museen niemals alles sammeln. Es lohnt sich in jedem Fall, darüber nachzudenken, warum welche Dinge in Museen gezeigt und aufbewahrt werden, um das kulturelle Erbe Europas in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen und sich den außereuropäischen Kulturen anzunähern.