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Kürzlich ist ein neuer Bestandskatalog des Deutschen Museums erschienen: „Porträtgemälde zwischen Wissenschaft und Technik. Die Sammlung des Deutschen Museums“. Das Thema erscheint für ein Technikmuseum auf den ersten Blick ungewöhnlich.

Fünf Fragen an Fabienne Huguenin, die Autorin des Buches.

(Annette Lein, AL) In einem Technikmuseum erwartet man nicht unbedingt Porträtgemälde. Wie kam das Deutsche Museums zu diesem außergewöhnlichen Bestand?

(Fabienne Huguenin, FH) Auch wenn das erstmal erstaunlich klingen mag: Porträts galten bereits zur Zeit der Museumsgründung als bedeutende Sammlungsobjekte. Schon in der ersten Sitzung des Ausschusses im Jahr 1904 diskutierte man über die ersten darzustellenden Persönlichkeiten, insbesondere für Gemälde, die dann in Auftrag gegeben wurden. In der Folge wurden Porträts aller Gattungen gesammelt – neben den Gemälden auch Druckgrafiken, Zeichnungen und Fotografien, zudem Büsten aus Marmor, Bronze oder sogar Aluminium. Der Bestand wuchs sehr rasch, von 120 Bildnissen im Jahr 1905 auf bereits 3500 im Jahr 1920. Die Porträts stellen Persönlichkeiten der Naturwissenschaft und Technik dar, Wissenschaftler, Techniker, Ingenieure und Industrielle. Auch Werke der Münchner Malerfürsten Franz von Lenbach und Franz von Stuck sind darunter.

AL: Wenn die Porträts für das Museum so große Bedeutung hatten, wieso waren sie lange Zeit kaum bekannt?

FH: Während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Porträtgemälde im Museum ausgestellt waren, änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Haltung und damit auch die Ausstellungspraxis. Zuvor wurden die Porträts in die Ausstellungen integriert, z.B. hing das Porträtgemälde von Friedrich Koenig in der Nähe seiner Erfindung, der ersten Schnellpresse; die Pioniere der Fernmeldetechnik waren in zwölf Gemälden oberhalb der Vitrinen mit Objekte der Telegrafie und Telefonie platziert. Es gab den großen Ehrensaal, einen Bildersaal, kleinere Ehrensäle und zahlreiche Bildnisse in den Ausstellungen. Mit der Satzungsänderung vom 7. Mai 1948 jedoch wurde jedoch beschlossen, Porträtgemälde nur noch im Ehrensaal zu zeigen. Platzmangel war wohl einer der Gründe für diese Änderung, der Verzicht auf Heldenverehrung ein anderer. Und es gab einen Paradigmenwechsel – die Ausstellungen wurden nun viel puristischer konzipiert. Zuvor herrschte schon ein rechter horror vacui, kaum eine Wand oder ein Stück des Raumes waren freigelassen. Das änderte sich damals.

AL: Wo sind die Porträtgemälde heute zu sehen?

FH: Wer genau hinsieht, wird noch einige Porträtgemälde im Museum entdecken: Die fünf großformatigen Gemälde sind im Ehrensaal zwischen den Büsten verblieben. Tritt man aus dem Ehrensaal auf die große Treppe zu, sieht man das Triptychon der Grundsteinlegung des Deutschen Museums von Georg Waltenberger mit zahlreichen Persönlichkeiten, die bei dem feierlichen Akt zugegen waren. Das Gruppenbild „Tausend Meter über München“ von Theodor Pixis aus dem Jahr 1890 hängt in der Abteilung „Historische Luftfahrt“ im ersten Stock des Sammlungsbaus. In der Bibliothek ist normalerweise eine Porträtreihe zu sehen, die jedoch für einige Zeit wegen Restaurierungsarbeiten an den Fenstern entfernt wurde. Im Vorraum der Bibliothek kann man Oskar von Miller, den Museumsgründer sehen, im Rara-Raum drei Bildnisse von Mary von Stuck. Die anderen Porträtgemälde werden in den Depots verwahrt.

AL: Wie sind Sie bei Ihrer Recherche vorgegangen?

FH: Es ging zunächst darum, alle Gemälde aufzufinden, sie neu zu vermessen, zu begutachten, gegebenenfalls reinigen oder restaurieren zu lassen, neue Aufnahmen anzufertigen. Erst nach diesen Vorarbeiten folgte die eigentliche Arbeit, nämlich die Rekonstruktion der Bildgeschichte und die kunsthistorische Einordnung. Hierfür waren Recherchen in den Verwaltungsakten notwendig sowie Bildvergleiche, die Suche in alten Auktionskatalogen und Werkverzeichnissen, die Nachfragen in anderen Museen... Dabei gab es durchaus Überraschungen. Sehr erstaunt war ich beispielsweise, als ich feststellen musste, dass das Gemälde von Georg von Reichenbach aus dem Jahr 1909 einst sehr viel größer gewesen war. Es fehlten die Beine des Dargestellten! Auf einer früheren Aufnahme ist Reichenbach auf dem Gemälde noch als Ganzfigur abgebildet. Man hat die Leinwand nach dem Zweiten Weltkrieg 1954/55 kurzerhand beschnitten und die vom unteren Leinwandstück verbliebene Künstlersignatur auf der Rückseite angebracht. Das Gemälde sollte nicht mehr im Ehrensaal angebracht werden – Reichenbachs Erfindung, eine Dampfmaschine, galt als zu speziell. Denn im Ehrensaal sollten nach dem Krieg nur noch Forscher und Erfinder die von allgemeiner Bedeutung gezeigt werden.

