N: Sie forschen am Deutschen Museum zum Thema „Weibliche Verhaltenslehren im Luftkrieg in Deutschland, 1925-1945“. Können Sie ihr Forschungsthema kurz umreißen?
Es umfasst zwei Teilbereiche: auf der einen Seite Frauen, die bombardiert wurden, Journalistinnen und Schriftstellerinnen, die über ihre Erfahrungen schreiben. Auf der anderen Seite die Akteurinnen des Luftkriegs. Vor allem Pilotinnen und Frauen, die in der Rüstungsindustrie angestellt waren sowie Flakhelferinnen. Der Schwerpunkt, an dem ich hier arbeite, liegt auf den Pilotinnen.
N: Warum haben Sie sich dafür entschieden, am Deutschen Museum zu forschen?
Im Sommer 2018 war ich bereits im Archiv des Deutschen Museums, allerdings nur für eine Woche. Da kommt man natürlich nicht sehr weit. Hier liegen Nachlässe von Pilotinnen, wie zum Beispiel Marga von Etzdorf oder Hanna Reitsch. Vor allem der Nachlass von Hanna Reitsch ist sehr umfangreich und bisher wenig ausgewertet. Und eine so große Dichte an Flugzeitschriften aus den 1920er- bis 1940er- Jahren wie in der Forschungsbibliothek gibt es wohl nur hier.
N: Wie sehr kann man autobiographische Quellen direkt nutzen und wie sehr muss man sie kritisch hinterfragen?
Ich komme aus der Literaturwissenschaft. Deswegen habe ich einen anderen Ansatz, mit den Schriften umzugehen. Mich interessiert nicht nur die reine Faktenlage, sondern vor allem die Art und Weise, wie man sich darstellt und bestimmte Ereignisse schildert. Ich nenne das Narrative oder Topoi: Bestimmte Themen kehren in den Texten immer wieder. Zum Beispiel der erste Alleinflug oder Abstürze. Also sehr markante Situationen. Diese Schilderungen sind gewissermaßen Variationen auf dasselbe Thema. Sie zu vergleichen, ist sehr interessant. Das heißt natürlich nicht, dass ich alles glaube, was die Damen schreiben. Man muss die Schilderungen mit den Fakten abgleichen.
Elly Beinhorn schreibt zum Beispiel 1933, wie bequem sie über Afrika geflogen sei. Dieser Flug war ein Rekordflug und die waren nie besonders bequem. Auf ihrer Reise hatte sie mit vielen Pannen und Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie beschreibt es allerdings so, als ob es ein Spaziergang gewesen wäre. Man kann sich also fragen, welches Bild will sie da von sich erzeugen und warum? Die Pilotinnen, aber nicht nur sie, wollen einen sehr abgeklärten, unerschrockenen Eindruck machen. Damit suchten sie auch, dem Berufsbild des Piloten zu entsprechen. Für die schickte es sich nicht, ängstlich und wehleidig zu sein.
N: Unterschied sich das wirkliche Verhalten von dem Idealbild der Frau im Nationalsozialismus?
Das Frauenideal des Nationalsozialismus ist in sich ambivalenter als es zunächst scheint. Auf der einen Seite gab es dieses Bild der Frau und Mutter, die nicht arbeiten sollte, schon gar nicht in qualifizierten Berufen. Aber spätestens mit den Kriegsvorbereitungen ab 1937 waren auch stramme Nazis nicht mehr gegen die Berufstätigkeit von Frauen. 1939 waren drei Millionen mehr Frauen berufstätig als 1933.
Junge Leute wie Wolfhilde von König klebte Sammelbildchen von Kriegshelden in ihr Kriegstagebuch, so wie es Generationen später mit Fußballern machten. Unter den Bildern taucht auch das Foto von Hanna Reitsch auf. Sonderlich kontrovers war ihr Status als eigenständige, berufstätige und fliegende Frau offenbar nicht.
N: Wie haben sich Frauen während Bombenangriffen verhalten?
Sehr oft erwarteten die Frauen von sich selbst eine besondere Tapferkeit oder soldatische Haltung, mit der sie auf das grauenvolle Geschehen um sie herum reagierten. Die Journalistin Ursula von Kardoff schildert nüchtern, wie sie am zerstörten Hotel Bristol vorbeikommt und die Stimmen der Verschütteten hört, die nicht befreit werden können. Draußen geht das Leben ganz normal weiter. Wirklich gespenstische Szenen, über die die Leute aber auch nicht weiter nachdachten, weil der nächste Angriff schon bevorstand. Sie hatten nicht viel Zeit, sich psychisch damit auseinander zu setzen. Diese Dinge betont sachlich niederzuschreiben war sicherlich auch eine Strategie, die Ereignisse von sich fernzuhalten.
