Direkt zum Seiteninhalt springen

von

Eine Familie ist um einen Tisch versammelt, auf dem ein geschmückter Weihnachtsbaum steht - kein ungewöhnlicher Anblick in der Weihnachtszeit. Die Eltern weisen aber nicht etwa auf den Baum, sondern auf den Ständer, der den Baum hält. Und in der Tat ist es kein gewöhnlicher, sondern ein klingender, enthält er doch ein Spielwerk. Wie kam es dazu und wir funktioniert der klingende Weihnachtsbaumständer? Kuratorin Silke Berdux und Internet-Redakteurin Annette Lein erklären dies anhand eines Exemplars aus den Sammlungen des Deutschen Museums.

Ende des 19. Jahrhunderts erhielt der Fabrikant Johannes Carl Eckardt aus Stuttgart Patente für Neuerungen „an Musikerwerken, welche mit Mechanismen zum Drehen von Untersätzen für Weihnachtsbäume versehen sind“. Eckardt verband damit in einem Instrument zwei eng mit der Weihnachtszeit verbundene Traditionen, den Weihnachtsbaum und die Weihnachtsmusik. War letztere in früherer Zeit noch von den Familienangehörigen selbst gemacht worden, hatten sich seit einiger Zeit durch das wachsende Angebot erschwinglicher Instrumente die Spielwerke auch in Privathaushalten weit verbreitet. Eines der beliebtesten Modelle war der Weihnachtsbaumständer „Gloriosa“, der in einer ersten Version 1880, als Plattenspielwerk Weihnachten 1892 auf den Markt kam. Zeitgenössische Anzeigen priesen die aufwendige, an Renaissanceformen orientierte Gestaltung des Gehäuses aus mattiertem Nussbaum an. Bis 1911 wurden 100.000 Stück davon verkauft.

Von Hand mit einer Kurbel wird ein Uhrwerk aufgezogen. Es bewegt zwei verschiedene Mechaniksysteme. Das eine drehte die Halterung, in die der Christbaum eingespannt war. Bäume bis zu 100 Pfund Gewicht und 55 mm Stammdicke konnten verwendet werden. Das andere ist das Musikwerk vom damals bekannten Typ „Kalliope“. Es besteht aus einem Stahlkamm, wie er auch von anderen Spieldosen bekannt ist, mit 36 Zähnen. Diese werden von Ausreißrädern angezupft und damit zum Klingen gebracht. Die Musik ist auf Metallplatten codiert, die als Programmträger dienen. Sie besitzen einen gezackten Rand und auf der Unterseite vorstehende Nocken. Ein Zahnrad greift in die Zacken des Randes, um die Scheibe zu drehen. Die Nocken bewegen die Ausreißräder, die die Zungen des Stahlkamms anzupfen. Eine abklappbare Andruckstange mit Hartgummirollen führt die Scheibe genau über den Anzupfmechanismus. War das Uhrwerk aufgezogen, drehte sich der Weihnachtsbaum und die auf der gewählten Platte codierte Musik erklang. Für die Verwendung an öffentlichen Plätzen wurde „Gloriosa“ auch mit einem Münzeinwurf gebaut.

Da der Einsatz als Christbaumständer nur für eine sehr begrenzte Zeit möglich ist, standen auch verschiedene andere Aufsätze zur Auswahl, Blumenvasen, einfache Porzellanplatten und kunstvolle Gebilde aus mehreren Etagen mit ornamentierten Säulen. Die Platten konnten leicht ausgewechselt werden. Das umfangreiche musikalische Repertoire, das für „Gloriosa“ angeboten wurde, umfasste dementsprechend neben traditionellem weihnachtlichen Liedgut („Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen“, „O Tannenbaum“, „Ihr Kinderlein kommet“ und „Stille Nacht“) auch jahreszeitunabhängige Stücke, so verschiedene Choräle, aber auch leichte Musik wie das Couplet „Immer an der Wand lang“ oder der Weibermarsch aus „Die lustige Witwe“ und nationale Melodien wie die „Wacht am Rhein“, „Heil dir im Siegeskranz“ und „Deutschland, Deutschland über alles“. Sie erklangen, während sich der Aufsatz langsam drehte.

Die Werbeanzeige im Zusammenhang

Zum Weiterlesen

  • Hendrik H. Strengers: Johannes Carl Eckardt, Stuttgart, und die Christbaum-Ständer, in: Das mechanische Musikinstrument, Nr. 48, Dezember 1989, S. 12-27.
  • Der Münchner Merkur vom 6.12.2011 über den Weihnachtsbaumständer

Autor/in

Silke Berdux

Silke Berdux hat Musikwissenschaft studiert und ist Kuratorin der Musikinstrumentenabteilung am Deutschen Museum. Mit einem Team entwickelte sie die Ausstellung "Musikinstrumente". Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind die Erschließung der Sammlung sowie die Durchführung und Initiierung verschiedener Forschungs- und Vermittlungsprojekten.

Ihr Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Der Zwitscherautomat in der Musikausstellung zeigt einen Baum, auf dem sich mehrere Vögel befinden. Es ist faszinierend, wie naturgetreu die Stimmen und Bewegungen der Vögel vom Pariser Automatenbauer Blaise Bontemps nachempfunden wurden.