
Tatjana Dietl
Tatjana Dietl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Luftfahrt und arbeitet derzeit an der Neugestaltung der Ausstellung „Historische Luftfahrt bis 1918“.
von Tatjana Dietl
In den 1920er Jahren etablierte sich der Segelflug in Deutschland als eine Sportart, die alle Bevölkerungsschichten erreichte und begeisterte. Da der Motorflug in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg untersagt war, bot der antriebslose Segelflug eine legale und kostengünstige Alternative. Einen wesentlichen Anteil an dem Erfolg hatten die Rhönwettbewerbe auf der Wasserkuppe, die enge Verbindung der Wissenschaft zum Segelflug sowie die Aktivitäten der Studenten an den Technischen Hochschulen und Universitäten (Akafliegs). Organisatorisch bestand die Segelflugbewegung aus hunderten selbstständigen Vereinen und Gruppen, die durch zwei Dachverbände locker zusammengefasst waren.
Im Rahmen einer vormilitärischen Ausbildung lernten Tausende Hitlerjungen im „Dritten Reich“ mit einem Schulgleiter (hier der „Zögling“) das Fliegen. Bild: Süddeutsche Zeitung Photo | Scherl
Der Segelflug gilt als Königsdisziplin des Fliegens: Die vollkommende Beherrschung des Flugzeugs und der Umgebung, in der man sich bewegt, ist unabdingbar. Segelflugzeuge gleiten ohne Antrieb und nutzen lediglich die Kraft der Sonne in Form von Aufwinden. Dass die besten Piloten aus dem Segelflug kommen, wussten auch die Nationalsozialisten. Sie vereinnahmten nach der Machtübernahme 1933 den Segelflug und die Ausbildung von Piloten, um daraus die Grundlage der Wehrmachtsluftwaffe zu schaffen. Die selbstständigen Vereine und Gruppen wurden zwangsweise aufgelöst und dem neugebildeten faschistischen „Deutschen Luftsport-Verband“ (DLV), später „Nationalsozialistischer Fliegerkorps“ (NSFK), einverleibt.
Der Flieger-Hitlerjunge „Hansi“ trägt einen sogenannten „Trudelbecher“, eine Art Fliegerhelm, als Kopfschutz. Bild: Deutsches Museum
Sibylle Kobus mit der fertigen Figur, die in der neuen Ausstellung auf dem originalen Schulgleiter SG 38 präsentiert wird. Bild: Deutsches Museum
Die NS-Zeit ist innerhalb der Geschichte des Segelflugs in Deutschland bisher wenig erforscht. Diesem ungeschriebenen Kapitel wird sich der Themenbereich „Segelflug: Fliegen ohne Motor“ ab Ende 2020 im Rahmen der neuen Ausstellung „Historische Luftfahrt 1918 bis 1945“ widmen. Die Besucher erfahren u.a., wie die Segelflugbewegung in Deutschland ihren Anfang nahm, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielte, welche Startarten es im Segelflug gibt und wie heutzutage Segelflugwettbewerbe ablaufen.
Zur Kontextualisierung der NS-Thematik wurde in der Bildhauerwerkstatt des Deutschen Museums die Figur eines Flieger-Hitlerjungen hergestellt. Sie soll in der zukünftigen Ausstellung auf dem originalen Schulgleiter SG 38 präsentiert werden.
Sibylle Kobus stellte am 24. Januar 2019 die Figur fertig, die mittlerweile von den Mitarbeitern liebevoll „Hansi“ genannt wird. Das Thema Hitlerjugend macht einen sehr nachdenklich, besonders da Sibylle einen Sohn im gleichen Alter hat.
Mit dem Schulgleiter SG 38 verbinden viele aber auch positive Momente. Auf zahlreichen Oldtimertreffen wird heute noch mit dem SG 38 geflogen und die historische Startart des Gummiseilstarts erprobt. Bei der Rekonstruktion der Kleidung sowie der richtigen Sitzhaltung standen die Brüder Philipp und Kilian Stegele von der Flugwerft Schleißheim zur Seite. Sie fertigten auch das Sitzgestell mit Steuerungshebel an, worauf die Figur dann geformt werden konnte.
Das Luftfahrt-Team bedankt sich herzlich bei der Bildhauerwerkstatt, vor allem bei Sibylle, für die tolle Arbeit!