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Im 82. Jahr nach der Entdeckung der Kernspaltung und 68 Jahre nach der Übergabe durch das Max-Planck-Institut für Chemie steht der Kernspaltungstisch heute als eines der bekanntesten Exponate im Deutschen Museum. Ein einfacher Holztisch zeigt die Originalgeräte, mit welchen im Winter 1938 die Spaltung von Uranatomen erstmals nachgewiesen wurde.

Viel wurde über dieses Arrangement und die Geschichte der Entdeckung publiziert. Verblüffend erschien schon immer die Einfachheit der Apparatur gegenüber der Tragweite der Entdeckung. Allerdings hat sich bislang niemand wirklich die Mühe gemacht, alle Einzelteile zu dokumentieren und ihre technische Funktion nachzuvollziehen.

Die Geräte zur Bestrahlung und Analyse der Spaltprodukte, die Geiger-Müller-Zählrohre und die mechanischen Zähler, die die Zerfallskurven der Reaktionsprodukte anzeigten, all dies war schnell beschrieben.

Aber was passierte dazwischen? Zwischen den Zählrohren und dem Rädchen auf dem mechanischen Zähler? Immerhin der imposanteste Teil der Apparatur besteht aus Röhrenverstärkern auf einfachen Holzbrettchen. Danach gefragt, bediente man sich im Museum meist eines Zitats von Otto Hahn: „Das sind alles nur elektrische Hilfsgeräte.“

Durch einen Impuls eines interessierten Museumsbesuchers machten wir – die Chemie-Kuratorin Susanne Rehn-Taube und die Kuratorin für Telekommunikation und Mikroelektronik, Luise Allendorf-Hoefer – uns daran, diesen berühmten Kabelsalat zu entwirren und die Funktion der einzelnen Teile zu klären.


Die elektrischen Bauteile sind auf drei Holzbrettchen verteilt. Mittig und vom Betrachter aus hinten liegt die Verteilung der Stromversorgung. Heute nicht mehr sichtbar, war der Tisch an das 220 V-Wechselstromnetz des Institutes angeschlossen. Diese Netzspannung wurde auf einen Transformator geführt. Dessen verschiedene Sekundärwicklungen stellten einerseits die Wechselspannungen für die Röhrenheizungen zur Verfügung. Andererseits wurden sie gleichgerichtet und fanden Verwendung als Betriebsspannungen der Röhrenverstärker für die Geiger-Müller-Zählrohre. Die Verstärkeranordnung ist doppelt auf den beiden zentralen Holzbrettchen zu sehen. Mit diesen zentralen Schaltbrettchen wurden außerdem die mechanischen Rollenzählwerke verschaltet, die von einer Verstärkerröhre angesteuert und jeweils durch eine zusätzliche Batterie – auf der Tischplatte oben - angetrieben wurden.

Jedes der beiden Geiger-Müller Zählrohre besteht aus einem Aluminium-Zylinder (Minuspol) und einem Draht in der Mitte (Pluspol). Zwischen Gehäuse und Zähldraht liegt eine Hochspannung an, die von zwölf in Reihe geschalteten Batterien (12 * 90 V = 1080 V) unter dem Tisch zur Verfügung gestellt wird. Das beim radioaktiven Zerfall emittierte beta-Teilchen schlägt Elektronen aus dem Gehäuse oder dem Gas im Zählrohr, die durch das starke elektrische Feld der Hochspannung zum positiven Draht hin beschleunigt werden und damit einen Stromfluss auslösen. Dies ist die einzige Stelle der Apparatur, bei der wirklich Hochspannung erforderlich ist /vorliegt.

Ein besonders rätselhaftes Bauteil war ein in Wachs eingeschmolzenes Glasröhrchen, das als Arbeitswiderstand der Zählrohre gedient haben musste. Dieses Bauteil wurde am 14.10.2020 im Restaurierungslabor der Archäologischen Staatssammlung geröntgt. Die Röntgenbilder zeigen einen einfachen Aufbau einer Glaspipette mit eingeschmolzenen Drahtkontakten. Da diese recht weit auseinanderliegen, war die Glaspipette mit allergrößter Wahrscheinlichkeit mit einem Ethanol/Wassergemisch befüllt. Diese Apparatur stellte einen hochohmigen, stabilen Widerstand dar. Heute ist die Glaspipette unversehrt, aber leer. Es ist fraglich, ob/wie die Flüssigkeit im Laufe der Jahrzehnte verdunstet ist. Einzige Austrittsmöglichkeit sind die eingeschmolzenen Drähte. Obwohl im Röntgenbild keine Beschädigungen zu sehen sind, könnte bei Undichtigkeit und durch Spalten im Wachsmantel durchaus Dampf entwichen sein.

Im Zuge der neuen Dokumentation wurden auch die verschiedenen Kabel und Drähte auf dem Tisch entwirrt und in einer technisch sinnvollen Weise wieder zusammengesteckt. Das Exponat ist im Laufe seiner Museumskarriere mehrfach umgezogen und da nie eine vollständige Dokumentation aller Einzelteile vorlag, ist davon auszugehen, dass auch die Verkabelung über einen langen Zeitraum nicht korrekt war. Eine genaue Aufstellung im Sinne eines Schaltplans ist darüber hinaus in Arbeit. Bis dahin grüßen Lise Meitner und Otto Hahn von den einzelnen Bauteilen – in Form von Instituts-Labeln, die wir auch neu entdeckt haben.

Autor/in

Susanne Rehn-Taube

Susanne Rehn ist Chemikerin und seit 2005 Kuratorin für Chemie am Deutschen Museum. Sie hat mit ihrem Team die Ausstellung Chemie (Eröffnung Juli 2022) konzipiert und ist für die Digitalisierung der chemischen Sammlung verantwortlich.