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Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich heute nahezu ausschließlich mit ernsthaften Dingen. In meiner Schulzeit war das ganz anders. Nicht nur, dass zahlreiche Schulstunden aufgrund von Schulstreiks, Demonstrationen oder spontanen Debatten ausfielen - auch mancher Lehrer protestierte auf die ihm jeweils eigene mehr oder weniger suberversive Art gegen die restriktiven Vorgaben der Kultusbehörde. Unvergessen Herr M., mit dem wir ein gesamtes Schuljahr lang auf den Spuren von Carlos Castaneda wandelten. Der amerikanische Ethnologe hatte bei Indianern in Mexiko den Gebrauch „heiliger Kakteen” studiert und seine Erfahrungen in zahlreichen Büchern festgehalten. Herr M. wiederum hatte sich vorgenommen, uns ein Schuljahr lang in diese „andere Wirklichkeit” eintauchen zu lassen, von der mir heute nicht viel mehr erinnerlich ist als ein Faden oder eine Schnur, durch die – so meine ich – der in die andere Wirklichkeit Wandernde mit seinem irdischen Ausgangspunkt verbunden blieb. Möglicherweise war das aber auch alles ganz anders.

Jedenfalls gab es einige mutige Mitschülerinnen, die die Beschreibungen des Autors zum Anlass nahmen, sich nach dem Unterricht auf die Suche nach dem tieferen Sinn des Lebens zu begeben. Sie zogen sich in düstere, von flackernden Kerzen dumpf beleuchtete und ziemlich verqualmte Jungmädchenbuden zurück, ließen - mangels Peyote-Pilzen, eine mit dem strengst verbotenem Kräutlein H bestückte, tütenförmig gedrehte Zigarette kreisen und unterhielten sich, zu psychedelischer Musik hin- und herschaukelnd, bedeutungsvoll murmelnd über Gott und die Welt. Bald hüllten sie sich in weite Gewänder aus leuchtenden fernöstlichen Stoffen, rochen nach Räucherstäbchen, Moschus und Zigaretten und wussten offenbar Dinge, von denen ich noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte.

Jahre später entpuppten sich die halluzinatorischen Erfahrungen Castanedas enttäuschenderweise als reines Fantasieprodukt seines kreativen Geistes. Und trotzdem hat für mich das „Magic Mushroom”, bajuwarisch „narrische Schwammerl” seit der verordneten Castanedalektüre einen seltsamen Reiz. Und nun – fast 50 Jahre nach diesen eindrucksvollen Erlebnissen aus der Schulzeit und ermutigt durch das Thema „Rausch” unserer aktuellen Ausgabe von Kultur&Technik, wagte ich anlässlich eines Pilzseminars im fernen Österreich endlich, die mich seit so vielen Jahren bewegenden Fragen zu stellen: „Verleiht nicht der Fliegenpilz Flügel?” „Könnte ich nicht mittels einer Handvoll Hallimasch auf ganz legale und günstige Art endlich einmal die in der Jugend versäumten Grenzerfahrungen nachholen?” „Ja klar!” meinte der Pilzexperte trocken und hielt mir sogleich einen kapitalen Fliegenpilz zur Verkostung hin. „Probiers aus!” Aber ehe du in andere Wirklichkeiten entschwebst, bekommst du wahrscheinlich höllische Bauchkrämpfe.”

Autor/in

Sabrina Landes

ist Redaktionsleiterin des Museumsmagazins Kultur & Technik. Sie bloggt regelmäßig zum Erscheinen eines neuen Hefts über ihren ganz persönlichen Zugang zum Magazinschwerpunkt. Das neu erschienene Heft lässt sie erst einmal etliche Tage liegen, bevor sie darin blättert, aus Angst vor den trotz mehrfacher Korrekturen übersehenen Fehlern.