Direkt zum Seiteninhalt springen

von

Sechzehn Prozent der Deutschen leiden unter Flugangst, sieben Prozent haben aus eben diesem Grund noch nie in ihrem Leben ein Flugzeug bestiegen und es soll sogar Menschen geben, die ihren Beruf gewechselt haben, um nicht mehr fliegen zu müssen. Natürlich ist das vollkommen irrational. Wissen wir doch, dass das Flugzeug das sicherste Verkehrsmittel ist – noch vor der Bahn. Aber Phobien sind eben hartnäckig.

Meine Angst vorm Fliegen reicht aus, um persönliche Urlaubsziele - wenn irgend möglich auf das grenznahe Ausland zu beschränken. Zum Kummer meiner Familie zieht mich nahezu nichts in Gegenden, die ausschließlich über einen mehrstündigen Flug zu erreichen wären.  Die Ursache vermute ich in einem traumatischen Kindheitserlebnis: Zu Weihnachten hatten meine Schwester und ich ein Kasperletheater geschenkt bekommen. Kasperl, Gretel, Polizist, Krokodil und eine Oma gehörten zur Ausstattung – und natürlich die Bühne. Ein nach hinten offener Kasten aus drei grün gestrichenem dünnen Holzplatten, in der Mitte die Gucklochbühne mit stilechtem Vorhang, die Seitenflügel ließen sich praktischerweise zusammenklappen, so dass das Theater platzsparend verstaut werden konnte.

Einige Tage nach Weihnachten kam der Nachbarsjunge zu Besuch, in den ich – damals 6 Jahre alt – ein klein wenig verliebt war. Wer von uns auf die Idee kam, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich erinnere mich nur noch daran, dass wir das Kasperletheater auf den Tisch in unserem Kinderzimmer legten. Wir hatten den Mittelteil so platziert, dass das Bühnenguckloch über den Tisch hinausragte und die Seitenflügel ein wenig schräg nach unten abstanden: Ein perfektes Flugzeug!

Das Bühnenfenster war unser Cockpit, in das wir abwechselnd hineinkrochen um einen rasanten Rundflug zu starten. Während meine Schwester und Karlheinz jeweils die Flügel auf und ab bewegten (in Ermangelung von Motoren) startete ich vom Flughafen München-Riem nach Italien. Ich hatte gerade die Reiseflughöhe erreicht, als ein hässliches Krachen mich nervös werden ließ. Ich drehte mich zu den beiden Flugbegleitern um und sah in erschrockene Augen: Einer der Flügel war durchgebrochen. Das Flugzeug hatte bereits eine bedenkliche Seitenlage und drohte abzustürzen. Ich verließ eilig das Cockpit. Gemeinsam begutachteten wir den Schaden und beschlossen, sicherheitshalber kein weiteres Aufhebens davon zu machen, wuchteten das Theater vom Tisch, klappten die Seitenflügel ein und stellten es in eine Ecke. Eigentlich sah alles so aus, als wäre nichts Besonderes passiert. Karlheinz hatte es ziemlich eilig, nach Hause zu kommen – was meiner Schwärmerei für ihn keinen Abbruch tat. An das anschließende Donnerwetter (das damals – Mitte der 1960er-Jahre wohl kaum ohne obligatorische Ohrfeige vorübergegangen sein dürfte) erinnere ich mich nicht mehr. Unschöne Erlebnisse sollte man verdrängen. Möglich wäre es aber, dass sich das dramatische Ende unserer Reise irgendwo in den Faszien meines Unterbewusstseins eingegraben hat und mir bis heute die Freude am Fliegen vermiest.

Autor/in

Sabrina Landes

ist Redaktionsleiterin des Museumsmagazins Kultur & Technik. Sie bloggt regelmäßig zum Erscheinen eines neuen Hefts über ihren ganz persönlichen Zugang zum Magazinschwerpunkt. Das neu erschienene Heft lässt sie erst einmal etliche Tage liegen, bevor sie darin blättert, aus Angst vor den trotz mehrfacher Korrekturen übersehenen Fehlern.