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Die Vision: Der größte Gezeitenrechner der Welt soll Teil der neuen Informatik-Ausstellung werden. Das Problem: Die Informatik befindet sich im 2. Stock der Museumsbaustelle und der Rechner ist viel zu lang für die Lastenaufzüge – und zu schwer für die Böden ist er auch. Der Plan: Ein riesiger Kran muss her – und Stützen sichern den Boden im historischen Gebäude. Wenn das mal gut geht!

Eine Vision und viele rauchende Köpfe

Zugegeben, eine Großbaustelle ist kein guter Ort für ein historisches Exponat. Dort gibt es Staub, Feuchtigkeit, große Maschinen und überhaupt steht es sämtlichen Bauarbeiten über Jahre nur im Weg herum!
Aber was soll man tun, wenn ein Exponat einfach viel zu schwer und zu lang ist, um es erst nach Ende der Baustellenphase noch ins Gebäude zurückzubringen? Wir standen vor der schwierigen Entscheidung, entweder aufzugeben und das Objekt für die nächsten hundert Jahre (oder länger) im Depot zu lassen. Oder – und hier kommen die rauchenden Köpfe ins Spiel – wir suchen gemeinsam eine kluge Lösung, wie der Rechner als allererstes Exponat einer neuen Informatik-Ausstellung ins 2. Obergeschoss der Museumsbaustelle gebracht werden könnte. 

Was meinen Sie?Wie haben wir uns wohl entschieden?

Zu groß um wahr zu sein

Wir sprechen von der größten Gezeitenrechenmaschine der Welt. Mit 8 Metern Länge und 11 Tonnen Gewicht handelt es sich um einen wahren Koloss. Der riesengroße Analogrechner zur Berechnung von Ebbe und Flut wurde vom Reichskriegsministeriums im Jahr 1935 in Auftrag gegeben und 1938 kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs fertig gestellt. Er verdeutlicht eine längst vergangene Epoche der Informatik-Geschichte. In Zeiten ohne Universalcomputer mussten riesenhafte elektro-mechanische Geräte gebaut werden, um so präzise und zuverlässig wie möglich spezielle Analysen zu berechnen. Und die Gezeiten des Meeres zählen zu den kompliziertesten Phänomenen der Geophysik. Der Astronom und Gezeitenforscher Dr. Heinrich Rauschelbach hatte daher nicht weniger als 62 Tidengetriebe in seinen Analogrechner verbaut, damit der Rechner sowohl die allgemeinen astronomischen Tiden als auch ortsabhängige Gezeitenkonstanten berücksichtigen konnte. 

Gründliche Vorbereitungen

Da also der Gezeitenrechner für die Lastenaufzüge einfach viel zu lang war, konnte er nur durch eine sehr große Fensteröffnung am Gebäude eingeflogen werden. Die beste Fensteröffnung für dieses Unterfangen befand sich allerdings in einem Innenhof des Museums – was bedeutete, dass wir einen wirklich sehr großen, acht-achsigen Autokran benötigten. Der Kran wurde einen ganzen Tag lang aufgebaut. Um ihn aufzubauen (und auch am Abend danach wieder abzubauen), war ein weiterer Kran nötig. 

Der Boden der Baustelle wurde mit Stahlplatten ausgelegt, damit der schwere Rechner so glatt wie möglich über die entkernten Flächen rollen konnte, und damit sein Gewicht auf mehr Fläche verteilt wurde. Damit eine wirklich ebene Fläche entstand, wurden die Stahlplatten an mehreren Stellen mit Sand unterfüttert. 

Außerdem musste ein Teil der Decke des ersten Obergeschosses mit Stützen verstärkt werden, damit der Rechner dort entlang rollen konnte bis zu seinem Ausstellungsort. Dies war nur möglich, solange die Baustelle in diesem Stockwerk noch keine Einbauten begonnen hatte. Daher war das Zeitfenster, den Koloss ins Museum zu transportieren, auf November 2025 eingegrenzt.

Der große Tag

Man muss einfach sagen, dass wir sehr viel Glück mit dem Wetter hatten. Wenige Tage vorher hatte es geschneit, am Tag des Kran-Aufbaus sogar durchgeregnet. Das wäre um ein Vielfaches schwieriger geworden, das Exponat für die Flugphase zu schützen. Aber am großen Tag des Rechnerflugs zeigte sich München von seiner schönsten Seite.

Früh morgens stand der Kran samt Plattform bereit und das schwere Mittelstück des Rechners wurde mit einem LKW ans Museum gebracht, von oben aus dem LKW herausgehoben und auf die Plattform gestellt und befestigt.

Die Flugphase verlief problemlos und insbesondere den Personen, die auf dem hohen Museumsturm standen, gelangen spektakuläre Fotos. Der Kranfahrer navigierte mithilfe eines Funkeinweisers die Plattform zuerst über die Terrasse östlich der Frau im Mond, dann über den Gebäudeteil, in dem sich heute die Raumfahrt befindet und weiter ging es in den Innenhof zu einer hohen Fensteröffnung, die in wenigen Wochen in ein neues Treppenhaus verwandelt wird.

Dort angekommen, wurde die Plattform vorsichtig an das Gebäude angedockt und verzurrt.

Dann folgten sehr spannende Momente, als das Mittelstück des Rechners von der Plattform ins Innere des Gebäudes rollte. Von dort wurde es unter der Leitung eines externen Restaurierungsbüros an seinen neuen Platz gefahren. Um es auf seine Seitenteile zu setzen, die extra durch das Sammlungsmanagement transportiert worden waren, war jedes Heben, jedes Bewegen des Rechners eine sehr kleinteilige, vorsichtige Arbeit. Gewissermaßen wurde der riesenhafte Rechner in Millimeterarbeit zusammengesetzt und auf Sockel gestellt, die vorher extra für ihn gegossen worden waren. In der Zukunft werden diese Sockel Teil der neuen Ausstellung Informatik sein.

Ein Exponat im Winterschlaf

Für die verbleibende Baustellenphase wurde der Gezeitenrechner schließlich professionell eingehaust, um ihn staubfrei und trocken zu halten. In der Einhausung ist eine Klimaüberwachung mit Entfeuchter installiert, und durch ein Sichtfenster kann regelmäßig kontrolliert werden, wie das Innere der Einhausung aussieht.

Vielen Dank

Für die gesamte Planung spielte die Expertise aus vielen Bereichen des Deutschen Museums eng zusammen, insbesondere die des Sammlungsmanagements, den Expertinnen und Experten des Moderniserungsprojekts “Zukunftsinitiative” und des Bereichs Ausstellungstechnik. Gemeinsam wurden wir unterstützt durch ein externes Statik-, ein Restaurierungsbüro, sowie durch die akm Kranvermietung. Vielen Dank an Euch und an Sie alle!

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Autor/in

Carola Dahlke.

Carola Dahlke

Carola Dahlke ist Kuratorin für Informatik und Kryptologie. Zuvor war die promovierte Geowissenschaftlerin viele Jahre in der Umwelt- und Klimaforschung tätig. 

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Unbedingt einen Blick in die Ausstellung Bild Schrift Codes werfen und in die Geschichte und Geschichten der Kryptologie eintauchen. Aber vorsicht – es könnte knackige Rätsel zu lösen geben!

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