N: Liegen Ihnen auch Texte von Frauen vor, die sich später zurückerinnern und die Dinge reflektiert anders betrachten, als in der Situation selbst?
Ja, allerdings nicht so viele. Die Autobiografie der Berlinerin Waltraud Süßmilch, sie war am Ende des Kriegs erst 15, ist erst um 2000 entstanden. Der Text ist einer der offensten und emotionalsten, den ich gelesen habe. Ganz am Ende wird geschildert, wie sie nach dem Krieg als Krankenschwester in England lebt und dort jede Nacht schreiend aufwacht. Ärzte raten ihr dann dazu, die Erlebnisse aufzuschreiben. Hieran sieht man, was für eine emotionale Last die Leute mitgenommen haben. Es hängt stark davon ab, wie sich die Leute hinterher noch einmal damit auseinandergesetzt haben.
N: Die Luftfahrtausstellung des Deutschen Museums wird im Moment neu konzipiert. Sind Sie in Gesprächen mit den Kuratoren zu dem Thema?
Ich bin im Austausch mit den Kuratoren. Soweit ich weiß, wird es eine Tafel zu den Pilotinnen in der neuen Ausstellung geben.
N: Wie lange forschen Sie schon zu dem Thema? Und wie sind Sie auf das Thema gestoßen?
Angefangen habe ich 2014. Ich habe einen Film der dänischen Künstlerin Simone Aaberg Kærn gesehen. Sie ist mit einer altmodischen Maschine aus Dänemark nach Afghanistan geflogen, um einem afghanischen Mädchen das Fliegen zu ermöglichen. Der Film hat sogar mir, obwohl ich selbst gar nicht so flugeuphorisch bin, ein Gefühl von Freiheit vermittelt. Das ist eine der wichtigsten Metaphern oder Versprechen des Fliegens, die offenbar bis heute wirken – jedenfalls auf mich. Daher wohl auch die Faszination, obwohl es mich selbst gar nicht drängt, in die schnellsten und wildesten Maschinen einzusteigen. In dem Film werden aber auch die Pilotinnen des Zweiten Weltkriegs erwähnt. Mir war gar nicht klar, dass es international so viele waren.
Die Kehrseite der schönen Verheißungen der Luftfahrt ist allerdings der Luftkrieg. Mein Vater stammt aus Aachen, und die Familie väterlicherseits hatte reichlich Gelegenheit, den Luftkrieg zu erfahren. Es gibt auch ein Tagebuch seiner Großmutter, in dem auch die Befreiung Aachens geschildert wird. Das war ja die erste deutsche Stadt, die eingenommen wurde. Wie Frauen den Luftkrieg erfahren haben, ist etwas, was mich rein biographisch interessiert.
N: Beziehen Sie dieses Tagebuch Ihrer Urgroßmutter auch mit ein?
Wahrscheinlich werde ich es nicht tun. Das liegt daran, dass ich den geographischen Schwerpunkt auf Berlin gelegt habe. Es ist leichter, wenn sich mehrere Texte auf denselben Ort beziehen. Aber sicher finde ich in der Einleitung noch Platz, das Tagebuch unterzubringen.
N: Was haben Sie sich als Ziel der Forschung gesetzt?
Das Forschungsprojekt ist meine Habilitation, ihr Abschluss ist das Nahziel. Während der Arbeit daran sind mir aber sehr viele spannende Texte begegnet. Man könnte sicherlich noch mehr Biographien über Pilotinnen gebrauchen – zum Beispiel über Elly Beinhorn.
N: Wie gefällt es Ihnen als Scholarin in Residence am Deutschen Museum?
Das Stipendium hier ist eigentlich ideal für mich, weil ich nicht noch unterrichten muss. Ich habe die Zeit, mich ganz auf das Forschungsprojekt zu konzentrieren. Ich bin umgeben von der Literatur in der großartig ausgestatteten Forschungsbibliothek und muss nicht quer durch die Stadt nach Büchern laufen. Es sind wirklich tolle Arbeitsbedingungen hier, das kann man nicht anders sagen.
Fußnote: Smiling in a War Zone“ (2006, deutsch „50 Stunden bis Kabul“)