Als ich wieder scharf sehen konnte, berührte ich den Bildschirm vor mir. Zuerst kam die Werbung, wie jedes Mal. „Lassen Sie sich künstliche Augen implantieren!“, „Vergessen ade! Nur mit den neuen Gedächtnischips!“, und so weiter. Nach fünf dieser Anzeigen, die mich alle nicht interessierten, kam ich endlich zu der Übersicht.
Leon Huber, 81, stand da. Darunter dann noch ein paar weitere Buttons. Einlieferungsgrund. Krankengeschichte. Weitere Informationen. Ich berührte das Touchpad bei „weitere Informationen“. Zuerst ein ellenlanger Bericht über die neue Funktionsweise der Nanoroboter. Früher als Kind interessierten mich diese winzigsten Roboter, die meist nur aus wenigen Molekülen zusammengesetzt waren, sehr, doch damals stand die Forschung auch erst am Anfang. (…)
Ein ohrenbetäubendes Krachen wie von einem riesigen berstenden Fenster und erdbebenähnliche Erschütterungen unterbrachen meine Überlegungen. Als ich aufsprang wurde mir leicht schwindelig, und ich musste mich an der Wand abstützen, um nicht umzukippen. Schwankend lief ich durch die hohen Korridore, so schnell, wie es bei meinem fortgeschrittenen Alter eben noch ging. Mir begegnete niemand. Nicht, dass es in Krankenhäusern viel Personal gab, aber ich hätte doch gedacht, wenigstens ein, zwei Menschen zu treffen, die mir sagen konnten, was hier los war. (…)
Ich betrachtete eine Mohnblume. Dies tat ich seit den letzten vier Tagen oft, denn durch meine neuen Augen-Implantate, mit denen ich nun endlich auch Infrarot sehen konnte, schienen mir Mohnblumen so viel schöner zu sein als zuvor.
„Es ist eine Nachricht für sie eingetroffen, Mr. Thomson. Soll sie nun vorgelesen werden?“, meldete sich der Computer.
Ich hasse es.
„Nein!“, rief ich ärgerlich aus.
Hatte ich nicht erst vor kurzem alle Benachrichtigungen abgestellt? Ich würde mich später noch mit dem Problem befassen müssen. Zuerst wandte ich mich wieder der Mohnblume zu.
Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte kurz zu dem kleinen Bildschirm auf meinem Schreibtisch. Motega war es, einer meiner treusten Gefolgsleute. Hoffentlich hatte er gute Neuigkeiten.
„Herein.“
Zögerlich trat der dünne, schlaksige Mann von knapp einem Meter siebzig ein. Sein langes, schwarzes Haar fiel ihm schon wieder ins Gesicht. Wie sehr ich das hasste! Genau wie seine ständige Unsicherheit, dieses dauerhafte Nachfragen. Doch es half ja nichts, ich konnte es mir nicht leisten einen so treuen Mitstreiter zu verlieren, vor allem nicht, da er absolut loyal war, und nun einmal der Beste in seinem Gebiet. Robotik.
Ich nahm meine Beine vom Tisch und sah ihm in die Augen. Oder versuchte es zumindest durch diesen dichten Vorhang aus Haaren hindurch.
„Und? Nun sag schon, gibt’s was Neues?“
Er zögerte eine Weile. Hatte sich wohl immer noch nicht daran gewöhnt, dass ich Neuigkeiten lieber von einem Menschen überbracht bekam, als mir die gefühlslose Stimme des Computers anhören zu müssen, oder noch schlimmer, einen Text durchzulesen.
„Äh... ja. Der Plan ist aufgegangen, alle „Ideal Citys“ wurden zerstört. (…)“
Endlich. Endlich waren diese bloßen Illusionen eines perfekten Lebens verschwunden. Endlich wuchsen keine Kinder mehr in dem Glauben auf, ihre Welt sei perfekt, es gäbe keine Verbrechen, keine Kriminalität, keine Kriege mehr. Endlich waren deren Eltern, Lehrer, Verwandte, diese ganzen notorischen Lügner, alle vernichtet. Endlich gab es für alle wieder die gleichen Chancen. Am Ende siegt eben doch immer die Gerechtigkeit. (…)