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Zunächst sieht alles wie bei einer ganz gewöhnlichen Führung aus. Die Besucher sind vielleicht ein bisschen älter, aber sind auch ein paar junge Menschen in der Runde von vielleicht 20 Menschen dabei. Zwei ältere Herren sitzen im Rollstuhl. Aber dann merkt man, dass die Mitarbeiterin des Deutschen Museums ein bisschen langsamer und deutlicher spricht als normalerweise – und dass sie sehr intensiv versucht, die Gruppe in das Geschehen miteinzubinden. Als ein Musikautomat vorgeführt worden ist, klatschen die Besucher, ein älterer Herr im Rollstuhl hebt zustimmend den Daumen und lacht. Aber als die Führung vorbei ist, fragt ein Herr, der bisher völlig nachvollziehbare Fachfragen zu den Musikautomaten gestellt hat, plötzlich: „Zu wem gehöre ich denn? Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre.“ Normalerweise würde so eine Frage mit einem Anflug von Panik gestellt. Er sagt das aber ganz ruhig, fast belustigt.

Die Führung ist nämlich doch keine ganz gewöhnliche Führung. Es ist eine Gruppe von Menschen mit Demenz, begleitet von ihren Betreuern des Münchner Vereins Carpe Diem.

Das Deutsche Museum versucht, auch hör- oder sehbehinderte Menschen einen möglichst direkten Zugang zu seinen Ausstellungen zu geben. Führungen für Hörbehinderte gibt es bereits jetzt schon, für die neue Sonderausstellung „energie.wenden“ sind auch Führungen für Sehbehinderte geplant. Insgesamt will das Museum im Rahmen seiner großangelegten Modernisierung so barrierefrei werden wie noch nie. Tastmodelle des Hauses, der Ausstellungen, Audioguides für alle Ausstellungen, neue Aufzüge und Rampen für Rollstuhlfahrer, Texte in einfacher Sprache – all das soll ab 2019 Wirklichkeit werden.

Aber auch Menschen mit Demenz haben einen anderen Zugang zu Ausstellungen. Dinge, die sie früher gewusst haben, wissen sie heute nicht mehr. Zu viele Reize können sie überfordern, mit negativen Erfahrungen können sie oft nicht umgehen. Sie tun sich leichter, wenn sie auch einen haptischen oder akustischen Zugang zu den Ausstellungen bekommen. Und wenn vielleicht die Führung positive Erinnerungen in ihnen weckt.

Das Deutsche Museum ist da ideal: Es gibt hier viele Dinge, die man anfassen kann, viele Dinge, die positive Erinnerungen wecken. Und in der Musikautomaten-Ausstellung im zweiten Stock kann man nicht nur die Lochplatten anfassen, die die Musikautomaten steuern, sondern auch die Musik hören, die die Automaten hervorbringen, vielleicht sogar die Musik hören, zu der man früher mal getanzt hat. Und – unschlagbar als Extra: Hier kann man auch dann Klavierspielen, wenn man es noch nie gekonnt hat. Und man kann wieder Klavier spielen, wenn man vielleicht irgendwann mal vergessen hat, wie das geht. Weil's halt Automaten sind, die man eben nur aufziehen muss oder mit Fußpedalen antreiben. Und schon ertönt ein Walzer oder ein Tango, bei dem die Gruppe dann eifrig mitwippt und fast zu tanzen anfängt. Und der ältere Herr im Rollstuhl, dessen Kommentar bis dato nur aus einem hochgereckten Daumen und einem Lächeln bestand, sagt jetzt: „Das kenne ich ja noch aus meiner Jugend.“ Wobei der Musikautomat, der früher in einer Gaststätte stand, durchaus noch ein bisschen älter sein dürfte als der ältere Herr. Er ist von 1890. Der Automat, nicht der Herr.

Die mit Löchern übersäte Platte, die den Automaten steuert, wird fachmännisch begutachtet: „Der, der die ganzen Löcher reinmachen musste, hat aber ganz schön viel Arbeit gehabt.“

Steffen Marquordt, Sozialpädagoge vom Verein Carpe Diem, der die Gruppe betreut, ist sehr angetan von der Führung. „Die beiden machen das großartig“ - und er meint Anna Schamberger und Christian Lang, die beiden Mitarbeit aus der Musikinstrumenten-Ausstellung, die Gruppe führen. „Gerade die kleinen Geschichten und Erklärungen, die Frau Schamberger immer wieder einflicht, machen es der Gruppe sehr leicht.“ Da ist vielleicht manchmal Fachkenntnis und Detailtiefe, die die beiden unbedingt mitbringen, vielleicht weniger wichtig als Einfühlungsvermögen – und das haben die beiden eben auch. Und als Christian Lang mit der Gruppe dann auf den Flur geht, um den Besuchern ein Alphorn vorzuführen, ist der Bann vollends gebrochen – und dann versuchen ein paar, dem Horn Töne zu entlocken. Was dann meist auch gelingt.

Zum Abschied, nach einem kleinen Ragtime, gibt es ganz viel Beifall. Bei der Führung gab es viele lachende Gesichter, viele gebannte Blicke - und keine Langweile. Auf Marquordts Visitenkarte steht als Motto für seinen Verein „Kleine Momente des Glücks“. Das hat heute funktioniert. Vielleicht waren sie ja auch gar nicht so klein.

Weitere Informationen

Führungen für Menschen mit Demenz finden an jedem dritten Mittwoch im Monat um 14 Uhr statt. Jeder Teilnehmer wird gebeten eine Begleitperson mitzubringen.

Mehr Informationen zu den nächsten Terminen und zur Anmeldung finden Sie hier.

Autor/in

Gerrit Faust

Gerrit Faust leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Museums. Als gelernter Journalist hat er von vielem ein bisschen, aber von nichts so richtig Ahnung.

Sein Tipp für einen Besuch im Deutschen Museum: Unbedingt in die Raumfahrt – schließlich träumt er immer noch von einer Astronautenkarriere. Anschließend einen Einkehrschwung in die „Frau im Mond“. Und dann noch in zwei großartig gestaltete Ausstellungen – die „Musikinstrumente“ und die „Gesundheit“.