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Die Forderung „Objekte ins Netz!“ war die von Martin Stricker (Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen) formulierte Quintessenz der Tagung „Objekte im Netz. Wissenschaftliche Sammlungen im Digitalen Zeitalter“, die am 5. und 6. November 2019 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg stattfand.

Die Tagung war zugleich die Abschlussveranstaltung des 2013 begonnenen und seit 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „Objekte im Netz. Digitalisierung und Dynamisierung der Sammlungen der Universität Erlangen-Nürnberg“, einer Kooperation der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) mit dem Germanischen Nationalmuseum (GNM). Somit konnte aus zwei Perspektiven auf das Thema Digitalisierung geblickt werden. Vor der Tagung befasste sich ein Workshop mit der Weiterentwicklung von WissKi, einer virtuellen Forschungsumgebung. Ein Poster-Talk ergänzte das mit 19 (z.T. Co-)Vorträgen und zwei Podiumsdiskussionen straffe, sehr gut organisierte Programm der Tagung.

In seiner Begrüßung machte der Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums, Dr. Daniel Hess, darauf aufmerksam, dass durch die Digitalisierung jahrhundertelange Abläufe neu modelliert und Kommentarverfahren zu den Objekten entwickelt werden müssten. Zugleich forderte er die Fachleute auf, „Wissen in Bewegung [zu] halten!“.

In seinem fulminanten Auftakt forderte der Medienwissenschaftler und Historiker Dr. Dennis Niewert vom Deutschen Schifffahrtsmuseum – Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM Bremerhaven) ein stärkeres Zusammensehen von Museumsraum und Digitalisierung, auch eine Begehbarkeit, eine Verräumlichung von Wissen, da das Museum selbst bereits die antike Forderung mnemotechnischer Räume einlöse. Es gelte, diese Strukturierung von Wissen auch auf den Bereich des Digitalen zu übertragen.[1]

Einige Sammlungen sind auch in Deutschland schon sehr weit mit der Digitalisierung und der Vernetzung ihrer Normdaten: So hat die Scientific Community der Numismatiker die Möglichkeit, auf das Portal NUMiD zurückzugreifen, das Dr. Katharina Martin von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in ihrem Vortrag „Von verstaubten Beständen zu ‚generous interfaces‘. Das Netzwerk Universitärer Münzsammlungen in Deutschland“ vorstellte. Die bisher 42 in dem Verbundprojekt venetzten Sammlungen werden sukzessive in einem Zentralportal zugänglich gemacht, das von der Zentralen Normdatenverwaltung des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin betreut wird, das auch das Datenbanksystem entwickelt hat. Der Auftritt verschafft den Sammlungen eine internationale Präsenz.

Auch neue Forschungsfragen werden durch neue Formen der Visualisierung generiert, wie unter anderem Viktoria Brüggemann (UCLab der Fachhochschule Potsdam) in ihrem Vortrag anhand von Projektbeispielen zeigte, bei denen der VIKUS Viewer für erstaunliche Vergleiche zwischen digitalisierten Objekten eingesetzt wird. Brüggemann veranschaulichte, wie Visualisierung es den Nutzer*innen ermöglicht, sich sowohl eine Übersicht über Sammlungen zu verschaffen als auch Objektdetails anhand von hochaufgelösten Exponatfotos zu studieren.

Dr. Stefan Przigoda und Claus Werner vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum zeigten in ihrem Vortrag „Die Sammlung als Netz. Potentiale und Grenzen der Netzwerkanalyse einer Museumsdokumentation“ auf, wie komplex die Metadaten mittlerweile geworden sind und wie sich Knoten- und Kantendaten in einer relationalen Netzwerkanalyse nach Reduzierung der Komplexität gewinnbringend visualisieren lassen.

Bei der Podiumsdiskussion zum alle Häuser beschäftigenden Thema #OPENACCESS #LIZENZEN #RECHTE wurde unter anderem als Beispiel genannt, dass das Scannen von 3000 Urkunden am Tag noch keine Urheberschaft an den Digitalisaten hervorbringe. Auch wurde die Forderung gestellt, dass seitens des Gesetzgebers eine eindeutigere Haltung in Bezug auf das Urheberrecht entwickelt werden sollte, da die einzelnen Kulturinstitutionen mit ihrem oftmals geringen Personalbestand bei fraglicher Herkunft von Bildern die Aufgabe der Recherche und deren Dokumentation in den meisten Fällen aus Zeitgründen nicht leisten könnten und der Öffentlichkeit somit wertvolles Kulturgut verloren ginge. Auch wenn es sich aus juristischer Sicht vielfach um Einzelfallentscheidungen handele, wünschten sich viele Teilnehmer*innen generelle und klare Richtlinien zum Umgang mit Bildmaterial, damit dieses häufiger und guten Gewissens veröffentlicht werden kann.

Im Laufe der zwei Tage kamen viele technische und inhaltlich-kontextuelle Themen zur Sprache.[2] Eine grundlegende Frage war die nach dem Verhältnis von Museumsobjekt und seinem Digitalisat. In diesem Zusammenhang wurde auch kritisch gefragt, ob die Datennormierung zu einer „Amazonification“, d.h. zu einem in oder out von Objekten. Dingeigenschaften könnten unterdrückt und die Dinge dadurch verflacht werden. Für viele Teilnehmer*innen überwogen hier jedoch eindeutig die positiven Möglichkeiten der Digitalisierung, wenn zum Beispiel die im Museumsraum nur beschränkt einsichtigen Objekten online in 3D und somit von allen Seiten zugänglich gemacht würden.

