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Wir begrüßen einen neuen Kollegen an Bord unseres großen Museumsdampfers: Jörn Bohlmann hat im Dezember das Ruder in der Schifffahrt übernommen - und ist seither als Kurator für unsere Ausstellung und Sammlung verantwortlich. Mit dem Deutschen Museum ist er schön länger verbunden. An unserem Forschungsinstitut hat er als Scholar in Residence eine Forschungsarbeit über das Segeltuch und Segelmacherhandwerk verfasst. Der folgende Beitrag gibt Einblick in seine Forschungsarbeit zum Segeltuch.

Wind und Segeln nahm bis in das 20. Jahrhundert hinein jene Rolle ein, die heute Verbrennungsmotoren und Schweröl zukommt; sie waren der eigentliche Antrieb des internationalen Seeverkehrs. Egal, ob mit Segelschiffen fremde Küsten entdeckt, Kriege geführt, Waren aller Art verschifft oder Sklaven und Auswanderer über See transportiert wurden - von der Antike bis in das 20. Jahrhundert hinein dienten Wind und Segel als Antrieb des globalen Schiffverkehrs.

Wie umfassend der Bedarf an Segeltuch und Segeln war, wird deutlich, wenn man die Segelfläche der rund 3500 Viermastbarken (Großsegler mit vier Masten) zusammenrechnet, die um das Jahr 1900 den internationalen Seehandel bedienten. Alleine diese 3500 Schiffe benötigten für ihren Antrieb ca. 14 Millionen Quadratmeter Segeltuch, die hauptsächlich aus Flachs und Hanf gefertigt waren. Rechnet man die Segelfläche alle anderen Schiffe hinzu, wird klar, dass der Umfang notwendiger Segeltuche noch markant größer war.

Bereits in der Antike wurden Segel aus Hanf, Flachs und Baumwolle gefertigt. Während sich die Technik des Segelschiffsbaus und der Takelagen kontinuierlich weiterentwickelte, wurden Segel jedoch noch in den 1950er-Jahren weiterhin unverändert aus Baumwolle, Hanf und Flachs genäht. Erst nach dem zweiten Weltkrieg änderte sich dies nahezu schlagartig. Nachdem im Laufe der 1950er-Jahre die Fasern des Nylons und des Polyesters im großen Maßstab endlich auch der zivilen Nutzung zur Verfügung standen, wurde begonnen, Segeltuch auch aus Kunstfasermaterial herzustellen. Mit ihren Eigenschaften veränderten die Kunstfaser-Segeltuche die Arbeit der Tuchhersteller, der Segelmacher und nicht zuletzt der Seeleute und Segler, nahezu schlagartig.

Erst nach dem zweiten Weltkrieg änderte sich dies nahezu schlagartig. Nachdem im Laufe der 1950er-Jahre die Fasern des Nylons und des Polyesters im großen Maßstab endlich auch der zivilen Nutzung zur Verfügung standen, wurde begonnen, Segeltuch auch aus Kunstfasermaterial herzustellen. Mit ihren Eigenschaften veränderten die Kunstfaser-Segeltuche die Arbeit der Tuchhersteller, der Segelmacher und nicht zuletzt der Seeleute und Segler, nahezu schlagartig.

Diesen Übergang von Flachs und Mako zu Dacron und Diolen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts habe ich im Rahmen eines Scholar-in-Residence-Stipendiums untersucht. Anhand der Besprechung von Kunstfasersegeln in Yachtzeitschriften der 1950er und 1960er Jahre sowie in Interviews mit Zeitzeugen – Segelmachern, Seglern und Tuchherstellern – gelingt es, die Entwicklung des Segeltuchs aus Polyester nachzuzeichnen. Am Beispiel des Segelschulschiffes Gorch Fock, das 1974 ihr erstes Stell Polyestersegel erhielt, wird aufgezeigt, welche Unsicherheiten mit dem neuen Segeltuch an Bord von Großsegeln bestanden – und welche Veränderungen das neue Material mit sich brachte. Zugleich zeichne ich nach, wie es einem kleinen deutschen Segeltuchhersteller gelang, von einem in den 1950er Jahren missglückten Produkt zum heute weltgrößten Segeltuchproduzenten zu prosperieren. Der ganze Titel meiner Arbeit lautet: Segeltuch und Segelmacherhandwerk im Übergang von Natur- zum Kunstfasermaterial in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren – am Beispiel der Segelmacherei Hinsch & Ruhland und den Segeln des Segelschulschiffes GORCH FOCK.

Autor/in

Jörn Bohlmann

Dr. Jörn Bohlmann ist gelernter Segelmacher und Holzbootsbauer, fuhr mehre Jahre zur See und arbeitete viele Jahre in verschiedenen Werften und Museen sowohl als Restaurierungshandwerker sowie als wissenschaftlicher Angestellter. Er ist Kurator für Schifffahrt und Meerestechnik am Deutschen Museum.