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Die Reise des portugiesischen Seefahrers Ferdinand Magellan (1480–1521), die vor 498 Jahren mit fünf Schiffen und gut über 200 Mann Besatzung startete, hatte den Beweis erbracht: die Erde ist rund. Zwar kam Magellan während dieser ersten Weltumsegelung in der Geschichte der Seefahrt ums Leben; und nur achtzehn der Männer, die im August 1519 aufbrachen, erreichten nach knapp drei Jahren mit dem einzig verblieben Schiff der kleinen Flotte wieder ihre Heimat. Aber der Beweis war erbracht: die Erde ist rund.

Diese erste Weltumsegelung stand am Anfang vieler weiterer Expeditionen zur Entdeckung und Kartierung unseres Planeten; wobei stets auch nach schnellen Handelsrouten geschaut wurde. Denn die Seewege von Europa in die Ostindischen Gebiete mit ihren Reichtümern – Kaffee, Tee, Seide, Gold, Gewürzen etc. – waren lang. Zwar versprachen die nördlichen Seewege, die Nordostpassage nördlich Sibiriens und die Nordwestpassage nördlich Kanadas, deutlich kürzer zu sein als die üblichen Handelsrouten über die Weiten der Weltmeere. Weshalb der nördliche Seeweg für die europäischen Nationen stets von großem Interesse war. Indes: sie verliefen in den hohen Breitengraden der Arktis, und waren deshalb auch im Sommer vielfach von Eis bedeckt. Für die europäischen Seefahrtsnationen war der nördliche Seeweg um den amerikanischen Kontinent, die Nordwestpassage, seit jeher von großem Interesse; und ihre Entdeckung und Kartierung über weite Strecken eine Geschichte des Scheiterns. So ist u.a. die Expedition des englischen Konteradmirals Sir John Franklin (1786-1847) einem breiten Publikum bekannt. Nicht nur, dass seine beiden Schiffe, die Erebus und die Terror spurlos in der Nordwestpassage verschwanden; auch kam die gesamte 129-köpfige Besatzung der beiden Schiffe trotz reichlich vorhandener Vorräte um. In den folgenden elf Jahren brachen diverse Suchexpeditionen auf, ohne jedoch das Rätsel vom Verschwinden der Franklin-Expedition aufklären zu können.

Die erste Durchsegelung der Nordwestpassage gelang schließlich dem Norweger Roald Amundsen (1872-1928); zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dreimal überwinterte Amundsen, von 1903-1906 war er von Norwegen durch die Nordwestpassage in den Pazifik unterwegs.

Noch immer ist das Durchfahren der Nordwestpassage nicht ohne Schwierigkeiten; sie führt über lange Strecken durch abgelegene Gebiete, die infrastrukturell nur wenig erschlossen sind. Und bisher stellte dickes, mehrjähriges, polares Eis auch in den Sommermonaten ein ernstes Hindernis für die Schifffahrt dar. Jedoch, inzwischen nimmt der Verkehr durch die Nordwestpassage stetig zu. Während diese vor 111 Jahren zum ersten Mal überhaupt durchsegelt wurde, befahren heute eisgängige Kreuzfahrtschiffe mehrfach diesen nördlichen Seeweg – und sind damit die ersten Fahrzeuge, welche den einst so schwierigen und von Mythen umgebenen Seeweg konsequent kommerziell nutzen. Dass die kommerzielle Nutzung der Seegebiete, der Inseln und Küsten der Nordwestpassage weiter zunehmen wird, ermöglicht der derzeitige Klimawandel mit seiner ungewöhnlich raschen Erderwärmung; sorgt er doch dafür, dass das dicke, polare Eis dauerhaft verschwindet. Waren bis in die 1990er Jahre die Seegebiete der Nordwestpassage wegen des arktischen Eises nur schwer passierbar, ermöglichten ungewöhnlich warme und deshalb eisarme Sommer in den letzten zehn Jahren mehrfach relativ einfache Passagen. Hält diese Entwicklung an, wird das Jahr 2030 das erste sein, in welchem die Nordwestpassage vollkommen eisfrei sein wird. Viele Arten, u.a. Eisbären, verlieren damit ihr natürliches Habitat. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind enorm. Nicht nur, dass sie das Leben der Anrainer nachhaltig verändern und das Aussterben vieler Arten zur Folge haben wird. Auch könnte die industrielle Nutzung der bisher ungenutzten arktischen Regionen, u.a. die Förderung von Bodenschätzen, die Gebiete dauerhaft verändern und latent gefährden.

Die jetzt online gestellte, virtuelle Ausstellung The Northwest Passage: Myth, Enviroment and Resources von Elena Baldassarri im Environment & Society Portal des Rachel Carsons Centers nimmt sich vielerlei Aspekte der Nordwestpassage an. Nicht nur, dass in dieser Ausstellung die Geschichte ihrer Entdeckung umfassend nachgezeichnet wird; neben wirtschaftlichen und militärischen Interessen werden Glauben und Mythen indigener Kultur sowie Lebensweise und Probleme heutige Bewohner und Anrainer der Nordwestpassage lebendig geschildert. Dabei kommen neben zahlreichen Abbildungen vor allem viele Audiospuren und Videos zum Einsatz; was die virtuelle Ausstellung ausgesprochen lebendig werden lässt. Ziel des Portals ist es, vielseitige Materialien der Beziehungen zwischen Umwelt und Gesellschaft für die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft und die interessierte Öffentlichkeit zugänglich und entdeckbar zu machen. So gibt es auch in dieser virtuellen Ausstellung die Möglichkeit, die Geschichte der Nordwestpassage eigenständig mit einem interaktiven Zeitstrahl zu erkunden. Dass neben Experten unterschiedlicher natur- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen auch Einwohner und Anrainer zu Wort kommen, ermöglicht einen umfassenden und spannungsreichen Blick auf die Nordwestpassage. Damit nimmt das Environment & Society Portal seine Besucher mit auf eine vielschichtige und spannende Reise in die Arktis – und verdeutlicht, dass interdisziplinäre Arbeit behilflich ist, sich zeitgenössischen Fragestellungen und deren Debatten auf Grundlage gesicherten Wissens zu stellen. Wieder fügt sich auch diese neue, virtuelle Ausstellung wie gewohnt bestens in das Wirken des Rachel Carson Centers ein, das sich in seiner zweiten Phase dem Thema „Transformationen“ widmet.

Autor/in

Jörn Bohlmann

Dr. Jörn Bohlmann ist gelernter Segelmacher und Holzbootsbauer, fuhr mehre Jahre zur See und arbeitete viele Jahre in verschiedenen Werften und Museen sowohl als Restaurierungshandwerker sowie als wissenschaftlicher Angestellter. Er ist Kurator für Schifffahrt und Meerestechnik am Deutschen Museum.