
Tatjana Dietl
Tatjana Dietl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Luftfahrt und arbeitet derzeit an der Neugestaltung der Ausstellung „Historische Luftfahrt bis 1918“.
von Tatjana Dietl
„Ich wollte fliegen lernen! – das war auch alles, von dem ich wusste, dass ich es wollte…“
Beese wurde am 13. September 1986 im Dorf Laubegast geboren, damals ein Vorort von Dresden. Sie wuchs mit drei Geschwistern in wohlhabenden Verhältnissen des gehobenen Mittelstandes auf. Ihre die Mutter war die Tochter eines Radeberger Stadtrates und Bäckereibesitzers und der Vater ein namhafter Architekt und Baumeister. Beese studierte ab Herbst 1906 bis 1909 an der Königlichen Akademie der Freien Künste in Stockholm Bildhauerei. In Deutschland gab es für Frauen vor dem Ersten Weltkrieg noch keine Ausbildung in diesem Fach. Ihre bildhauerischen Arbeiten erreichten große Anerkennung, aber ihre Leidenschaft galt dem Hochseesegeln und Fliegen. Fasziniert verfolgte sie die Nachrichten von den ersten Flugversuchen in aller Welt.
1909 kehrte sie nach Deutschland zurück und besuchte im Herbst 1910 am Technikum Dresden (heute „Technische Universität“) als externe Hörerin Vorlesungen in Mathematik, Mechanik, Schiffbau und Flugmechanik. Doch wollte sie die Flugzeuge nicht nur vom Boden aus betrachten, sondern sich auch selbst in die Lüfte erheben. Ihr Vater finanzierte die Flugausbildung, die sie im selben Jahr auf dem Motorflugplatz in Berlin Johannisthal begann. Dieser Flugplatz wurde im September 1909 als erster unternehmerisch geführter Flugplatz und, nach dem August-Euler-Flugplatz in Darmstadt, als zweiter Motorflugplatz in Deutschland eröffnet.
„Nun war ich plötzlich da, und felsenfest davon überzeugt: in wenigen, vielleicht zwei, spätestens drei Wochen würde ich, sportlich trainiert, wie ich war, hoch über allem Sterblichen meine Kreise ziehen…“
Doch ganz ohne Bruchlandung verlief auch die Ausbildung von Melli Beese nicht. Bereits einer der ersten Übungsflüge brachte sie mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus. Schmerzen waren aber kein Grund zum Aufgeben. Vielmehr lagen ihre größten Probleme nicht an den Flugkünsten oder an den zerbrechlichen Flugzeugen. Von Anfang an musste sich Beese gegen den Widerstand der Männer und die gesellschaftlichen Grenzen weiblicher Selbstbestimmung durchsetzen, in einer Zeit vor gut 100 Jahren, in der Frauen im deutschen Kaiserreich kein Wahlrecht hatten und auch nur bedingt geschäftsfähig waren.
Beeses Ausbildung zur Pilotin zog sich über Monate hin. Alle männlichen Schüler wurden ihr vorgezogen, und schaffte sie es doch einmal hinters Steuer, hatte das Flugzeug meist einen Defekt. Einmal wurde ihr kurz vor dem Start das Benzin aus dem Tank gelassen, ein anderes Mal wurden die Tragflächen gelockert. Ihr Fluglehrer bei den Rumpler-Werken in Berlin Johannisthal war ab Juli 1911 der bekannte Flugpionier und Konstrukteur Hellmuth Hirth. Er hatte generelle Vorbehalte gegen die Ausbildung von Frauen zu Pilotinnen und schrieb dazu: „Der Unterricht von Damen als Flugschülerinnen hat seine Schattenseiten (…) wie in allen Berufen, die gelegentlich die physischen Kräfte eines Mannes erfordern, glaube ich nicht, dass auf den heutigen Flugzeugen die Frauen etwas Großes leisten werden. Die ganze Sache wird von ihnen lediglich als Sensation aufgefasst und dient dem Publikum nur zur Belustigung.“ (Helmuth Hirth, 1913, „20.000 Kilometer im Luftmeer“).
