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Andreas Manseck leitet die Urologische Klinik am Klinikum Ingolstadt. Er zählt zu den ersten Ärzten, die den OP-Roboter da Vinci in Deutschland etabliert und konsequent weiterentwickelt haben. Mit Frank Dittmann und Rudolf Seising sprach er über die Kunst, mit Maschinen besser zu operieren.

Rudolf Seising/Frank Dittmann (RS/FD): Herr Professor Manseck, Sie hatten uns erzählt, dass Sie auf Ihrem beruflichen Weg einige Hürden überwinden mussten … 

Andreas Manseck (AM): Das ist richtig. Ich hatte mich während meinem Studium auf die Neurologie spezialisiert. Aber für diese Facharztausbildung ist es nicht verkehrt, erst einmal in die Innere Medizin zu gehen. Und da habe ich schlichtweg keinen Platz bekommen: Es gab damals viel zu viele Bewerber und zu wenig Stellen. Also landete ich – eher zufällig – in der Chirurgie. Nach einem Jahr wechselte ich in die Urologie und spezialisierte mich schließlich auf die operative Urologie. Diese Arbeit hat mir von Anfang an großen Spaß gemacht, weil sie so vielseitig ist: Neben offenen und laparoskopischen Operationen sowie endoskopischen Verfahren zählen auch minimalinvasive, bildgestützte Eingriffe – wie sie etwa in der interventionellen Radiologie zum Einsatz kommen – zu den operativen Therapieformen. Das ist herausfordernd und man kann dort viel Gutes tun. In der Urologie kommt dann auch noch sehr viel konservative Medizin dazu. Wir begleiten die Patienten vom Beginn der Diagnosestellung an bis zum Ende der Erkrankung manchmal über Jahrzehnte hinweg. 

Kultur und Technik

RS/FD: Erinnern Sie sich noch daran, wie die Computertechnik in Ihr Fachgebiet eingezogen ist? 

AM: Ja, das erinnere ich noch gut: Meine erste Ausbildung habe ich in einer Würzburger Klinik absolviert. Dort war die klassische offene Chirurgie angesagt. Kurz nach der Wende bin ich mit meinem damaligen Vorgesetzten und späteren Chef nach Dresden gegangen. Dort gab es vielfältige Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Mein damaliger Chef war sehr offen für alles Neue und hat das – durchaus auch kritisch – aufgesogen. Neue Entwicklungen wurden nicht einfach übernommen, sondern evaluiert und geprüft, ob sie den gewünschten Benefit für den Patienten bringen. Der Bedarf war groß, so dass sich die Klinik unglaublich schnell entwickelt hat. Wir hatten einen jährlichen Patientenzuwachs von 15 bis 20 Prozent. Begonnen hatten wir dort im Wesentlichen mit der offenen operativen Technik. Das war die Zeit, als auch die Laparoskopie auf den Markt kam. Wir begannen mit den ersten laparoskopischen Eingriffen in der Urologie. Von der Laparoskopie führte dann der Weg zur Robotik. 

RS/FD: Der Weg verlief also über die Computerisierung, die in dieser Zeit wahrscheinlich zunächst mit den neuen Möglichkeiten der Bildinformation einherging? 

AM: Wir haben in der Urologie viele Verfahren, die optisch orientiert sind. Das sind die Laparoskopie aber auch die Endo-Urologie. In der Endo-Urologie konnten wir damals einmal ein Kopfsystem mit einer Brille testen, die aus zwei kleinen Röhrenmonitoren bestand. Mit diesem „Head-Moun-ted-Display“ konnte man räumlich sehen. Ich erinnere noch gut, wie wir bei einer Nierenstein- Operation, bei der der Zugang mit einem fingerdicken Instrument durch die Haut (perkutan) erfolgte, plötzlich den Stein in der Niere dreidimensional sehen konnten. Das war unglaublich: eine ganz neue Welt! Aber dieses erste Gerät war enorm teuer und es war klar, dass sich das nicht jeder leisten kann. Wir dachten deshalb darüber nach, wie sich die Doppeloptik in einem System kombinieren ließe. Eine Stablinsenoptik rechts und eine weitere auf der linken Seite mit einem Abstand von ein paar Millimetern müsste ausreichen, um räumlich sehen zu können. 

RS/FD: Man spürt noch, wie begeistert Sie damals waren. Aber wir vermuten, dass nicht alle Kollegen derart technikaffin waren. Haben Sie da alleine weiter getüftelt oder gab es eine Gruppe in der Klinik, die sich mit diesem Thema beschäftigt hat? 

