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Unsere Neuerwerbung des DDR-Segelflugzeugs FES „Lehrmeister“ von 1960

Trotz Flugzeugbau-Verbot in der Nachkriegszeit schafften sich Deutsche Ingenieure und Tüftler eine Nische im motorlosen Fliegen. Hier wurden viele konstruktive Details entwickelt und erprobt, die deutschen Segelflugzeugen heute weltweit einen hervorragenden Namen geben.

Leichtbau und Aerodynamik

In Deutschland war es jeweils nach Beendigung beider Weltkriege zunächst verboten, einen nennenswerten eigenen Flugzeugbau zu betreiben; nach 1945 lag sogar die Lufthoheit in den Händen der Alliierten. Dass deutsche Segelflugzeuge bis heute weltweit einen hervorragenden Namen haben, liegt an der fruchtbaren Nische, die sich deutsche Ingenieure und Tüftler im motorlosen Fliegen geschaffen haben. Viele konstruktive Details, die später auch in den Großflugzeugbau Einzug hielten, wurden hier entwickelt und erprobt.

Mehr oder weniger legal, aber zumindest von den Alliierten in ihren jeweiligen Zonen geduldet, war es ab 1950 in Ost- und Westdeutschland wieder möglich, Segelflug zu betreiben. Als Fluggeräte kamen zunächst einfache Schulgleiter aus der Kriegszeit zum Einsatz, die entweder die Zeit überdauert hatten, oder nachgebaut wurden. In der Bundesrepublik war Privatinitiative gefragt: Ein reges Vereinsleben bildete sich, an den Universitäten gründeten sich studentische „Akademische Fliegergruppen“ neu, und einige bis heute aktive Unternehmen entstanden, die die neuesten Erkenntnisse des Leichtbaus und der Aerodynamik in den Serienbau moderner Segelflugzeuge übertrugen. Namen wie Schempp-Hirth und Alexander Schleicher geben bis heute den Ton an.

Ein moderner "Lehrmeister" für die Segelflugschulung

In der DDR hingegen war alles staatlich gelenkt: Die Ausbildung hatte vormilitärischen Charakter, und der prestigeträchtige Flugzeugbau folgte planwirtschaftlichen Vorgaben. In Dresden entstand um den ehemaligen Junkers-Ingenieur Brunolf Baade ein moderner Industriestandort zum Bau von turbinengetriebenen Passagierflugzeugen – ein absolutes Prestigeprojekt des sogenannten Arbeiter- und Bauernstaats, das Millionensummen verschlang. Sprichwörtlich im Windschatten „segelte“ der Segelflugzeugbau, der zunächst den eigenen Bedarf an Schul- und Leistungsflugzeugen decken sollte. Als erster Standort wurde die traditionsreiche Waggonfabrik im thüringischen Gotha reaktiviert, wo bereits seit 1912 Flugzeuge gebaut wurden und im Zweiten Weltkrieg auch militärische Lastensegler entstanden. Ab 1950 waren einige Hundert Vorkriegskonstruktionen einsitziger Schul- und Übungsflugzeuge SG 38 und Baby II die ersten Produkte des jungen DDR-Flugzeugbaus im VEB Waggonbau Gotha.

Die überkommene Schulung auf einsitzigen Gleitern, bei der der Flugschüler nach theoretischer und minimaler praktischer Einweisung allein zurechtkommen musste, hatte bereits vor Kriegsausbruch allmählich begonnen, der Schulung auf leistungsfähigeren und vor allem doppelsitzigen Segelflugzeugen Platz zu machen. In der Bundesrepublik entstanden 1951 bei Scheibe Flugzeugbau in Dachau die Mü 13E Bergfalke (ausgestellt in der Flugwerft Schleißheim) und 1953 bei Alexander Schleicher an der hessischen Wasserkuppe die Ka 2 in jeweils dutzenden Exemplaren, die bereits gute Flugleistungen aufwiesen und mit denen doppelsitzig auch längere Streckenflüge möglich waren.

