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Der Begriff „die Segel streichen“ stammt aus der Zeit, als die Kriegsschiffe der Welt noch unter Segel fuhren. Wenn der Kapitän eines Kriegsschiffes damals in einem Gefecht seine Niederlage einsah und aufgab, ließ er seine Segel bergen; der Seemann sagte, das Schiff würde seine Segel „streichen“.  Denn ohne Segel, das ist klar, ist jedes Segelschiff manövrierunfähig – und war deshalb in einem Seegefecht eine leichte Beute. „Die Segel streichen“ das heißt: „ich gebe auf.“ Vor diesem Hintergrund mag es fachlich nicht ganz korrekt zu schreiben, dass unser Ewer, "die Maria", am Donnerstag, den 21. Oktober 2016 die Segel strich. Denn wenn auch die Segel geborgen sind: aufgegeben wird die Maria nicht.

Wer unser Museum kennt, kennt die Maria. Sie steht prominent und zentral ganz vorne in der Schifffahrtsabteilung, direkt vis-à-vis des Haupteinganges. Die Maria ist das erste Exponat überhaupt, welches unsere Museumsbesucherinnen und –Besucher sehen, wenn sie beim Einchecken geradeaus in die Schifffahrtsabteilung blicken. Und so soll es auch in Zukunft bleiben. Dass wir das Großsegel und das Besansegel sowie das Großtoppsegel und das Besantoppsegel geborgen haben, ist der Sicherheit des Schiffes und der Sicherheit der Museumsbesucherinnen und -besucher  geschuldet.

Gesetzt wurden die Segel in der Mitte der 1980er Jahre. Damals hatte es in der Schifffahrtsausstellung gebrannt. Gott sei Dank waren die Flammen rasch entdeckt worden, sodass der Schaden begrenzt blieb. Nach einer Reinigung konnten die Segel der Maria wieder gesetzt werden – und wurden seitdem nicht mehr geborgen.  Mehr als dreißig Jahre ununterbrochen unter Segeln ist  durchaus eine stramme Leistung; auch für ein Museumschiff.

Impressionen: Um die Fallen der Segel zu entlasten werden die Segel geborgen.

Nicht, dass wir der Segel wegen bekümmert waren. Vielmehr galt die Sorgen dem Tauwerk, mit welchem die Segel hochgezogen wurden - die sogenannten Fallen.  Denn diese Fallen bestehen, stilrichtig für ein Schiff wie die Maria, aus Naturfasermaterial. Und dieses ermüdet bekanntlich im Laufe der Jahre; weshalb es nun  an der Zeit war, die Segel der Maria zu bergen. Denn die vier Segel – Großsegel, Besansegel, Großtoppsegel und Besantoppsegel – sind viereckig geschnitten. Die oberen Kanten dieser Segel sind an Rundhölzer gebändselt. Beim Groß- und Besansegel nennt der Seemann diese Rundhölzer Gaffel – Großsegelgaffel und Besansegelgaffel. Diese Gaffeln sind ein paar Meter lang und werden aus kleinen Baumstämmen gehobelt; weshalb sie einiges an Gewicht mitbringen. An diese Gaffeln werden die oberen Kanten von Groß- und Besansegel gebändselt. Und auch die beiden Toppsegel sind an Rundhölzern befestigt. Diese nennt der Seemann Spieren - Großtoppsegelspiere und Besantoppsegelspiere. An den Fallen der Segel – Großsegelfall und Besansegelfall sowie Großtoppsegelfall und Besantoppsegelfall - hängt deshalb also nicht nur das Eigengewicht der jeweiligen Segel, sondern auch jenes der Gaffeln bzw. Spieren.
Nach so vielen Jahren war es nun an der Zeit, die Fallen der Segel zu entlasten – weshalb wir die Segel bargen. Groß- und Besansegel sind nun, stilrichtig, unter ihre Gaffeln gebändselt – aufgetucht würde der Seemann es nennen. Die Toppsegel sind abgeschlagen  - also ganz losgemacht. Sie liegen derzeit an Deck. In den kommenden Wochen bergen wir dann auch noch die beiden Vorsegel; Klüver und Stagfock. Wenn auch diese Segel „unten“ sind, dann sieht die Maria so aus wie damals, als sie an der Pier des Fischmarkts in Hamburg-Altona anlegte, um ihren Fang lebend frisch zu verkaufen. War die Maria bis Dienstagmorgen quasi noch „auf See“, so liegt sie dann bis zur anstehenden Schließung der Schifffahrtsabteilung wie „im sicheren Hafen“ – mit geborgenen Segeln.

Wenn in Zukunft, in der zweiten Phase unserer Zukunftsinitiative, die Schifffahrts-
abteilung neugestaltet wieder eröffnet wird – darauf dürfen wir uns jetzt schon freuen - werden auch die Segel der Maria wieder gesetzt werden. Dann „segelt“ sie wieder in unserer Ausstellung - unsere Maria. Und wird weiterhin alle Besucherinnen und Besucher unseres Museums begrüßen – damals wie heute.

Autor/in

Jörn Bohlmann

Dr. Jörn Bohlmann ist gelernter Segelmacher und Holzbootsbauer, fuhr mehre Jahre zur See und arbeitete viele Jahre in verschiedenen Werften und Museen sowohl als Restaurierungshandwerker sowie als wissenschaftlicher Angestellter. Er ist Kurator für Schifffahrt und Meerestechnik am Deutschen Museum.