AL: Es gibt natürlich noch viel mehr zu erfahren über die Porträtgemälde und deren Hintergründen, auch zu den Biografien der Dargestellten und der Künstler. Gibt es zum Schluss einen Tipp für die LeserInnen?

FH: Die Porträtgemälde sind in chronologischer Reihenfolge nach ihrem jeweiligen Zugangsjahr ins Museum aufgelistet, beginnend mit dem ersten Gemälde von Joseph von Fraunhofer, das 1905 fertiggestellt war. So wird die Entwicklung des Hauses und seiner Sammlungsstrategien anschaulich und gut nachvollziehbar. In der Wahl der Dargestellten beispielsweise spiegelt sich das Geschichtsbild der Museumgründer. Leider kommen Frauen unter den Dargestellten hauptsächlich als Ehefrauen vor, das ist natürlich dem für Frauen damals erschwerten Zugang zu Bildung geschuldet. Doch kann man in dem Buch beispielsweise Werke der Malerinnen Ottilie Wilhelmine Roederstein, Gertrud Florian oder Paula Geiger von Blanckenburg entdecken. Aber am besten nimmt man den mit 267 Abbildungen reich illustrierten Katalog zur Hand und stöbert durch die Biografien von Dargestellten und KünstlerInnen, erfährt etwas zur Bildgenese und erhält neue Einblicke in die Museumsgeschichte. Viel Spaß dabei! Vielen Dank für das Gespräch!

Die Portätsammlung im Überblick:

  • Die Sammlung umfasst 148 Portätgemälde.
  • Die Gemälde wurden teils vom Deutschen Museum in Auftrag gegeben, teils erworben oder kamen über Nachlässe ans Haus.
  • In der Sammlung befinden sich das Porträt des Physikers Leo Graetz von Franz von Stuck oder die beiden Bildnisse des Physikers und Physiologen Hermann von Helmholtz, die Franz von Lenbach gemalt hat.
  • Verwendete Materialien: Öl, Acryl aber auch Enkaustik (Wachmalerei) und Aquarell auf Papier.
  • Größtenteils befinden sich die Werke heute im Depot, ein kleiner Teil ist noch ausgestellt.
  • Im früheren Projekt „DigiPortA“ wurden bereits rund 12.000 Porträts der Gattungen Fotografie, Druckgrafik und Zeichnung, die im Archiv aufbewahrt werden, wissenschaftlich bearbeitet und online gestellt (www.digiporta.net). Zu Erfindern, Ballonfahrerinnen, Astronomen und anderen Dargestellten erfahren Sie mehr unter: https://blog.deutsches-museum.de/2016/04/08/das-digitale-portraetarchiv-digiporta

Autor/in

Fabienne Huguenin

Fabienne Huguenin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Projekt DigiPortA. Portätmalerei ist einer der Forschungsschwerpunkte der Kunsthistorikerin. Das Thema ihrer Promotion lautet "Hässlichkeit im Portrait – Eine Paradoxie der Renaissancemalerei".

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: In der Abteilung Meeresforschung fasziniert das minutiös gearbeitete Diorama eines Labors auf dem Forschungsschiff „Challenger“ (Expedition 1872–1876). Gleich daneben sind zum Teil behäbig wirkende Helmtaucherausrüstungen und Panzertauchanzüge zu sehen, die an frühere Tauchexperimente erinnern, wie sie auch der Ingenieur Wilhelm Bauer (1822–1875) durchführte: Eine Fotografie auf der Startseite von DigiPortA zeigt den kaiserlichen Submarine-Ingenieur vermutlich im Jahr 1863 anlässlich der Hebung des im Bodensee gesunkenen Dampfers „Ludwig“.

Annette Lein

Annette Lein leitet die Internetredaktion. Gemeinsam mit ihrem Team ist sie für die Webseite und die Deutsches Museum App verantwortlich. Im Blog erzählt sie gerne von den Geschichten und Persönlichkeiten rund um das Deutsche Museum.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Die Ausstellung Bild Schrift Codes lädt ein, sich mit dem Thema Kommunikation zu beschäftigen und dabei Rätsel zu entschlüsseln, Schrifttypen kennenzulernen oder am Bücherregal zu schmökern.