AM: Naja, das war bei uns genauso, wie überall sonst: Neben den Neugierigen und Begeisterten gibt es auch jene, die sagen „das Zeug brauchen wir nicht.“ Aber mein damaliger Chef hat die Weiterentwicklung ermöglicht und er hatte auch die notwendigen Kontakte. Das „Head-Mounted- Display“ war eigentlich nur eine Erweiterung dessen, was vorher schon da war. Das heißt, vorher haben wir auf einen Monitor geschaut: Der Operateur operiert und guckt zugleich auf den Monitor. Das ist ein großer Nachteil bei endoskopischen Verfahren. Mit dem Head-Mounted- Display konnte ich nun auf meinen Patienten schauen, dort arbeiten, quasi in den Patienten hineinschauen. Ich habe das als einen großen Vorteil empfunden. Heute haben wir Monitore an der Decke. Die werden so platziert, dass ich zum Patienten hinschaue und oben den Monitor sehe. Das gab es damals alles noch nicht. 

RS/FD: Wie kam es dann zur Idee einer robotergestützten Operation? 

AM: Da muss ich noch einmal einen Schritt zurückgehen: Zum einen hatten wir dieses Head-Mounted- Display getestet, daneben haben wir sehr stark in die Weiterentwicklung der Laparoskopie investiert. Und da haben sich sehr bald Grenzen gezeigt: Das Problem ist die Kameraführung bei der Laparoskopie. Scherzhaft sage ich immer: Der schlimmste Feind des Laparoskopikers ist der Assistent mit Parkinson. Denn wenn jemand die Kamera führt und nur ein klein wenig wackelt, dann funktioniert die Bildgebung nicht mehr. Der Operateur ist also immer auf einen guten Kameramann angewiesen, der das zeigt, was der Operateur sehen will und nicht das, was er selber sehen will. Das ist leider nicht immer deckungsgleich. Auch muss die Kamera so geführt werden, dass Abstand und Winkel korrekt sind und man wirklich alles sehen kann. Aber es gab noch weitere Geräte, die man uns damals zum Testen zur Verfügung gestellt hat: Zum Beispiel eine Art einarmiger Roboter, der Aesop. Ein Gerät, das wir an den OP-Tisch angeschlossen haben und mit dessen Hilfe ein Instrument geführt werden konnte. Das funktionierte mechanisch und hat nicht so gewackelt. Über eine Handschaltung konnte der Operateur die Kamera zurück, vor, hoch, runter, rechts und links manövrieren. Einen Assistenten brauchte es trotzdem. Denn es gibt oft Eingriffe, bei denen ich drei oder mehr Zugänge benötige. Der Operateur kann zwei Instrumente führen und der Assistent die anderen beiden Systeme. 

RS/FD: Diese Steuerungsmöglichkeit in Kombination mit dem Head- Mounted-Display wies ihnen den Weg zum OP-Roboter? 

AM: Die medizinische Robotik ist zunächst im klinischen Einsatz für die Herzchirurgie entwickelt worden. Aber die Herzchirurgen konnten mit dem System nicht richtig umgehen. Also wurden andere Anwendungsmöglichkeiten für einen OP-Roboter gesucht Und hier kam wieder die Laparoskopie ins Spiel: In Deutschland hatten wir in der Urologie für alle Bereiche Allrounder. In den USA gab es nur Spezialisten. Dort gibt es das Department-System: In einer urologischen Klinik habe ich ein Stein-Department, einen Prostata-Operateur, einen Nieren-Operateur, einen Künstliche Intelligenz und Robotik für Andrologie und so weiter. Dieses Spezialistentum führt dazu, dass die Breite der Möglichkeiten fehlt. Bei den Prostata-Operationen gab es in den USA Operateure, die extrem gut in der offenen Chirurgie waren. In Deutschland hatten wir die offenen Operateure und dann kamen die laparoskopischen Operateure hinzu. Und die haben dann plötzlich auch Prostata-Operationen gemacht. In Dresden hatten wir damals eine kurze Phase, während der wir auch radikale Prostata-Operationen mit dem Laparoskop gemacht haben. Aber die Qualität war nicht ausreichend und obwohl es einige Spezialisten gab, hat sich die Laparoskopie bei Prostatakrebsoperationen zunächst nicht durchgesetzt. Erst der Roboter verbindet die Vorteile der offenen Chirurgie, nämlich die Präzision, mit den Vorteilen der Laparoskopie, also weniger Blutung, kleinere Schnitte. 

RS/FD: Bis Sie mit Da Vinci operieren konnten, dauerte es aber noch? 