So lag es 1953 nahe, auch in Gotha einen modernen Zweisitzer zu entwickeln, die Go 530. Als 1954 der DDR-Segelflugzeugbau im sächsischen Lommatzsch bei Dresden auf dem Gelände einer ehemaligen Glashütte eine neue Heimat fand, war das nun in FES 530 umbenannte Schulflugzeug eines der ersten Produkte. FES stand für Forschungs- und Entwicklungsstelle, eine Einrichtung, die in späteren Jahren auch für die Ausrüstung von DDR-Olympiamannschaften etwa mit Hightech-Sportgeräten wie Bobs sorgte.

Rumpf, Leitwerk und Tragflächen der FES 530 entstanden in traditioneller Holzbauweise vor allem aus Flugzeugsperrholz, große Flächen sind bespannt. Erstmals wurden jedoch auch einige nichttragende Bauteile wie etwa Rumpfnase aus Glasfaserlaminat verbaut. Wenig später entstand übrigens in Stuttgart mit der fs 24 Phönix (Erstflug 1957) das erste ganz aus Glasfaser und Polyesterharz gefertigte Segelflugzeug der Welt, heute Teil der Sammlung des Deutschen Museums.

Nach Bruchlandung kamen die Erfolge

Der Erstflug der FES 530 erfolgte im Juni 1954 in Bienstedt bei Gotha, doch eine Bruchlandung verzögerte damals die Erprobung. Im November 1955 kam es in Leipzig-Mockau dann zu einem dramatischen Zwischenfall mit dem zweiten Versuchsmuster der FES 530, als sich bei einem Hochgeschwindigkeitsflug mit etwa 250 km/h durch einen Fabrikationsfehler alle Endrippen von beiden Tragflügeln lösten. Testpilot Karl Treuter verzichtete auf einen Ausstieg mit dem Fallschirm, um das Flugzeug für eine Untersuchung zu retten, und mit viel Glück gelang es ihm zu landen. Daraufhin erforderliche Bruchversuche verzögerten erneut die Einführung bei den Fliegerclubs der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), in der in der DDR bis 1989 alle technischen Sportarten mit vormilitärischem Charakter ausgeübt wurden.

Der Serienbau der ersten Ausführung des nun passend auf „Lehrmeister“ getauften Schulflugzeuges erfolgte dann ab 1957 in Lommatzsch. Dort entstanden zunächst knapp 100 Exemplare mit 17 Metern Spannweite, deren Flügel am Rumpf abgestrebt waren. Der Fluglehrer sitzt leicht erhöht hinter dem Schüler, was ihm eine bessere Sicht nach vorn ermöglicht. 1959 konnte der Flügel unter Verzicht auf die Streben freitragend gestaltet werden; von der FES 530/I genannten Version wurden 22 Exemplare gebaut, von denen etwa zehn nach Dänemark verkauft werden konnten. Damit erzielten fähige Piloten dort in der Anfangszeit auch beachtliche sportliche Erfolge. Einige weitere Lehrmeister gingen nach Österreich, Syrien, Ägypten und Kuba. Trotz langer und erfolgreicher Erprobung vor Ort ließ sich dagegen in den Niederlanden kein Verkaufserfolg erzielen.

Mit 101 gebauten Exemplaren wurde schließlich die letzte Version 530/II mit nur noch 15 Metern Spannweite und damit etwas schlechteren Gleiteigenschaften bis 1963 gebaut. Damit sollten Piloten auf die verbreiteten und weniger leistungsfähigen Einsitzer des Typs Baby II vorbereitet werden. Die verschiedenen Flügelpaare mit 17 und 15 Metern konnten untereinander getauscht werden.

