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Den Nikolaustag des Jahres 1906 verbrachte der Polarforscher Alfred Wegener damit, in seinem Tagebuch die Erlebnisse der vergangenen drei Wochen festzuhalten. Vom 13. November bis 4. Dezember war er auf Observationsfahrt mit Hundeschlitten zur Sabine-Insel im Nordosten Grönlands unterwegs gewesen. In seinen Notizen schildert der studierte Geophysiker, Meteorologe und Klimatologe Wegener (1880-1930), der für seine Theorie der Kontinentalverschiebung berühmt wurde, sehr anschaulich auch die ganz alltäglichen Herausforderungen im ewigen Eis:

6. Dezember 1906.

Von der Schlittenreise nach Sabine-Insel zurück! Ich will nun versuchen, aus meinen sehr unvollständigen Tagebuchnotizen, die ich auf der Reise selbst anfertigte, und aus früherer Erinnerung eine vollständige Beschreibung zu geben. Zunächst Tagesübersicht: […] 

Wir schlemmten an diesem Abend [des 20. Novembers] in amerikanischen Konserven und Leckereien, und tauschten manche heitere und trübe Gedanken über jene unselige Baldwin-Ziegler Expedition aus, die 8 Millionen kostete und so vollständig scheiterte. […Am nächsten Tag kam] ein Bär, und B[rünlow], folgte ihm etwa 1 Stunde, ohne ihn aber erreichen zu können. Auch ich beteiligte mich im Anfang an dieser Jagd, die mir wenigstens etwas Motion verschaffte, die ich nach all diesem Stillliegen gut vertragen konnte. Abends begann ich mit meiner Observation, bei der mir Koch in der aufopfernden Weise (es war eine Qual, in der Kälte zu observieren) half. Wir maßen heute nur Deklinationen; da es noch immer nicht ganz windstill war, war dies eine recht anstrengende Arbeit. […] Abends machte ich allein einen Spaziergang im Mondschein, der mir außerordentlich starke Eindrücke verschaffte. Ich hatte hier zum ersten Male dies Gefühl der trostlosen Verlassenheit, das wohl so manches Mal die Menschen in Polargebieten überfallen und ihre Arbeit lahmgelegt hat. […]

Diese Textpassage über die sogenannte „Danmark-Expedition" (1906-1908) stammt aus einem von insgesamt 14 Notizbüchern Alfred Wegeners, die im Archiv des Deutschen Museums überliefert sind. Behandelt werden auf rund 2.100 Einzelseiten die vier Expeditionen von 1906 bis 1930. Die Texte bieten einzigartige Einblicke in die wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Glaziologie und Aerologie, aber auch in den Alltag im ewigen Eis.
In seinem Eintrag vom 6. Dezember 1906 beschäftigt sich Wegener noch ausführlich mit der Verpflegung:

Der Proviant ist im ganzen gut: gut ist die große Menge Pemmikan, auch in Qualität. Ferner Sylze, Sardinen, Leberpastete, weniger Brod (ich wollte allerdings Knäckebrod vorziehen. Das – einzige – Gegenargument, es schmecke so gut, daß es zu schnell aufgebraucht ist, kann man doch nicht gelten lassen, es kann ja im Rationen eingeteilt werden.) Sehr praktisch scheint mir auch Blutpudding zu sein, wenn es auch ein wenig ungebührlich Raum einnimmt. Man kann ihn nämlich auch roh essen, jedenfalls braucht man nur sehr wenig Wasser, und es braucht nur gewärmt und nicht gekocht zu werden. Makkaroni schmeckt zwar gut, ist aber doch wohl verfehlt, es muß zu lange kochen, ebenso "Grönsager." Erbssuppe dagegen ist wohl ausgezeichnet. Bouillonextrakt ist wohl ganz gut, wird aber wohl nur als Zusatz benutzt, da das Wasser selten so rein ist, daß ein appetittliches Bouillon herauskommt. Sehr gut ist natürlich Cacao, und Fleischschokolade, letztere wohl auch in Menge passend. Pastillen sind gleichfalls gut, unterwegs bei Durst zu benutzen. Thee ist fast gar nicht dafür aber viel Kaffee. Ich bin hier noch nicht zum Resultat gekommen, ob man nicht lieber Thee und Kaffee ganz streichen sollte und lieber nur Chokolade, Bouillon oder andere Suppen nehmen sollte. – Havergrütz muß leider auch zu lange kochen, ist aber wegen des minimalen Gewichts vielleicht praktisch. [...]

Das Rachel Carson Center for Environment and Society hat in einer Kooperation mit dem Archiv des Deutschen Museums die digitalisierten Tagebücher und Material zu den Expeditionen in einer Online-Ausstellung aufbereitet. Die Web-Präsentation bietet verschiedene Zugänge zu den Expeditionen und in die Tagebücher. So können die Besucher mit Hilfe von profunden Texten und sehenswerten Abbildungen die einzelnen Expeditionen verfolgen. Dabei werden sie zu besonders wichtigen Passagen der Tagebücher geführt, denen die Transkriptionen und englischen Übersetzungen gegenübergestellt sind. Angeboten wird aber auch die Möglichkeit, in den gesamten Tagebüchern zu stöbern. Ein zusätzliches Kapitel ist der Biografie Wegeners gewidmet, der bei seiner dritten Grönland-Expedition auf tragische Weise ums Leben kam. Ein Film mit Originalaufnahmen von dieser Expedition rundet die virtuelle Ausstellung ab.
  • Zur Web-Präsentation der Tagebücher
  • Hinweis: In der Vortragsreihe Wissenschaft für Jedermann spricht Cornelia Lüdecke am 18. Dezember 2013 zum Thema Neuland Antarktis – Deutsche Entdeckungen im Südpolargebiet (1901-1939)

Autor/in

Matthias Röschner

Matthias Röschner ist Leiter des Archivs des Deutschen Museums. Er hat Geschichte und Latein studiert und anschließend das Archivreferendariat absolviert. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind die wissenschaftliche Aufbereitung und Digitalisierung der Archivbestände.