Einen Tag darauf machte der Frankfurter Ethnologe Dr. Hans Peter Hahn in seinem zusammen mit Julia Rice gehaltenen Vortrag „Das digitale Museum – Erweiterung oder Transformation? Zur Identität und Wahrnehmung von Museen im 21. Jahrhundert“ darauf aufmerksam, vor welchen Herausforderungen Museen und Universitäten heute stünden: Es herrsche zum Beispiel Angst vor dem Verlust der Deutungshoheit im musealen Raum oder davor, dass im Zuge der Digitalisierung bisher ungeklärte Widersprüche in den Altdaten ans Licht kämen. Er zeigte auch auf, dass sich Museen der digitalen Transformation nicht verweigern könnten, wenn sie weiterhin als Orte der Forschung und der Innovation gelten wollten.

Viele Teilnehmer*innen schilderten, dass die Onlinestellung von Objektdigitalisaten eine große Chance für die Museen und Sammlungen sei, internationale Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Objektanfragen an einigen Häusern kamen sogar aus Japan und China. Auch kleine Sammlungen könnten so vor dem Vergessen bewahrt und der Forschung und den virtuellen und realen Besucher*innen zur Verfügung gestellt werden. Der Kustos der FAU Erlangen-Nürnberg, Udo Andraschke, brachte dies bereits am ersten Tag auf den Punkt: Man müsse den Staub von den Sammlungen abschütteln, die sich mittlerweile professionalisiert hätten. Digitalisierung sollte von uns gewollt werden, um neue Fragen an die Sammlungen zu richten und vielfältige Diskussionen zu führen. Am Abschluss der Tagung stellte er weitere wesentliche Beobachtungen an: Eine digitale Sammlung bedeutet Verantwortung. Auch die Entwicklung einer digitalen Sammlungsethik stehe in vielen Fällen noch aus. Ebenfalls brauchen wir eine Methodenkritik, die über die Digitalisierung nicht vergessen werden sollte. Analoge und digitale Objekt sollten nicht als Konkurrenten angesehen werden, sondern komplementär: Das digitale Objekt ist eine Ergänzung zum Museumsobjekt, über die Digitalisate wird ein Mehrwert erzielt. Im besten Fall werden analoge und digitale Objekte zusammengeführt. Dies kann zum Beispiel durch drehbare 3D-Modelle erfolgen, die das Museumsobjekt vor Ort erst verständlich machen.

Zugleich wurde im Laufe der zwei Tage deutlich, dass es in allen Häusern noch viel zu tun gibt: Außer der zu leistenden Überzeugungsarbeit für die Digitalisierung der Objektbestände ist dies nicht zuletzt das Programmieren sinnvoller Forschungsumgebungen, in denen das Wissen so gespeichert werden kann, dass sein Abruf für verschiedene Nutzergruppen leicht möglich ist. Optimal wäre eine Mischung aus Finden, was man sucht und Finden, was man gar nicht gesucht hat („Flanieren“), was aber zu neuen Forschungsfragen führt.

Die vielleicht wichtigste Erfahrung des Projektes „Objekte im Netz“ war, dass es bei allen Problemen der Digitalisierung wichtig ist, immer wieder miteinander zu reden – sowohl in der jeweiligen eigenen Institution als auch mit anderen Menschen aus der Digitalisierung, die vor denselben Problemen stehen. In diesem Sinne: Kommen Sie Ende November gerne zu unserem Symposium „Das digitale Objekt II“ im Deutschen Museum vorbei und führen Sie die Diskussion dort fort!

Im Rahmen der Tagung gab es außerdem die Möglichkeit, sich die Sonderausstellung „Abenteuer Forschung“ des GNM anzusehen, in der ein Blick hinter die Kulissen dieses Leibniz-Forschungsmuseums für Kulturgeschichte geworfen wird. Spannende Fragen zum Beispiel zur Deutung unbekannter Objekte, zu wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden, zur Restaurierungsforschung oder zu Original und Fälschung werden dort aufgeworfen. Sie regen Besucher*innen im besten Fall auch an, sich an Citizen Science-Projekten von Museen zu beteiligen.

[1] S. hierzu auch sein Buch Dinge – Nutzer – Netze. Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen. Bielefeld 2018.

[2] Einige der vielen Themen und Fragen konnten hier angedeutet werden, weitere Eindrücke gewinnen Sie auf dem Twitter-Account zur Tagung. Außerdem können Sie sich viele der Präsentationen und Poster online ansehen.

Autor/in

Mareike Wöhler

Mareike Wöhler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Deutsches Museum Digital. Die Historikerin beschäftigt sich mit den Herstellern, der Fertigung und der Geschichte von Objekten zur Messung von Zeit und Raum, um herauszufinden, warum sich Alltags- und Wissensdinge im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. Außerdem erzählt sie gerne digitale Objektgeschichten.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Begeben Sie sich in den neuen Ausstellungen auf Fantasiereisen und suchen Sie unabhängig von der jeweiligen Sammlung nach einem verbindenden Thema, zum Beispiel einem Element. Das macht Spaß und schlau!