Willkommen in der Flugwerft Schleißheim

Weitere erfolgreiche Baureihen von in der DDR gebauten Segelflugzeugen waren die Lommatzsch Libelle, von der 116 Stück in sechs verschiedenen Baureihen entstanden, sowie als leistungsmäßige Krönung fünf Exemplare der Lommatzsch Favorit. Aus politischen Gründen wurde jedoch nach dem Aus für den DDR-Verkehrsflugzeugbau in Dresden 1963 auch das Ende des Segelflugzeugbaus beschlossen, was unter den beteiligten Ingenieuren, Technikern, Facharbeitern und Piloten auf Unverständnis und Entsetzen stieß. Auch diese Tatsache mag dazu beigetragen haben, dass das Kapitel „Segelflugzeugbau in der DDR“ in Westeuropa nur wenig bekannt ist.

Die Lehrmeister der GST hatten in der Regel nur eine Lebensdauer von 12 bis 15 Jahren; danach folgte die „Abschreibung“ unter Gesichtspunkten der Planwirtschaft sowie das Ende durch Verbrennen oder Zersägen. Nachdem der DDR-Flugzeugbau 1963 beendet war, wurde in den Siebziger Jahren als Nachfolger das Muster SZD-9 Bocian aus der Volksrepublik Polen gefunden, die inzwischen im Rahmen der Ostblock-Wirtschaftsvereinigung RGW für die Produktion von Segelflugzeugen verantwortlich war. Ein Exemplar dieses Typs befindet sich ebenfalls in der Sammlung des Deutschen Museums.

Rein technisch hätten die FES 530 Lehrmeister durchaus ein längeres Leben haben können, was heute noch fliegende Exemplare in Deutschland und Dänemark eindrucksvoll beweisen. Mit dem Kauf einer flugtüchtigen FES 530/I in Dänemark konnte nach mehrjähriger Suche nun Anfang September 2021 eine wesentliche Lücke im Bereich der Segelflugzeugsammlung des Deutschen Museums geschlossen werden. Das für Zulassungszwecke in der DDR kurzfristig als DM-3270 registrierte Flugzeug – DM steht in diesem Fall nicht für „Deutsches Museum“, sondern war von 1956-1981 das Luftfahrzeugkennzeichen der DDR – wurde 1960 nach Dänemark verkauft und flog dort bis vor kurzem als OY-XAY. Ein Schwesterflugzeug wurde übrigens im Schlepp hinter einer dänischen Schleppmaschine über die Ostsee nach Bornholm ausgeflogen, wobei es zu einem gefährlichen Zwischenfall gekommen sein soll: Der Schleppzug wurde in Verkennung der Tatsachen für eine Republikflucht gehalten und beschossen. Diese Anekdote verdanken wir dem dänischen Segelflieger Klaus Degner, der die OY-XAY per Spezialanhänger selbst von Dänemark in die Flugwerft Schleißheim überführt hat. Dort wird sie von den Kollegen der Flugzeugwerkstatt derzeit für eine künftige Präsentation vorbereitet.

Weiterführende Literatur

  • D. Billig/M. Meyer (Hg.): Flugzeuge der DDR – Typenbuch Militär- und Zivilluftfahrt, 1. Band bis 1962, Friedland 2002
  • F.-D. Lemke: Segelflugzeugbau in der DDR, Ideen und Projekte – Nachbauten und Neukonstruktionen, Bad Langensalza 2018

Autor/in

Dr. Robert Kluge

Robert Kluge

Dr. Robert Kluge ist Kurator für Moderne Luftfahrt am Deutschen Museum und seit 40 Jahren passionierter Pilot. Nach dem Studium der Slawistik, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre, seiner Dissertation „Der sowjetische Traum vom Fliegen“ (1997) und langen Jahren als Luftfahrtjournalist und einer Berufspilotenausbildung fand er 2015 zum Traumberuf.

Sein Tipp – ein Fachgespräch mit den engagierten Kollegen vom Ausstellungsdienst in Oberschleißheim oder in der Neuen Luft-und Raumfahrthalle auf der Museumsinsel.