AM: Ich bin 2004 als Chefarzt nach Ingolstadt gegangen, aber da gab es keinen Schwerpunkt auf Prostatakarzinome. Die Patienten wurden nach München verwiesen. Wir haben die operative Klinik aufgebaut und dann auch ein Prostata-Programm begonnen. Das lief zunächst eher schleppend und ich habe überlegt, wie ich meine Klinik weiterentwickeln kann. In den USA konnte ich mir ein robotergestütztes System anschauen. Dort hatte man seit etwa 2000 mit Robotern in der Chirurgie begonnen. Während in Deutschland noch die Laparoskopie Standard war, wollten sich in den USA immer mehr Patienten mit dem Roboter operieren lassen. Das war eine unglaubliche Technikeuphorie: ein absoluter Game Changer. Wenig später begann der Siegeszug dieser Technik in Deutschland zunächst in der Urologie. Alle anderen Fachrichtungen, die mittlerweile auch auf den Zug aufgesprungen sind, waren anfangs noch sehr zurückhaltend. 

RS/FD: Also ist die Urologie wirklich der Motor gewesen? 

AM: Ja, denn die Vorstellung war, dass der Roboter genauso wie die offene Chirurgie sehr präzise um die Ecke und überall hin operieren kann. Die Urologie, speziell die Prostatachirurgie war da genau das richtige Einsatzgebiet. Man kann sagen, die offene Chirurgie hat die Laparoskopie und die Laparoskopie die Robotik beeinflusst. Das heißt, die drei Konkurrenzverfahren haben sich gegenseitig unglaublich befruchtet. Und alle Verfahren sind dadurch besser geworden. 

„Alleine macht der Roboter gar nichts! Da ist immer der Operateur, der die Verantwortung hat.“
Andreas Manseck, Leiter der Urologischen Klinik am Klinikum Ingolstadt

RS/FD: Sie kamen also aus Amerika zurück und waren überzeugt von der Verbesserung, die möglich wäre. Mussten Sie lange Überzeugungsarbeit leisten, bis Sie den Roboter kaufen konnten? 

AM: Oh ja! Das war eine Berg- und Talfahrt. Aber eine sehr spannende Zeit. Ich bin zur Klinikleitung gegangen und habe Überzeugungsarbeit geleistet. Und am Ende hatte ich einfach Glück! Die damalige Geschäftsführung hat gesehen, dass sich die Patientenzahlen günstig entwickeln, dass ich Vorhaben auch umsetzen kann. Das Haus hat damals auch ein Leuchtturmprojekt gesucht. Das Hauptproblem war die Finanzierung im laufenden Betrieb. Trotzdem hat es geklappt. Es sind viele Faktoren zusammengekommen. 

RS/FD: Braucht man da überhaupt noch einen Operateur? 

AM: Selbstverständlich! Alleine macht der Roboter gar nichts! Da ist immer der Operateur am Tisch, der die Verantwortung hat. 

RS/FD: Gab oder gibt es Vorbehalte seitens der Patienten? 

AM: Am Anfang schon, da gab es Nachfragen, aber ganz selten hat jemand gesagt, dass er das lieber nicht will. Denn die Patienten wünschen sich immer die neueste Technik. Und wenn jemand Vorbehalte hat, dann ist auch das kein Problem. Wir überreden niemanden, sich so oder so behandeln zu lassen. Die Frage ist, ob der Roboter wirklich besser ist als die offene Chirurgie. Und darauf gibt es nach wie vor keine exakte Antwort. Sicher aber ist: Ein guter Operateur der offenen Chirurgie, der sich mit dem Roboter nicht auskennt, der wird am Roboter ein schlechter Operateur sein. Denn er muss sich dort erst einarbeiten, sich mit dem System vertraut machen, um wie bei der offenen Chirurgie operieren zu können. Jede Technik hat ihre Schwierigkeiten. 

RS/FD: Und wie geht es weiter? 

AM: Schön wäre es, wenn man zum Beispiel eine vorherige Bildgebung – also Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) – mit einbringen könnte. Denn wenn ich beispielsweise den Bauch aufpumpe, um besser operieren zu können, dann verändert sich die Anatomie. Und hier ist die Frage, wie ein CT oder MRT-Bild dem folgen kann. Das ist alles sehr komplex, aber das wird irgendwann kommen. Dann gibt es die Idee, dass man durch andere optische Hilfsmittel noch besser ins Gewebe hineinschauen kann, so dass ich beispielsweise erkenne: „Wenn ich da einen Zentimeter tiefer schneide, dann kommt ein großes Blutgefäß.” Aktuell sehen wir die Oberfläche. Aber so richtig reingucken können wir nicht. Da gibt es also schon noch einige Ideen und Wünsche für die Zukunft.

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Autor/in

Rudolf Seising

Rudolf Seising ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut des Deutschen Museums. Dort leitet er die Projekte “Maschinelles Sehen bei der Arbeit” und “Transformationen durch KI”.

Frank Dittmann

Frank Dittmannist Kurator für Energietechnik, Starkstromtechnik und Automation am Deutschen Museum.

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