Flugschülerin Melli Beese am Flugplatz Johannisthal mit Flugleiter Georg von Tschudi (rechts) und Pilot Siegfried Hoffmann (links). Bild: DMA, BN 45495
Doch Melli Beese, technisch begabt, hartnäckig und entschlossen, lies sich nicht von ihrem großen Traum abbringen. Am 13. September 1911, ihrem 25. Geburtstag, nutzte sie die Gunst der Stunde, während ihre missgünstigen Mitstreiter abwesend waren. Sie organisierte sich externe Zeugen und absolvierte unbemerkt in den frühen Morgenstunden ihre Pilotenscheinprüfung. Damit war sie die erste Pilotin Deutschlands! Ihre „Flugzeugführerlizenz“ trug die Nummer 115, das heißt, sie war der 115. Mensch, der in Deutschland offiziell ein Flugzeug fliegen durfte.
Im Jahr zuvor hatten die Französinnen Thérèse Peltier, Raymonde Laroche, Marie Marvinght, Marthe Niel und die Belgierin Hélène Dutrieu ihre Pilotenlizent erhalten. Die nächste Frau, die in Deutschland das Examen ablegte, war mit der Nr. 274 am 16. August 1912 die russische Fürstin Eugenie Schakowskoy, ihr folgte mit Nr. 285 am 7. September 1912 Charlotte Möhring aus Berlin-Pankow. Mit Martha Behrboom Nr. 427 am 4. Juni 1913 und Else Haugk Nr. 785 am 6. Juni 1914 sind das auch schon alle Frauen, die in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg den Pilotenschein erwarben. Weltweit gab es 34 Pilotinnen mit Flugberechtigung. Neben diesen lizenzierten Fliegerinnen gab es jedoch noch zahlreiche weitere Frauen, die sowohl fliegerisch tätig als auch bei der Konstruktion und dem Bau von Flugzeugen beteiligt waren.
„Zum ersten Male Leben und Tod in der eigenen Hand – in Unmittelbarkeit, wie es bei keinem anderen Sport der Fall ist!“
Geschäftsführerin Melli Beese mit dem französischen Piloten und Fluglehrer Charles Boutard, den sie 1913 heiratete. Bild: Archiv Museum Treptow
Zwei Wochen nach der erfolgreichen Flugprüfung nahm Melli Beese bereits an den Johannisthaler Herbstflugwochen teil. Hier gelang ihr der Durchbruch: Sie belegte mit ihrer Rumpler-Taube unter 24 Teilnehmern den fünften Platz. Zudem stellte sie einen neuen Höhen- und Dauerflugweltrekord für weibliche Piloten mit Passagier auf, als sie eine Höhe von 825 Metern erreichte und zweieinhalb Stunden in der Luft blieb.
„Ich konnte kein Ende finden – immer wieder ließ ich die Maschine steigen, fallen, wieder steigen, nach links herum schwenken, in immer engeren Kurven.“
Für die Ausbildung der Flugschüler war die „Taube“ bestens geeignet. Die Taube, ein Flugzeug des österreichischen Konstrukteurs Igo Etrich, war ein Eindecker, bei dem Fluglehrer und Schüler hintereinander saßen. Beese baute als erste nach den Rumpler-Werken in Deutschland die Taube nach, die hier nicht patentrechtlich geschützt war. Neben Schulflügen wurden die „Melli-Beese-Tauben“ auch zum Preis von 12.000 Mark angeboten, die Rumpler-Taube von Edmund Rumpler kostete stolze 20.000 Mark. Dabei hoffte Beese auch auf einen größeren Auftrag, der eigentlich nur vom Militär kommen konnte, da mittlerweile alle großen Militärstaaten Luftfahrzeuge unter ihre Kriegsmittel aufgenommen hatten.
Welchen Wendepunkt bringt der Beginn des ersten Weltkriegs für Melli Beese und ihre Flugschule? Die Fortsetzung folgt im zweiten Teil der Lebensgeschichte von Deutschlands erster Pilotin.
* Zitate von Melli Beese aus ihren Erinnerungen „Unser Flugplatz in memoriam“, die 1921 in der Zeitschrift „Der Luftweg“ in Fortsetzung erschienen sind.
Die Pionierin Melli Beese und die „fliegenden Frauen der frühen Luftfahrt“ werden Teil der neuen Dauerausstellung „Historische Luftfahrt bis 1918“, deren Konzepterarbeitung gerade läuft. Wenn Sie Exponate oder interessante Hinweise zu Melli Beese haben, freuen wir uns über Ihre Nachricht an:
t.dietl@deutsches-museum.de